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Mit freier Lehre und Forschung

Wie die Universität der Bundeswehr München es schafft, mit ihrem ungewöhnlichen Profil eine Hochschule zu sein, die ihre Freiheitsrechte lebt und sich der Gesellschaft zuwendet, schildert ihre neue Präsidentin Eva-Maria Kern im DUZ-Interview

Frau Prof. Kern, in Ihrer Antrittsrede betonten Sie, Ihre Universität in der wissenschaftlichen Welt und in der Gesellschaft noch stärker sichtbar zu machen. Warum? 

Wir sind eine erklärungsbedürftige Universität, denn einerseits sind wir eine ganz normale Universität mit Freiheit von Forschung und Lehre und andererseits sind wir dem Bundesministerium der Verteidigung zugeordnet. Von diesem werden wir finanziert und haben dadurch auch eine spezifische Studierendenklientel. Das führt zu Missverständnissen.

Wie ist es möglich, diesen scheinbar unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden?

Wie andere staatliche Universitäten auch, bieten wir ganz normale zivile Bachelor- und Masterstudiengänge sowie Abschlüsse an. Und unsere Lehre ist auch nicht an den konkreten militärischen Bedürfnissen des Bundesministeriums für Verteidigung ausgerichtet. Trotzdem sind unsere Studiengänge natürlich auch inhaltlich interessant für die Bundeswehr. Das zivile Studium ist bei uns Bestandteil der Offiziersausbildung. Das ist einzigartig auf der ganzen Welt und darauf sind wir sehr stolz. Denn in den meisten Ländern bildet das Militär seine Offiziere nur an Militärakademien aus. Von unseren Studierenden werden nur 20 bis 25 Prozent tatsächlich Berufsoffiziere. Alle anderen gehen nach ihrer Verpflichtungszeit von 13 Jahren in zivile Berufe – ganz im Sinne der Idee von Helmut Schmidt, der damals als Verteidigungsminister die Gründung der beiden Bundeswehruniversitäten initiierte. Unser Anspruch damals wie heute: Mit ihren erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten sollen ehemalige Offiziere nach ihrer Bundeswehrzeit auch in der zivilen Arbeitswelt attraktive Aufgaben finden. 

Wie schaffen Sie es, Ihre Studierenden sowohl für ihre militärischen als auch zivilen Tätigkeiten zu qualifizieren? 

Mit sehr fortschrittlichen und hochmodernen Studieninhalten, einer hervorragenden technischen Ausstattung und einer großen Bandbreite an Fächern. Bei uns kann man Informatik, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik, Luft- und Raumfahrttechnik, aber auch Psychologie und Pädagogik, Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften studieren. Mit unserem Kleingruppenkonzept, mit manchmal nur 15 bis 20 Studierenden in den Veranstaltungen, stellen wir eine gute Betreuung sicher. Zusammen mit der Einteilung des Studiums in Trimester kann bei uns das gesamte Studium als Bachelor plus Master in vier Jahren abgeschlossen werden. 

Nach jahrzehntelanger eher nicht militärisch ausgerichteter Aussen- und Sicherheitspolitik soll die Bundeswehr heute wieder zur Landes- und Bündnisverteidigung, insbesondere auch im europäischen Raum, herangezogen werden. Gab es mit dem Ukrainekrieg einen Strategiewechsel? Und hat dieser Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Ziele der Bundeswehr-Universität? 

Meine Vorgängerin Prof. Merith Niehuss hat schon vor 15 Jahren angefangen, unser heutiges Profil „Sicherheit in Technik und Gesellschaft“ zu entwickeln. Es ermöglicht uns eine Vielfalt an Forschung, die sowohl für die zivile Nutzung als auch für die staatliche Sicherheitsvorsorge von Interesse ist – insbesondere in den Bereichen Informatik, Bauingenieurwesen und Satellitentechnologien. Eines der großen Themen zu diesem Profil ist der Schutz kritischer Infrastruktur – etwa von Brücken und Gebäuden, der IT-Infrastruktur bis hin zur Wasser- und Energieversorgung und Sicherheit der Satellitenkommunikation. Dadurch, dass wir diese Themen schon sehr früh umgesetzt haben, können wir heute, in Zeiten großer Turbulenzen, mit unseren Erkenntnissen dazu beitragen, die digitale und technologische Souveränität Deutschlands zu stärken. Wir behalten unsere Strategie bei, gehen aber ein bisschen offensiver damit um. Unsere bisherige Strategie wird also durch die jetzigen Umstände noch deutlicher sichtbar. 

Vor 50 Jahren wurden die beiden Bundeswehruniversitäten ausschliesslich für Offiziere und Offiziersanwärter gegründet. Seit 2001 sind sie auch für Studierende der Kooperationspartner geöffnet. Ist so eine Teilöffnung heute noch sinnvoll?

