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Hochschulen ausgebremst

Die Lehrerausbildung ist in Deutschland eine Dauer-Baustelle. Ende November sollte eine Qualitätsoffensive endlich den Durchbruch bringen. Doch Bund und Länder kamen nicht zu Potte. Die Reformer an den Hochschulen werden weiter ausgebremst.

Die Erwartungen waren hoch an die sogenannte Qualitätsoffensive Lehrerbildung und ehrgeizig das Ziel: Mit rund einer halben Milliarde Euro zusätzlich wollte Bundesforschungsministerin Dr. Annette Schavan die Lehrerbildung an den Hochschulen bis zum Jahr 2023 auf die Höhe der Zeit gebracht wissen. Das Lehramtsstudium sollte auf breiter Basis um Praxisanteile ergänzt, Fachdidaktiker sollten stärker mit den Fach- und Bildungswissenschaftlern zusammengebracht, Curricula überarbeitet werden. Nicht zuletzt sollte der Lehrerausbildung an Hochschulen endlich die Wertschätzung zuteil werden, die ihr bislang versagt bleibt. Seit Jahren führt sie ein Schattendasein in den Unis. 
Genau das wird nun länger als gehofft so bleiben. Mitte November konnten sich Bund und Länder während der Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) jedenfalls nicht zum Beschluss der Qualitätsoffensive durchringen. Die Verhandlungen scheiterten, weil Schavan zur Bedingung machte, dass die Länder die Mobilitätshürden für Lehrer abbauen. Das heißt: eine gegenseitige und unkomplizierte Anerkennung von Abschlüssen. Darüber nun wollen die Kultusminister in Ruhe beraten.

In den Zangen des Föderalismus

Einen Staatsvertrag lehnten sie bereits ab. Statt dessen soll nun eine Richtlinie erarbeitet werden, die die Länder im März 2013 vorlegen möchten. Sie soll Landesbehörden ermöglichen, ihre Entscheidungen einheitlich und im Sinne uneingeschränkter bundesweiter Mobilität zu treffen – zum Beispiel beim Wechsel eines Master-Absolventen in ein Land, in dem das Lehramtsstudium mit dem Staatsexamen abschließt. Genügt diese Richtlinie Schavans Ansprüchen, könnte die Qualitätsoffensive im April 2012 beschlossen werden.
Die Hochschulen warten längst darauf. Denn wie so viele Bildungsthemen steckt auch die Modernisierung der Lehrerausbildung fest in den Zangen des Föderalismus. Sie ist zwar Sache der Länder, doch fehlt ihnen das Geld für die dringend nötige Verbesserung des Studiums. Auch die Einstellung zusätzlicher Lehrer an Schulen scheitert an der Finanznot der Länder.

Die Anforderungen an die künftigen Ausbilder der Nation haben sich gewandelt. Einfach nur Wissen an Kinder und Jugendliche weiterzugeben, reicht nicht mehr. Heute haben Lehrer nicht selten höchst heterogene Klassen vor sich, müssen mindestens so viel Erziehungsarbeit wie Wissensvermittlung leisten und sollen Schüler kompetenzorientiert unterrichten. Wie all das gelingen kann, wird ihnen im Studium nicht beigebracht. Das Referendariat kommt einem Sprung ins kalte Wasser gleich, nach dem viele erschrocken den Beckenrand suchen, um auszusteigen.
Oft bilden Unis auch einfach die Falschen aus. Geschichte gilt als brotlose Kunst. Geschichte auf Lehramt zu studieren nicht. So denkt der Abiturient und schreibt sich ein. Studien zeigen, dass eine noch größere Rolle bei der Entscheidung zum Lehrerberuf spielt, dass das Studium in Heimatnähe möglich und der spätere Job familienkompatibel ist. Doch viele täuschen sich und bereuen später ihre Wahl. Da der Numerus Clausus die einzige Zulassungsbeschränkung ist, bemühen sich die Universitäten, die Eignung der Studierenden in Selbsttests zu prüfen. Das hilft nur bedingt, denn worauf sie abzielen, ist leicht durchschaubar.

