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Dauerstellen für Daueraufgaben

Vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz zum Wissenschaftsentfristungsgesetz

Text: Maike Finnern und Dr. Andreas Keller

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) gibt Arbeitgebern in der Wissenschaft das Recht, Wissenschaftler*innen vor der Promotion sechs Jahre, nach der Promotion weitere sechs, in der Medizin sogar weitere neun Jahre befristet zu beschäftigen, und zwar ohne Angabe von Sachgründen. Zum Vergleich: In allen an­ deren Branchen ist die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung auf nur zwei Jahre beschränkt. Gerechtfertigt wird dieses „Privileg“ mit wissenschaftlicher Qualifizierung, die an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stattfindet.

Spätestens seit der im Mai 2022 veröffentlichten Evaluation des Wiss­ ZeitVG im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wissen wir aber: Die Befristungspraxis in der Wissenschaft hat sich weit von dem ursprünglichen Zweck, Qualifizierung zu fördern, entfernt. 84 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an Universitäten und 78 Prozent an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) sind befristet beschäftigt. Die durchschnittliche Laufzeit der Zeitverträge liegt an den Universitäten bei 18, an den HAW bei 15 Monaten – bei einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5,7 Jahren (ohne Medizin).

Bereits 2020 hat Dr. Freya Gassmann in der ersten Evaluation des WissZeitVG, die die Max-­Traeger­-Stiftung der GEW förderte, aufgezeigt, dass sich in den letzten 25 Jahren zwar die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen verdoppelt hat, aber die Zahl der Promotionen im gleichen Zeitraum stagnierte.

Weiter wissen wir, dass viele Wissenschaftler*innen zwar regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit leisten, aber die Arbeit an Dissertation oder Habilitation in ihre Freizeit verlagern müssen – obwohl die Förderung der Qualifizierung der Grund für die Befristung des Arbeitsvertrages ist.

Das WissZeitVG gibt also vor, die wissenschaftliche Qualifizierung zu fördern, legitimiert aber tatsächlich eine hemmungslose Befristungspraxis, die zum Selbstzweck geworden ist. Es ist höchste Zeit, die­se Qualifizierungslüge aufzudecken und das Befristungsprivileg der Hochschulen und Forschungsinstitute auf die Promotion zu begrenzen, diese mit angemessenen Rahmenbedingungen abzusichern und die Beschäftigung von promovierten Wissenschaftler*innen grundsätzlich mit einer Dauerperspektive auszustatten.

Wie das gehen kann, zeigt die GEW mit ihrem Dresdner Gesetzentwurf für eine Weiterentwicklung des WissZeitVG zu einem Wissenschaftsentfristungsgesetz (WissEntfristG).

Wo Qualifizierung stattfindet und Arbeitsverträge deshalb befristet werden, muss das Gesetz Rahmenbedingungen sicherstellen, die eine erfolgreiche Qualifizierung ermöglichen. Dazu gehören verbindliche Mindestlaufzeiten und das Recht auf Qualifizierung in der Arbeitszeit. Wo keine Qualifizierung stattfindet, werden Daueraufgaben erfüllt, für die Dauerstellen bereitgestellt werden müssen.

Dauerstellen für Daueraufgaben“ – dieser alte GEW­-Slogan hat Eingang in den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vom Dezember 2021 gefunden, die sich eine Reform des WissZeitVG vorgenommen haben.

Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, das Parlament muss Farbe bekennen. Wir wünschen uns, dass es den von der GEW vorgelegten Dresdner Gesetzentwurf als Blaupause für die anstehende WissZeitVG-­Reform nutzt. Dabei gilt anders als bei wissenschaftlichen Publikationen kein Plagiatsverbot: Abschreiben ist ausdrücklich erbeten.
Darum jetzt bestellen: DUZ Special Dauerstellen für Daueraufgaben

Maike Finnern ist Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Dr. Andreas Keller ist Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW.

Illustration: Alandan
Foto Maike Finnern: Kay Herschelmann

Foto Dr. Andreas Keller: Kay Herschelmann





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