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Ich möchte ein Dino sein

Wer kein Smartphone hat, ist von gestern. Wer nicht einmal ein konventionelles Handy hat, müsste eigentlich längst ausgestorben sein. Von wegen. Selbst reine Festnetz-Professoren kommen durch, obwohl ihre Studenten auf einem anderen Planeten leben. Einer dieser Dino-Profs ist unser Autor. Neulich fiel ihm aber etwas auf.

Seit Jahren verweigere ich mich nun der Handy-Welle. Ja, und auch der Smartphone-Welle. Gerade weil ich weiß, dass Handys wie GPS-Sender arbeiten und der Fluch der ständigen Erreichbarkeit nervt. Das einzige Handy, das ich jemals besaß, hatte mir ein indischer Kollege geschenkt. Er riet mir, den klobigen Gebrauchtklotz mit einer Aldi Süd-SIM-Karte zu füttern, die man über ein Internetcafé für einen x-beliebigen Dritten freischaltet. Neugierig probierte ich das aus – bis einige graue Herren vom Landeskriminalamt vor meiner Tür standen und darauf hinwiesen, dass ich nun doch kein Pizzabäcker aus Duisburg-Marxloh sei. Seitdem blieb ich trotzig und verweigerte mich der mobilen Welt. Doch das änderte sich, als ich Dekan wurde. Eine typische Woche aus der Wahnsinnswelt einer Fakultät:.

Montag
16 Uhr:
Meine Weltsicht bröckelt, als ich mit den Mitarbeitern des Dekanats zum gemütlichen Kaffee in der Innenstadt verabredet bin. Alles begann locker – bis die ersten Knochen aus der Tasche gezogen werden. Während des netten Gesprächs werden Nachrichten ausgetauscht, Freunde informiert. Per GPS werden vermisste Dekanatsfreunde zum Glühweinstand gelotst. Getrunken, geredet, ge-appt – alles nahezu gleichzeitig.

18 Uhr: Verstört gehe ich in meine Vorlesung. Und zum ersten Mal fällt mir auf, dass sich auch die Mentalität der dort anwesenden Studierenden stark verändert hat. Man sitzt vor den Laptops und starrt in die graue Welt des WLAN. Erwähne ich einen Paragraphen, wird gleich die Entstehungsgeschichte in der Vorschrift aus dem Netz heruntergebetet. Erwähne ich rhetorisch das parallel laufende Spiel Borussia Dortmund gegen Manchester United, brüllen gleich mehrere EDV-Affen Zwischenstände. Mutti wird über Smartphone informiert, Termine fürs Partyvorglühen werden gesimst.

Dienstag
10 Uhr:
Schlecht geschlafen. Ich komme übermüdet in die Hochschullehrerbesprechung. Ich selbst habe vorab entschieden, dass die Tagesordnung der Sitzung nicht mehr auf Papier, sondern nur noch per E-Mail verschickt wird. Und was sehe ich da? Ein Viertel der Anwesenden zieht digitale Frühstücksbrettchen, insbesondere mit Apfellogo, heraus und beginnt zu lesen – was auch immer. Auf die Intervention eines älteren Kollegen wird darauf verwiesen, dass man ja die Tagesordnung nicht mehr auf Papier habe. Also müsse man die Einladung nebst Anhängen eben elektronisch zur Kenntnis nehmen.

16 Uhr: Ich komme ins Institut zu einer Arbeitssitzung unseres neuen EU-Forschungsprojektes. Juristen und Informatiker arbeiten hier zusammen, zwei Welten begegnen sich. Schon auf dem Flur kommen mir blasse Gestalten mit fettigen Haaren entgegen und stürmen auf mich ein: Ob ich Sechsfach-Elektrostecker besitze. Als ich das verneine, macht sich tiefe Agonie, kombiniert mit Panik, im Gesicht meiner Gegenüber breit. Ich komme in den Raum und denke, ich erlebe gerade den Bundesparteitag der Piraten in Bochum. Hunderte von Kabel hängen über die Tische, Mehrfachstecker sind mäanderhaft in sich verschlungen. Eine bunte Welt von Asus-, Dell-, Apple-Deckeln starrt mich an. Dahinter entdecke ich mühsam im Dunst die Konturen stummer Gestalten, meine Projektkollegen.

Mittwoch
9 Uhr:
Mir ist irgendwie schlecht. Vor mir liegt ein Antrag unseres Beauftragten für das Unirep-Online, eine preisgekrönte E-Learning-Plattform für Examenskandidaten. Der Kollege bittet mich um Weiterleitung eines Einkaufsformulars für Software-Leistungen im Wert von 25.000 Euro. Konkret geht es um die Verbindung der Plattform mit einem Smartphone dergestalt, dass man E-Voting machen kann. Auf meine Frage hin, wozu man das braucht, wird mir erklärt: Man könne dann Online-Abstimmungen mit den Studierenden im Hörsaal machen, ähnlich wie bei Günther Jauch und „Wer wird Millionär?“. Ich nutze den Publikums-Joker und frage alle Studis im Saal: Wer war Savigny? A: ein bedeutender Rechtswissenschaftler oder B: ein Bauunternehmer aus Everswinkel. Das Voting per Smartphone: 70 Prozent für B.