Schnupperphasen sind wichtig

Lediglich Bayern setzt auf ein dreiwöchiges Orientierungspraktikum vor dem Studium. Die Uni Passau lädt Bewerber zudem zu einer Art Assessment Center ein. Im persönlichen Gespräch, in Gruppendiskussionen und Rollenspielen ergründen Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrer die Motivation, die Empathiefähigkeit und andere Stärken und Schwächen.
Tests und Beratung zu Studienbeginn sind häufig der Auftakt für eine studienbegleitende Reflexion. Die Uni Kassel zum Beispiel setzt ihre Lehramtsstudenten im ersten Studienjahr in die Pflichtveranstaltung „Psychosoziale Basiskompetenzen für den Lehrerberuf“. Solche Angebote folgen der Überzeugung: Lehren muss man lernen. Doch geht diese Rechnung nur auf, wenn Studierende Praxiserfahrungen sammeln können – und nicht erst im Referendariat einen Schock erleiden. Deshalb integrieren viele Unis mittlerweile Praktikumsphasen oder -semester in das Studium. So ist an der Uni Hildesheim jeder Freitag im ersten und zweiten Semester ein Schultag. Die Studenten hospitieren im Unterricht und besprechen ihre Beobachtungen mit Lehrern und Wissenschaftlern. Nach diesen schulpraktischen Studien im ersten Jahr verabschieden sich viele vom Berufsziel Lehrer. In den höheren Semestern ist die Abbrecherquote dann sehr gering. Das Modell aus Hildesheim ist eines, das bei Schavans 500 Millionen-Euro-Programm gute Chancen hätte. Nicht umsonst schaute sie es sich im November vor Ort genauer an. Aber auch andernorts bemühen sich Unis, die Ausbildung zum Lehrer zu verbessern. Zum Beispiel an den Unis Konstanz und Würzburg. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit mit Schulen vor Ort, Studierende gestalten den Unterricht mit.

„Es braucht eine offene Feedback-Kultur.“

Mehr Praxis ist jedoch nicht die Lösung des Problems: „Entscheidend ist eine gute Vor¬ und Nachbereitung“, stellt Prof. Dr. Udo Rauin, Bildungsforscher an der Uni Frankfurt klar. Und da kommt die Theorie wieder ins Spiel. Sie ist weiter nötig für eine gründliche, wissenschaftliche Reflexion der Arbeit im Klassenzimmer. Parallel dazu braucht es eine „offene Feedback-Kultur, notfalls auch mit dem Hinweis, dass ein Student sich keinen Gefallen tut, wenn er am Berufsziel Lehrer festhält“, sagt Rauin.
Theorie und Praxis zusammenzubringen, ist Aufgabe der Unis. Doch in der Regel kümmern sie sich nicht richtig darum. Lehramtsstudierende tauchen in den ersten Semestern erst einmal in die Fachwissenschaften ab und steigen erst gegen Studienende in die Fachdidaktik ein.

Verschärft wird diese anfangs eher berufsferne Ausbildung durch ein strukturelles Problem: Die Zuständigkeit für die Lehrerausbildung verteilt sich über die ganze Universität. Die Studierenden besuchen Veranstaltungen an verschiedenen Fakultäten. Aber es kümmert sich niemand so richtig um sie. Die Fachwissenschaften machen keine speziellen Angebote für sie. Deshalb müssen Lehramtsstudenten zum Beispiel eine Einführung in die Allgemeine Soziologie besuchen, obwohl eine Vorlesung zur Bildungssoziologie geeigneter wäre.
Auf diese Weise führt die Lehrerausbildung ein Schattendasein an deutschen Universitäten. Sie hat keine strategische Bedeutung. Zwar gibt es die Zentren für Lehrerbildung, die an 50 Universitäten die interne Koordination der Lehramtsstudiengänge leisten sollen. Doch die diskutieren auf ihren Tagungen noch über Für und Wider der Bologna¬Reform, anstatt sich um die Zukunft der Lehrerausbildung in Zeiten von Bachelor und Master zu kümmern. Ihr Haupt¬Manko: Sie haben keine Macht.

Unis und Wissenschaftsministerien, die etwas ändern wollen, hören zunehmend auf die Vorschläge von Bildungsexperten wie Prof. Dr. Jürgen Baumert. Er empfahl im Herbst 2012 dem Land Berlin, die Lehrerausbildung an sogenannten Schools of Education zu organisieren. Das sind eigenständige Institutionen, die Fakultätsstatus genießen, also auch über ein eigenes Budget verfügen. Die TU München hat im Jahr 2009 als erste Uni mit diesem Modell Schlagzeilen gemacht. Dort ist die School mit 18 Professuren und 16 Millionen Euro Stiftungsgeldern großzügig ausgestattet. Sie hat die Finanzhoheit über die TU-weite Lehrerausbildung und steht mit 116 Fachdidaktikern und -wissenschaftlern an 12 Fakultäten im Austausch, um den Studierenden eine gute Ausbildung zu bieten.

