Ausbildung interessanter machen
An Hochschulen arbeiten Fachkräfte in Verwaltung, Werkstätten oder Laboren. Das wissenschaftsunterstützende Personal ist unabdingbar, damit der Wissenschaftsbetrieb funktioniert. Um sich den für diese Arbeitsbereiche notwendigen Nachwuchs zu sichern, bilden Hochschulen selber aus. Doch es wird zunehmend schwieriger für sie, Auszubildende zu finden. Neue Ideen sind gefragt.
Im Herbst verschicken viele Hochschulen Pressemitteilungen, in denen sie ihre neuen Auszubildenden vorstellen. Auch wenn die Azubis selbst an großen Universitäten nur eine kleine Gruppe darstellen, sind sie als wissenschaftsunterstützende Beschäftigte entscheidend am Erfolg von Hochschulen und Forschungsinstituten beteiligt. In den fakultätseigenen Werkstätten beugen sich beispielsweise Feinmechanikerinnen, Metallbauer oder Chemielaborantinnen über komplexe Skizzen von Forschenden und zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sich daraus konkrete Apparate und Versuchsreihen aufbauen lassen. In den Laboren und Werkstätten arbeiten qualifizierte Handwerker, Techniker und andere Spezialisten auch daran, Studierende und Doktoranden zu unterstützen. Damit Verwaltung, Administration und Rechenzentren problemlos funktionieren, sind gut ausgebildete Beschäftigte notwendig. Doch auch an den Hochschulen zeigt sich der Fachkräftemangel. Manche bilden deshalb selbst in dualen Berufen aus.
An der Ruhr-Universität Bochum (RUB) verfügt fast jede Fakultät über eine eigene Werkstatt. Die 1962 gegründete Hochschule mit knapp 42 000 Studierenden bot schon immer duale Berufsausbildungen an, denn anfangs sei es schwierig gewesen, wissenschaftsunterstützendes Personal zu finden, erinnert sich Bernhard Willkomm, verantwortlich für die berufliche Ausbildung an der RUB. Inzwischen zählen 23 Ausbildungsberufe zum Portfolio, vom Baustoffprüfer über den Tierpfleger bis zu Fitnesskaufleuten reicht das Angebot und bis zu 170 Ausbildende erlernen an der RUB einen Beruf. Seit 2009 bildet die Hochschule auch Bürokaufleute aus. „Um diesen Beruf anzubieten, habe ich mich selbst als Ausbilder weiterqualifiziert und registriert“, sagt Willkomm, der eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten absolviert hat.
Doch die duale Berufsausbildung steckt in der Krise. Immer weniger Jugendliche interessieren sich dafür. Das spüren auch die Hochschulen. An der Ruhr-Universität stehen die Bewerberinnen und Bewerber längst nicht mehr Schlange. „In Feinwerkmechanik bilden wir zwischen zehn und 20 Jugendliche aus. Allerdings ist es mittlerweile schwer, genügend Bewerber zu finden“, sagt Willkomm. Dabei finden die Absolventen nach ihrer Ausbildung leicht einen attraktiven Arbeitsplatz. „Viele Firmen in der Region wissen, dass wir über Bedarf ausbilden. Wer sein Handwerk beherrscht, hat später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Willkomm. Ähnlich sieht es bei den Fachinformatikern aus, die in und außerhalb der Universität gefragt sind.
Exotische Ausbildungsberufe sind besonders gefragt
Unter den 22 Ausbildungsberufen der RUB finden sich auch exotische Fachrichtungen, etwa die des Glasapparatebauers. Dessen Aufgabe ist es beispielsweise, später für die universitären Chemielabore spezielle Reagenzgläser für Experimente anzufertigen. Paradoxerweise sei es für solche Ausbildungsberufe einfacher, talentierte Bewerberinnen und Bewerber zu finden. Je spezieller die Aufgaben, desto engagierter seien häufig diejenigen, die sich bewerben, hat Bernhard Willkomm festgestellt. „Oft suchen die Jugendlichen ganz gezielt nach solchen Ausbildungsplätzen. Wer sich als Physiklaborantin oder Glasapparatebauer bewirbt, hat sich meistens intensiv mit dem Thema beschäftigt und kommt gut vorbereitet zu uns.“ Zwar bewerben sich überwiegend Jugendliche direkt nach der Schule um einen Ausbildungsplatz, aber auch nach einem Studienabbruch, einem abgeschlossenen Studium oder dem Zuzug nach Deutschland interessieren sich Menschen für eine Ausbildung an der RUB.