13 Uhr: Ich spreche beim Mittagessen mit Kollegen über die alten Kreidetafeln in unserem Hörsaal, an denen schon berühmte Gestalten wie Harry Westermann das Hypothekenrecht erläutert haben. Ich sehe ein großes Stirnrunzeln. Worüber ich überhaupt rede? Über die neuen elektronischen Tafeln, die man gerade angeschafft habe? Nein, ich rede über die Ästhetik quietschender Kreide und die wunderbaren mechanischen Walzen hinter den Tafeln. Schweigen im Raum – man versteht mich nicht.

16 Uhr: Der Overhead-Projektor ist weg! Seit Jahrzehnten nutze ich ihn in der Vorlesung, um mit Stiften die Verfertigung von Gedanken beim Schreiben zu zelebrieren. Ich hasse Powerpoint. PPT ist verdummend, das ewig gleiche Outfit, die einschießenden Zeilen, das Zwangskorsett für Arme und/oder Unsichere. Ich will Kreide und Tafeln (siehe oben). Aber die gibt’s nicht mehr. Dann wenigstens eine Folienrolle, auf der ich meine Gedanken in der Vorlesung an die Wand werfen kann. Und auch wenn ich durch die Projektorlampe irgendwann einmal erblinde (eine Berufskrankheit aller Dozenten mit Overhead-Sucht) – ich kann frei formulieren, kann Fragen integrieren, spontane Exkurse einlegen. Aber es bleibt dabei: Der Overheadprojektor ist weg, ausgemustert – ich stehe mit leeren Händen vor den Studis. Ein Albtraum. 

Donnerstag
11 Uhr:
Meine Kopfschmerzen lassen nicht nach: Berufungsverhandlungen mit einem Kollegen aus dem Baurecht, den wir nach Münster holen wollen. Die Gespräche mit Rektorin und Kanzler sind gelaufen – zur allseitigen Zufriedenheit. Doch dann kommt die Frage nach EDV-Wünschen. Klar, sage ich, es gibt die Möglichkeit PCs, Drucker, Laptop für den Lehrstuhlinhaber zu besorgen. Doch der Kollege ist nicht zufrieden. Wie es denn mit iPhone 5 und Kindle Paperwhite 3G aussehe? CAD-Arbeitsplatz mit Windows 8 Professional, Autocad 2013, TGA2000? DIN A3 Scanner? Digital-Kamera? Plotter Cybertec W7200? Ich resigniere – der Kanzler auch.

16 Uhr: Mit dem Hausmeister inspiziere ich den Keller und entdecke im hintersten Raum ein klobiges Gerät. Ich bemerke bei ihm eine gewisse Unruhe. Er habe sich schon immer gefragt, was das für ein Gerät sei. Eine Ballmaschine? Ein Wasserwerfer? Ich schaue mir das Teil genauer an und erkenne schnell: Das ist ein alter  Diaprojektor. Faszination meinerseits – so ein wunderschönes altes Leica-Vorführgerät – ein Meisterwerk an Brillanz und mechanischer Präzision. Doch der recht junge Hausmeister wirkt weiter beunruhigt und fragt: Was ist denn ein Dia?

Freitag
22 Uhr:
Ich kann nicht mehr – ich habe eine digitale Magenverstimmung. Ermattet werfe ich mich in mein Bett. Stehe wieder auf, lese Bücher, hole die alten VHS-Filme heraus, reaktiviere den Videorecorder, schwelge in alten russischen Stummfilmen. Kein PC, kein Internetzugang, keine Digitalkamera. Eine Nacht lang Auszeit von Bits & Bytes.

Samstag
10 Uhr:
An der Fakultät brennt es. Wir haben in einem Berufungsverfahren vergessen, ein Sondervotum seitens der Studierenden einzuholen. Was tun? Die Fachschaft ist geschlossen. Privatadressen der Fachschaftsvertreter habe ich nicht. Kurzentschlossen melde ich mich unter falschem Namen auf der Facebook-Seite der Fachschaft an und starte einen Appell: Liebe, liebe Fachschaft, meldet euch beim Dekan, hier ist meine Privatnummer. Die Reaktion ist erdrückend. Ungezählte Scherzanrufer melden sich – und dann der erlösende Anruf des Fachschaftsleiters. Schnell organisiert er ein Meeting und gleich am Montagmorgen habe ich mein Votum. Für irgend etwas ist die digitale Welt doch gut.

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