Das TUM-Modell ist nicht einfach auf andere Universitäten übertragbar. Manche Unis kochen zwar auch auf dem neuen Feuer, aber mit kleinerer Flamme. Offenbar fehlt das Geld. Zum Beispiel in Frankfurt/Main. Dort gibt es seit Juni 2012 die Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL). Sie hat die Aufgabe, grundsätzliche Fragen der Lehrerausbildung zu klären. Dazu gehört die Aufnahme neuer Studieninhalte, wenn sich das Anforderungsprofil an Lehrer ändert – etwa beim Thema neue Medien oder bei Inklusion, also der Integration gesellschaftlich benachteiligter Kinder in der Schule. Darüber hinaus betreibt die ABL eigene Forschungsprojekte und kümmert sich um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Reformen sind Gratwanderungen

Die Lehre bleibt bei den Fachbereichen. Es gibt keine eigene Fakultät wie in München. Grund für diese Entscheidung war, dass man nicht jahrelang planen und verhandeln, sondern durchstarten wollte. Zudem sollte das traditionelle Band zwischen Fachwissenschaftlern und Fachdidaktikern nicht zerrissen werden, wenn diese aus ihren Fachbereichen herausgelöst worden wären, sagt ABL-Direktor Prof. Udo Rauin: „So hätten wir nur neue Gräben aufgerissen.“
Ob nun Schools of Education oder Akademien wie in Frankfurt – was die Unis mit ihren Pilotversuchen leisten, ist für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft  (GEW) „eine Gratwanderung“. So nennt es Dr. Andreas Keller, im Vorstand zuständig für die Hochschulen: „Lehrer sollen wissenschaftlich ausgebildet werden. Eine Integration in den Forschungs- und Lehrbetrieb ist daher unverzichtbar. Andererseits dürfen die Fachdidaktiken und die Pädagogik nicht untergehen“, sagt er. Die ABL-Mitarbeiter versuchen, das zu verhindern, indem sie mit den Fachbereichen Vereinbarungen über das Lehrangebot treffen. Damit kann man nicht so stark steuern wie an der TUM, aber „unsere Verhandlungsposition ist deutlich besser als früher“, sagt Rauin. Machtvoll agieren könnte er erst, wenn er Geld zu verteilen hätte.

Ein König ohne Schatztruhe ist so betrachtet auch Prof. Dr. Peter Drewek, Dekan der Professional School of Education (PSOE) an der Uni Bochum. Das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz gibt diesen Schools und Zentren für Lehrerbildung nicht die Hoheit über die Finanzen. Allerdings gewährt das Gesetz Gestaltungsmöglichkeiten bei Forschung, Nachwuchsförderung und Weiterbildung, also bei der Ausbildung der Ausbilder. Für Drewek ist das ein wichtiger Punkt: „Wir können viel über die Notwendigkeit und die Qualität der Fachdidaktik reden. Erstmal müssen wir genügend Fachdidaktiker haben.“ In NRW hilft, dass für den Aufbau der Schools seit 2010 jährlich 4,6 Millionen an Sondermitteln fließen. Zudem fördert das Land die Fachdidaktik. So konnten in Bochum zusätzlich vier Juniorprofessorinnen eingestellt werden.

All diese Beispiele zeigen: Viele Protagonisten in diesem Stück mit dem Titel „Reform der Lehrerausbilung“ haben längst erkannt, wo sie ansetzen müssen. Das Paradoxe daran ist, dass all diese lokalen Ansätze das Gesamtproblem nicht lösen, sondern verschärfen, nämlich die Uneinheitlichkeit der Ausbildung, die zu unterschiedlichen Abschlüssen und damit zu reduzierter Mobilität von Lehrern in Deutschland führt. Bei diesem Durcheinander können die Standards für die Lehrerbildung nicht viel ausrichten, die die Kultusministerkonferenz 2008 beschlossen hat. Sie fließen langsam in die Prüfungsordnungen ein, lassen aber Interpretationsspielraum.

„Wir haben keinen Zielkonflikt. Es ist nur noch eine Frage der Form.“

Die Qualitätsoffensive könnte den Reformideen Rückenwind geben. Das heißt: Geld vom Bund. Udo Rauin in Frankfurt würde damit mehr Projekte in der Bildungsforschung starten und Auswahlverfahren einführen, mit Zeit für Gespräche. Peter Drewek aus Bochum hält mehr Kooperationen mit Schulen und die Begleitung der praktischen Ausbildung für dringend nötig. Die GEW will grundsätzlich mehr Stellen, um die Betreuung der Studierenden zu verbessern. Darin liegt für sie das Hauptproblem, von dem die Diskussion um Ausbildungsmodelle nur ablenke. Noch blockieren die Länder. Doch der Generalsekretär der GWK, Dr. Hans-Gerhard Husung, blickt zuversichtlich ins Frühjahr: „Wir haben keinen Zielkonflikt“, sagt er: „Es ist nur noch eine Frage der Form.“ Aber auch an Formfehlern ist schon vieles gescheitert.

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