Doch Bernhard Willkomm kennt auch die Probleme der Azubis. „In der Schule wird zu wenig Wert auf Rechtschreibung und deutsche Grammatik gelegt. Auch in Mathematik, Geschichte und Geografie gibt es Lücken“, sagt er und nennt ein Beispiel: „Wenn ich zu den Bürokaufleuten sage: ‚Wir schreiben einen Brief‘, dann verziehen viele das Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck ist göttlich, die Panik ist ihnen anzusehen“, sagt Willkomm und lacht. Trotzdem interessieren sich viele für die Ausbildungsplätze im Büromanagement.
Tierpfleger: Labortiere betreuen statt Eisbären kraulen
Um falschen Erwartungen vorzubeugen und über Ausbildungsberufe zu informieren, bietet die RUB auch Praktika an. Mancher überdenkt danach seinen Berufswunsch. Beliebt unter Jugendlichen ist die Ausbildung zum Tierpfleger. Doch anders als in einem Tierpark betreuen sie an Hochschulen überwiegend Labortiere, die meistens später sterben. „Bei uns kraulen die Tierpfleger keine Eisbären“, sagt Willkomm. Das schrecke trotzdem nicht ab, denn die RUB habe genügend Bewerbungen für diesen Ausbildungsberuf.
Auch die Technische Universität (TU) Dresden bildet wissenschaftsunterstützenden Nachwuchs aus. Dort beginnen jedes Jahr etwa 25 junge Menschen ihre Berufsausbildung. Sie können zwischen elf Ausbildungsberufen wählen, 84 Ausbildungsplätze gibt es insgesamt. Anders als in Bochum sei es an der TU Dresden allerdings schwierig, genügend Interessierte für die Ausbildung zum Tierpfleger zu finden. Beliebt sind dagegen Positionen für Fachinformatiker, die an der TU Dresden mit unterschiedlichen Schwerpunkten, etwa in der Anwendungsentwicklung oder Systemintegration, angeboten werden. Auch das hochschuleigene Hochleistungsrechenzentrum reizt als Ausbildungsort. „Für die Ausbildung zum Fachinformatiker haben sich auch schon Studienabbrecher beworben, die sich von Anfang an mehr Praxis wünschen“, sagt Claudia Kallmeier vom Presseteam der TU Dresden.
Gefragt in der Hightech-Region Dresden sind auch gut Ausgebildete in Mikrotechnologie. Viele Firmen sowie die Universität suchen Auszubildende für diesen Beruf. Keine leichte Aufgabe, alle Ausbildungsplätze für diese anspruchsvolle Aufgabe zu besetzen, wie Kallmeier berichtet. „Es ist ein harter Job“, sagt sie. Während an der Universität Bochum die Ausbildung zum Gärtner beliebt ist, findet die TU Dresden nur schwer genügend Interessierte, obwohl der zur TU gehörende Botanische Garten sowie die forstwissenschaftlichen Studiengänge den Auszubildenden interessante Einblicke in Forschung, artgerechte Anzucht, Pflanzenschutz oder auch in die universitätseigene Baumschule geben. „In allen körperlich anstrengenden Ausbildungsberufen wird es immer schwieriger, Bewerberinnen und Bewerber zu finden“, sagt Kallmeier.
Auch in Dresden bildet die TU mehr junge Menschen aus, als sie für den eigenen wissenschaftsunterstützenden Sektor benötigt. In die Arbeitslosigkeit entlässt die Universität ihre Absolventen dennoch nicht. „Wir können für alle Übergangsphasen schaffen“, erklärt die Pressesprecherin. Fehlt nach der Ausbildung eine freie Position, ermöglicht die Hochschule mit Zeitverträgen für ein halbes oder ganzes Jahr eine Anschlussbeschäftigung. Oft ist das aber gar nicht nötig, denn in gefragten Berufen werben Firmen aus der Region die gut Ausgebildeten vom Fleck weg ab.
