Glauben, was die eigene Meinung bekräftigt
Wie Menschen Medieninhalte wahrnehmen und deren Glaubwürdigkeit einschätzen, haben Dr. Sandra Walzenbach
... und Prof. Dr. Thomas Hinz von der Universität Konstanz untersucht. Warum die Ergebnisse auch Aufschluss über die Mechanismen bieten, die zur Polarisierung während der Corona-Pandemie führten, erläutert Soziologin Walzenbach im Interview.
Frau Walzenbach, wo sehen Sie den Aktualitätsbezug Ihres Forschungsthemas?
Menschen glauben gerne, was ihre bereits bestehende Meinung bestätigt. Dieses Phänomen ist in der Kognitionspsychologie unter dem Begriff „confirmation bias“ bekannt. Wir wollten herausfinden, ob es auch die zunehmende Polarisierung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den „Querdenkern“ während der Corona-Pandemie erklärt. Denn wir konnten beobachten: Die Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppen scheitert, weil man sich nicht darauf einigen kann, was „wahr“ ist.
Wie sind Sie dabei methodisch vorgegangen?
Wir haben 1178 Personen in einer deutschlandweiten Online-Befragung jeweils drei verschiedene Medieninhalte vorgelegt und sie gebeten, deren Glaubwürdigkeit zu bewerten. Diese Texte deckten Meinungen von sehr regierungsfreundlichen Positionen bis hin zu querdenkernahen Sichtweisen ab. Inhaltlich ging es um das Tragen der Maske, die Covid-Impfung und die wahrgenommene Gefährlichkeit des Virus. Wir haben gefragt, für wie glaubwürdig die Teilnehmenden diese Texte halten, und klargestellt, dass es keine falschen Antworten gibt, sondern es lediglich um eine persönliche Einschätzung geht. Uns interessierte, ob die Qualität der Texte deren wahrgenommene Glaubwürdigkeit bestimmt, ob die Bewertungen auf dem „confirmation bias“ beruhen und inwieweit sich die beiden Gruppen, Mehrheitsgesellschaft und Querdenkende, hierin unterscheiden.
Welches Ergebnis Ihrer Studie hat Sie besonders überrascht?
Dass die objektive Qualität der Texte für die Glaubwürdigkeitseinschätzung nahezu keine Rolle spielte – und zwar sowohl bei der Mehrheitsgesellschaft als auch bei den Querdenkenden. Stattdessen sind unsere Ergebnisse mit der Hypothese des „confirmation bias“ konform. Confirmation bias ist so etwas wie ein Bestätigungsfehler. Kurz gesagt bedeutet das: Der erste Eindruck ist sehr hartnäckig. Das hat drei Gründe: Erstens setzen wir uns lieber Informationen aus, die unserer eigenen Meinung nahestehen. Wir bevorzugen also Informationen, die unsere eigene Meinung bestätigen, die wir zu einem Thema schon haben. Das trifft nicht nur auf Medieninhalte zu, die wir gerne lesen, sondern betrifft auch das reale Leben. Wir tendieren dazu, Freunde und ein Umfeld zu haben, das uns sehr ähnlich ist und unsere Meinungen positiv verstärkt. Der zweite Aspekt ist, dass uns Argumente glaubwürdiger erscheinen, wenn sie unsere Meinung bestätigen. Drittens hinterfragen wir Inhalte, die unserer Meinung widersprechen, stärker. Das heißt, wir finden dann eher Schwächen in der Argumentation.
Könnte man also sagen, dass Menschen einen höheren kognitiven Aufwand betreiben, um Gegenargumente zu falsifizieren?
Ja, das trifft zu. Eine weitere wichtige Frage ist, inwieweit das Internet und die sozialen Medien dazu beitragen, diese Prozesse zu verstärken. Insbesondere, wenn es Algorithmen gibt, die auf Basis unserer vorangegangenen Suchhistorie Inhalte für uns auswählen und wir möglicherweise nur noch mit einem kleinen Teil der Realität konfrontiert werden.
Bewerten diejenigen, die zur Mehrheitsgesellschaft zählen, Fakten systematisch anders als die, die sich den Querdenkern zugehörig fühlen?
Dies war eine zentrale Fragestellung unserer Studie. So ging es bei unseren Textbeispielen nicht nur um eine generelle Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Textes, sondern auch darum, inwieweit objektive Qualitätskriterien das Glaubwürdigkeitsurteil beeinflussen. Deswegen haben wir verschiedene Medientexte verwendet, die mutmaßlich von Wissenschaftlern, Journalisten oder Bloggern verfasst wurden. Und auch die Qualität der Quelle wurde variiert: Manche Medientexte enthielten gar keine Quelle, andere verwiesen auf eine Studie und/oder nannten konkrete Zahlen. Denn wir wollten herausfinden, ob Qualitätskriterien in gleichem Maße eine Rolle für die Mehrheitsgesellschaft und für Querdenkende spielen. Die Antwort darauf ist: Sie spielen in gleichem Maße für beide Gruppen eine eher geringe Rolle. Es gab lediglich einen ganz leichten Glaubwürdigkeitsbonus, wenn der Medieninhalt von einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler stammte – aber auch nur dann, wenn damit die Eigenmeinung bestätigt wurde. Unser Hauptergebnis ist somit: Die Mehrheitsgesellschaft bewertet Mainstream-Medieninhalte als viel glaubwürdiger als alle anderen Inhalte – unabhängig von der Qualität. Und die Querdenkerszene erachtet querdenkernahe Inhalte als sehr viel glaubwürdiger – unabhängig von der Qualität.