An unserem Grundauftrag, Offiziersanwärtern und Offizieren ein akademisches Studium zu bieten, hat sich nichts geändert. Die Öffnung für eine spezifische Studierendenklientel aus anderen Bundesbehörden und Unternehmen tut unserer Universität sehr gut – auch, weil so noch mehr Vielfalt entsteht. Momentan beträgt bei uns der Anteil der zivil Studierenden rund 14 Prozent. Sie kommen zum Beispiel aus dem Bundesfinanzministerium, der Versicherungswirtschaft oder sind zivile Beamte des Bundesverteidigungsministeriums. 

Worin sehen Sie die wichtigste Aufgabe der Bundeswehruniversität heute und worin unterscheidet sie sich von einer Militärakademie? 

Die wichtigsten Aufgaben unserer Universität sehe ich darin, exzellente Forschung, exzellente Lehre und exzellenten Wissens- und Technologietransfer anzubieten – auch, um Lösungen für gravierende Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft zu entwickeln. Das ist uns sehr wichtig. Da wir sehr eng mit der Bundeswehr und dem Bundesverteidigungsministerium verwoben sind, tragen wir durch unsere Forschung natürlich auch dazu bei, Fragestellungen zu lösen, die für die Bundeswehr von Interesse sind. So forschen wir mit dem Großprojekt SeRANIS zu Satellitenkommunikation, das vom Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr mit rund 55 Millionen Euro gefördert wird. Hier forschen wir zu den Themen 5G und 6G und entwickeln einen kleinen Experimentalsatelliten, der in den Orbit geschossen werden soll – ein Projekt, das sowohl für die Kommunikation im zivilen Bereich als auch für das Bundesverteidigungsministerium von Interesse ist. Wie andere Universitäten auch, wollen wir sicherstellen, dass das für solche strategisch wichtigen Projekte notwendige Know-how und die Kompetenzen nicht nur in den USA oder China entwickelt werden und vorhanden sind, sondern auch in Deutschland und Europa. 

Eine Militärakademie unterrichtet vor allem militärische Themen und hat auch keine Forschung, wie wir sie verstehen. Wir bieten ein ziviles Studium mit freier Forschung und Lehre an. Das macht einen großen Unterschied aus. Sie kooperieren in Forschung und Lehre mit einer Vielzahl von Hochschulen weltweit: Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Kooperationspartner aus? 

Zuoberst steht die Qualität des Kooperationspartners und – das gilt auch für unsere anderen Partner – sie müssen mit ihrem Profil und ihren Inhalten zu uns passen. Das gilt sowohl für die Forschung als auch für die Lehre. Wir pflegen Lehrkooperationen und den Austausch von Studierenden auf der ganzen Welt und arbeiten in Forschungsprojekten auch mit recht unterschiedlichen Universitäten und Institutionen zusammen. So arbeiten wir bei der Kooperation mit Munich Aerospace mit der Technischen Universität München, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und dem Bauhaus Luftfahrt zusammen. Mit dem Osaka Institute of Technology in Japan veranstalten wir seit Jahren ein deutsch-japanisches Brückenbausymposium über Erdbebenforschung und Brückensicherheit und im texanischen Austin veranstalten wir gemeinsam mit den Geisteswissenschaften Summer Schools. 

Hochschulen sollten nach unserem heutigen Verständnis einen Beitrag zur Bewältigung gesellschaftlicher und globaler Probleme leisten. Wo sehen Sie hiereine wichtige Aufgabe für Ihre Universität, wo ganz klar Grenzen? 

Für uns gelten die gleichen Grenzen wie für alle anderen Universitäten auch: Wir sind frei in Forschung und Lehre und können im Rahmen unserer thematischen Möglichkeiten jeden Beitrag für Ansätze von Lösungen ziviler, gesellschaftlicher und globaler Probleme leisten. Das praktizieren wir auch schon lange, wie zum Beispiel mit unserem großen Projekt Munich Mobility Research Campus (MORE). Hier erforschen wir die Mobilität von morgen und eine nachhaltige Energieerzeugung. Dazu haben wir unseren Campus in ein großes Living Lab verwandelt. Kollegen unterschiedlichster Fakultäten, Techniker, Ingenieure, Naturwissenschaftler, Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler arbeiten hier gemeinsam an den Themen Mobilität, Nachhaltigkeit und Energie. Sie entwickeln ganzheitliche Lösungen zur Raum- und Verkehrsplanung, Vernetzung von Verkehrsinfrastrukturen, für CO2-neutrale Energieträger, innovative Antriebsformen und autonomes Fahren. Hinzu kommt unsere Forschung für eine europäische Satellitenkommunikation und unser Forschungszentrum RISK. Hier forschen Kollegen aus dem Bauingenieurwesen, den Umweltwissenschaften und Sozialwissenschaften gemeinsam an Problemen und Lösungen zu kritischen Infrastrukturen, Sicherheitsrisiken und möglichen politischen Konflikten. Sie beschäftigen sich mit Krisen- und Katastrophenmanagement und der Zusammenarbeit unterschiedlicher Einsatzorganisationen, wie etwa von Behörden mit Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Rettungsdiensten und der Polizei – und zwar nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend. Während der Hochwasserkatastrophe an der Ahr im Juli 2021 konnten wir so wichtige Unterstützung leisten. 

Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehören auch internationales Krisenmanagement, Krisenfrüherkennung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung. Inwieweit kann eine Bundeswehrhochschule einen Beitrag zur Lösung von Konflikten mit nicht militärischen Mitteln leisten? 

Wie jede andere Hochschule können wir dazu beitragen. Zudem verfügen wir über ganz spezielle Zugänge. Ein Beispiel ist unser Kompetenzzentrum für Krisenfrüherkennung, das das Bundesverteidigungsministerium mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit Datenauswertung und -bewertung unterstützt. Hinzu kommt unser Forschungszentrum „CODE“, das Grundlagenforschung, anwendungsnahe Forschung und Technologieentwicklung zu Cybersicherheit, künstlicher Intelligenz und Quantentechnologien betreibt. Hier werden unter anderem Konzepte zum Schutz von Daten und IT-Infrastruktur eng mit Partnern aus Bundeswehr, Behörden, Forschung und Wirtschaft entwickelt. Zudem verfügen wir unter unseren Professorinnen und Professoren über eine Reihe renommierter Experten, wenn es um die Beurteilung von Krisen und Konflikten geht – darunter Stephan Stetter, Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung; Christina Binder, Professorin für Internationales Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz; Timothy Williams, Professor für Unsicherheitsforschung und gesellschaftliche Ordnungsbildung, oder Carlo Masala, Professor für Internationale Politik. 

Gab es Konflikte, in Bezug auf die Sie sagen können: Die konnten wir als Bundeswehruniversität vorhersehen und durch unsere Expertise verhindern helfen? 

Konflikte verhindern – leider können wir das nicht. Keine Universität kann das. Aber wir haben Forschungsprojekte wie zum Beispiel das Projekt „Media for Peace M4P“, das Potenziale der Digitalisierung und des Journalismus nutzt, um in Kriegs- und Konfliktregionen deeskalierend und friedensfördernd tätig zu sein. Das von Prof. Dr. Sonja Kretzschmar geleitete Projekt konzentriert sich auf Afghanistan und den Libanon. Methodisch werden zum einen Leitfadengespräche geführt und Informationen aus sozialen Netzwerken analysiert. Mit Big-Data-Methoden und künstlicher Intelligenz können Themenentwicklungen ausgewertet und Desinformation erkannt werden. Zudem wird eine journalistische Plattform für konfliktsensitiven, deeskalierenden und friedensfördernden Journalismus entwickelt und evaluiert, die sowohl von zivilgesellschaftlichen als auch militärischen Akteuren zur Friedensförderung in Konfliktregionen nutzbar sein wird. 

Was hat Sie motiviert, die Leitung einer Universität zu übernehmen, die aufgrund ihres Profils von vielen nach wie vor sehr kritisch beäugt wird?

Ich bin seit 2006 an dieser Universität und schätze sie wegen ihrer Vielfalt, ihrer spezifischen wie auch komplexen Fragestellungen, Lehr- und Forschungsaufgaben. Für mich ist das hochinteressant. Durch meine Tätigkeit als Dekanin und Senatsvorsitzende an der Universität wuchs mein Interesse an Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Irgendwann war klar für mich: Präsidentin dieser Universität zu sein, ist eine spannende Aufgabe und ich möchte dazu beitragen, sie weiterzuentwickeln. Eines meiner Anliegen ist es, die Leistungen unserer Universität mit ihrer freien und sehr innovativen Forschung und Lehre – auch in der Ausbildung des Offiziersnachwuchses – in Wissenschaft und Gesellschaft noch bekannter zu machen. Ich möchte eine vorurteilsfreie Anerkennung unserer Universität als Ort der freien Wissenschaft, Forschung und Lehre mit ihrem besonderen Profil und ihrer strategischen Rolle für das Bundesverteidigungsministerium als unserem Träger erreichen. //

Prof. Dr. Eva-Maria Kern

ist seit Januar 2023 Präsidentin der Universität der Bundeswehr München. 2007 wurde sie dort an die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften als Professorin für Wissensmanagement und Geschäftsprozessgestaltung berufen. Von 2016 bis 2018 war die Montanwissenschaftlerin dort Vorsitzende des Senates und von 2019 bis 2022 Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und nachhaltige Entwicklung. Zudem wirkte sie von 2020 bis 2022 als Wissenschaftliche Direktorin und Sprecherin des Zentrums für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr. 

Foto: Christian Siebold / UniBw München

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