Neben großen Universitäten engagieren sich auch kleinere und mittelgroße Hochschulen in der dualen Ausbildung, beispielsweise die Universität Trier in Rheinland-Pfalz. Neben den rund 11 000 Studierenden lernen dort auch 36 Auszubildende, um beispielsweise später an der Hochschule als Industriemechaniker oder in einem kaufmännischen Beruf zu arbeiten. „Wir bilden hauptsächlich für den Eigenbedarf aus“, sagt Ausbildungsleiterin Margarete Peter-Konz. Werbung für die Ausbildungsplätze sei durchaus notwendig, um genügend junge Menschen für die offenen Positionen zu finden. In einer ersten Ausschreibungsphase im Oktober bewerben sich meistens Schüler und Schülerinnen. Im Frühjahr schreibt die Universität nochmals ihre Lehrberufe aus, in dieser Phase interessieren sich vermehrt Studienabbrecher und -abbrecherinnen für eine berufliche Ausbildung, so die Erfahrung von Margarete Peter-Konz.
Auch Geflüchtete bewerben sich für eine berufliche Ausbildung an der Uni Trier, ebenso wie Jugendliche mit Migrationshintergrund oder einem Hauptschulabschluss. Oft kommen diese Azubis gut mit den praktischen Aufgaben klar, doch bei einigen hapert es bei den Deutschkenntnissen oder sie haben Defizite in anderen Fächern und können das Gelernte sprachlich nicht so gut ausdrücken, erläutert Peter-Konz. Deshalb fördert die Uni diese Azubis früh mit Nachhilfekursen, wenn sie in einzelnen Fachgebieten noch aufholen müssen. Ausbildungsbegleitende Hilfen, etwa Deutschkurse, finanziert in Rheinland-Pfalz auch die Arbeitsagentur mit. Das Engagement für die Azubis zahlt sich aus, denn die Absolventen einer dualen Berufsausbildung bleiben oft lange an der Universität Trier. „Die von uns ausgebildeten Leute sind ziemlich anhänglich und bleiben uns treu, die von außen zu uns kommen wechseln leichter wieder in einen anderen Job“, sagt Margarete Peter-Konz.
Das Erfolgsmodell Berufliche Bildung in der Krise
Lange Zeit galt die duale Berufsausbildung als Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft. Die in Betrieben, Werkstätten und Berufsschulen ausgebildeten Fachkräfte trugen dazu bei, dass die Nachfrage nach Expertinnen und Experten erfüllt werden konnte. Doch seit vielen Jahren sinkt die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und eine schwierige Auftragslage in der momentanen Wirtschaftskrise erschweren es vielen Jugendlichen zusätzlich, einen passenden Ausbildungsplatz zu finden.
Im Jahr 2021 wurden nur 466 200 neue duale Ausbildungsverträge abgeschlossen – ein historisch niedriges Niveau. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, stieg die Zahl der Neuverträge zwar um 0,6 Prozent gegenüber dem ersten Corona-Jahr 2020. Verglichen mit dem Vorkrisenjahr 2019 sank sie aber um neun Prozent, denn damals wurden mehr als 500 000 Neuverträge unterzeichnet. Insgesamt befanden sich Ende 2021 deutschlandweit rund 1 255 400 Personen in einer dualen Berufsausbildung. Das waren drei Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Mehr als doppelt so viele lernen an einer Hochschule. Im Wintersemester 2021/22 bezifferte Destatis die Zahl der Studierenden auf rund 2,946 Millionen, darunter 472 354 Erstsemester. Inzwischen entscheiden sich mehr junge Menschen für ein Studium als für eine Berufsausbildung.