Wie erklären Sie sich, dass die Pandemie in Deutschland so stark polarisieren konnte?
In unserer Studie finden wir in der Mehrheitsgesellschaft und bei den Querdenkern die gleichen kognitiven Mechanismen der Medienwahrnehmung. Der erste Eindruck hält sich hartnäckig, auch bei einer veränderten Faktenlage. Dieser Mechanismus kann schnell zu einer Verhärtung der Fronten und zu einer Polarisierung beitragen, sodass der Entwicklung durch Fakten nicht mehr beizukommen ist. Dass Menschen am Anfang der Pandemie so empfänglich für Falschinformationen waren, hängt vermutlich damit zusammen, dass wir noch nicht viel darüber wussten, wie gefährlich das Covid-Virus ist. Ängste und Sorgen bestimmten das Leben vieler Menschen. Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass die Querdenker-Bewegung sehr stark über soziale Medien mobilisiert hat, wo es keinen Faktencheck gibt. Ich denke, es war die Kombination aus Mediennutzung und einer Situation der Unsicherheit, in der manche Menschen das Bedürfnis nach Orientierung und einer starken Meinung hatten. Psychologisch betrachtet ist es außerdem hilfreich, einen Sündenbock für Geschehnisse festzumachen und soziale Einbindung in einer Gruppe zu finden. Auf diese Bedürfnisse haben die Querdenker reagiert und damit die Polarisierung in der Gesellschaft vorangetrieben.
Um hier ganz bewusst den Blick auf die Mehrheitsgesellschaft zu lenken: Der gehören doch Menschen an, die oft einen Bildungshintergrund haben, der zum kritischen Denken anregen müsste. Wie kommt es trotzdem zu diesem Ergebnis?
Unsere Studie spiegelt den Durchschnitt der Mehrheitsgesellschaft wider. Das heißt nicht, dass jede Person gleich handelt. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob der Verweis auf den Bildungshintergrund ein gutes Argument ist. Die Querdenker-Bewegung ist eine sehr heterogene Bewegung, teils mit Personen, die über einen hohen Bildungsabschluss verfügen. Die bisherige Forschung zu den Querdenkern zeigt, dass die Bewegung sich einerseits aus rechtspopulistischen und rechtsextremen Ideologien speist. Andererseits hat das Querdenkertum im Südwesten und insbesondere in Baden-Württemberg seine Wurzeln eher in der Anthroposophie und der linken Esoterik-Szene.
Mein Verdacht ist eher, dass unsere Studie einen universellen Mechanismus aufzeigt, der mit dem Bildungshintergrund wenig zu tun hat. Dafür spricht auch, dass wir keine systematischen Unterschiede in den Bewertungen von Befragten mit verschieden hohen Bildungsabschlüssen finden.
Worin sehen Sie den Mehrwert und die Bedeutung Ihrer Forschung für die Gesellschaft?
Sowohl die Wissenschaft als auch die Medien sind insbesondere während der Corona-Pandemie in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten. Gleichzeitig haben wir stark polarisierte Meinungen in Bezug auf die Pandemie erlebt. Diese Entwicklungen versuchen wir mit Studien wie dieser besser zu verstehen. Außerdem hoffe ich, dass solche Forschung eine kritische Debatte über soziale Medien anstoßen kann, die der Verbreitung von Falschinformation im Großen und Ganzen tatenlos zusehen. Insbesondere die Plattform Facebook stand in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik: wegen Beeinflussungen der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, wegen des Skandals um die Unterstützung der „LeaveEU“-Kampagne durch Cambridge Analytica und wegen Algorithmen, die emotionale Inhalte begünstigen und Konflikte schüren, nur um Klicks und Werbeeinnahmen zu erhöhen. Auch Twitter ist ein aktuelles Beispiel. Hier hat Elon Musk kürzlich Stellen gestrichen, die für die Qualitätskontrolle der Inhalte relevant waren. Damit verbunden ist die Frage: Wollen wir als Gesellschaft zulassen, dass Global Player wie Facebook oder Google die Alleinhoheit darüber haben, was gesagt und gesehen werden darf und was nicht? Das alles sind sehr wichtige, sehr aktuelle und spannende Themen – auch für unsere Forschung. //
Die Ergebnisse der Studie zum Download finden Sie hier.
Dr. Sandra Walzenbach
ist Postdoktorandin am Fachbereich Soziologie der Universität Konstanz. Ihre Forschungsinteressen gelten den Methoden der Empirischen Sozialforschung und der Befragungsmethodologie – darunter Befragungsexperimenten zu heiklen Fragen und sozialer Erwünschtheit. Zudem erforscht sie, welchen Einfluss Interviewerinnen und Interviewer sowie verschiedene Befragungstechniken auf die Ergebnisse solcher Studien haben.
Foto: Jon Nears / University of Essex
DUZ Magazin 01/2023 vom 20.01.2023