Arbeitsmarktexperten sorgen sich, wie Firmen zukünftig ihre Fachkräfte finden können, wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Wer soll die Wirtschaft am Laufen halten? Zuwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften scheint der präferierte Lösungsansatz zu sein. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung weiß um die Sorgen der Firmen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wirbt deshalb dafür, akademische und berufliche Bildung als gleichwertig einzustufen. Auch Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) fordert, die berufliche Bildung zu stärken und weiterzuentwickeln, um dem Fachkräftemangel zu entkommen.Dazu formuliert Esser konkrete Vorschläge: „Das verbindliche Sichtbarmachen von Gleichwertigkeit wäre ein starkes Signal an die junge Generation, an deren Bedürfnissen sich die Entscheidungen in der beruflichen Bildung künftig stärker orientieren sollten“, sagte der BIBB-Präsident.
Doch das wird nicht reichen. Bildungs- und Förderangebote sollten viel früher ansetzen, damit Jugendliche auf dem Weg von der Schule über eine Ausbildung hin zur Berufstätigkeit nicht auf der Strecke bleiben. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass viele junge Menschen zwischen Schule und Beginn der Ausbildung orientierungslos sind und der Übergang zwischen beiden Welten nicht nahtlos verläuft. Die Studie ergab, dass nur 43 Prozent der Jugendlichen direkt nach dem Verlassen einer allgemeinbildenden Schule in Ausbildung oder Studium wechseln. Erschreckend ist, dass vier Jahre nach Verlassen der Schule 27 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer, die höchstens einen Hauptschulabschluss mitbringen, weder eine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben noch in Ausbildung sind.
Viele Jugendliche mit Hauptschulabschluss fallen durchs Raster
Noch schwieriger ist die Situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss. Bewerben sie sich um einen Ausbildungsplatz, begegnen ihnen viele Arbeitgeber mit Vorurteilen und zweifeln an ihrer Eignung, wie eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie zeigt. Das habe dramatische Folgen für die Betroffenen selbst, denn ihr gesamter weiterer Lebensweg werde dadurch erschwert, wenn sie nicht die gleichen Chancen wie andere junge Menschen haben, schreiben die Studienautorinnen Dr. Janina Söhn vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) und Sophie Krug von Nidda von der Universität Paderborn. In Zeiten des Fachkräftemangels sei es auch aus unternehmerischer Sicht schädlich, wenn Bewerberinnen und Bewerbern aufgrund ethnischer Zuschreibungen und Vorurteile keine Ausbildungsplätze angeboten würden, so die Forscherinnen.
Auf diesen Missstand aufmerksam geworden sind sie, als sie untersuchten, wie Entscheidungen zur Besetzung von Ausbildungsplätzen zustande kommen. Ausgewertet haben sie Daten über Ausbildungsbetriebe sowie Erfahrungen von Bewerberinnen und Bewerbern, die das SOFI im Rahmen mehrerer Evaluationsstudien erhoben hat. Ergänzt haben sie die Daten um zehn Interviews mit Personalverantwortlichen in Betrieben aus dem Dienstleistungsbereich. Im Alltag unterscheiden Arbeitgeber zwischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ihre gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht haben, und denen, die erst vor kurzer Zeit ins Land gekommen sind, schreiben sie.
Auch BIBB-Präsident Esser weiß um dieses Problem und fordert mehr Engagement für diese Personengruppe, denn die berufliche Bildung müsse flexibler und inklusiver werden, und zwar angefangen bei der Berufsorientierung bis hin zu den Meisterklassen. „Wir müssen mit unseren Angeboten alle Zielgruppen erreichen und ungenutzte inländische Potenziale besser ausschöpfen. Dass zum Beispiel mehr als 2,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss sind, ist kein Ruhmesblatt für Deutschland.“ Esser fordert, Angebote der beruflichen Bildung stärker an den individuellen Voraussetzungen der Menschen auszurichten. Auch Universitäten und Hochschulen mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag könnten sich stärker engagieren, um benachteiligten Jugendlichen mehr Chancen auf eine duale Berufsausbildung zu eröffnen. //
DUZ Magazin 01/2023 vom 20.01.2023