Diskurslust: Zivilklausel?
Sollte die Wissenschaft die militärische Nutzung von Forschungsergebnissen ausschließen? Und lassen sich Grenzen zwischen militärisch und zivil ziehen? Über Zivilklauseln für Hochschulen diskutiert Peter-André Alt mit Johann-Dietrich Wörner
Johann-Dietrich Wörner Es ist sicherlich vernünftig, wenn Hochschulen eine Position zur Nutzung von Forschungsergebnissen beziehen. Diese sollte neben der militärischen Nutzung der Ergebnisse auch ethische Aspekte adressieren und zudem anwendbar sein. Die in den meisten sogenannten Zivilklauseln enthaltenen Forderungen entsprechen diesen Anforderungen nicht. Deshalb haben die Expertinnen und Experten der acatech empfohlen, diese einer Überprüfung und gegebenenfalls einer Anpassung zu unterziehen.
Die oft enthaltene Forderung, Forschungsergebnisse „nicht für militärische Zwecke“ zu nutzen, greift zu kurz und zu weit gleichzeitig. Sie suggeriert eine falsche Präzision. Ein Beispiel sind präzise Navigationssysteme. In meiner Zeit als Universitätspräsident haben wir über die Ehrung einer Person aus der Wirtschaft diskutiert. Das betreffende Unternehmen entwickelte und baute Hubschrauber. Es kam die Frage auf, was das Unternehmen für Hubschrauber bauen würde. Ein Herr antwortete prompt: „Nur Rettungshubschrauber.“ Das stimmt so nicht. Natürlich können durch Hubschrauber Menschenleben gerettet werden, sie können aber auch in (bewaffneten) Konflikten eingesetzt werden. Meine persönliche Richtschnur ist unser Grundgesetz, vor allem Artikel 1. Ergänzend hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) einen sehr hilfreichen Ausdruck in ihrer Konvention: „europäische Zusammenarbeit für ausschließlich friedliche Zwecke“. An diesen beiden Leitsätzen sollte sich die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Zivilklauseln orientieren.
Peter-André Alt Dass Forschungsergebnisse gleichzeitig unterschiedlichen Zwecken und Verwendungen dienen können, ist eine Binsenweisheit. Die Zivilklausel, wie sie mehr als 70 öffentlich finanzierte Hochschulen hierzulande eingeführt haben, adressiert eine Spezialform des zweifachen Nutzens (dual use), nämlich die Tatsache, dass Forschung zu zivilen und militärischen Zwecken eingesetzt werden kann. Im Kern geht es bei der Zivilklausel um drei Aspekte: Sie definiert zunächst die prinzipielle Selbstverpflichtung der Hochschule zur Forschung für friedliche Zwecke. Zweitens hat sie das Ziel, Auftragsforschung für militärische Vorhaben auszuschließen. Drittens veranlasst sie zur Überprüfung von Projektanträgen im Hinblick auf die Erfüllung dieser ersten beiden Grundsätze. Der dritte Aspekt ist der schwierigste, denn er könnte als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit missverstanden werden und unterliegt zugleich dem Vorbehalt potenzieller Deutungskonflikte. Die wichtigste Aufgabe der Zivilklausel besteht darin, wissenschaftliche Ethik bewusst zu machen, ein Klima der zivilen Selbstverpflichtung zu schaffen und zur Auseinandersetzung mit dem einzuladen, was man Dialektik der Forschung nennen kann. In diesem Sinne bedeutet sie keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, vielmehr ermöglicht sie deren verantwortungsvolle Wahrnehmung. Die hier genannten Werte und Diskursformen müssen im Übrigen nicht durch eine Zivilklausel definiert, sie können auch über ein Mission Statement verankert werden. Denn generell geht es nicht um strenge Regulatorik oder widerspruchsfreie Lösungen, sondern um einen Rahmen für diskursive Prozesse und die Selbstreflexion der Institution.
Johann-Dietrich Wörner Wir, und ich schließe mich ausdrücklich ein, haben die letzten Jahrzehnte in dem naiven Glauben gelebt, dass eine rundum friedliche Welt möglich ist und dass Deutschland keinerlei Bedrohung gegenübersteht. Unter anderem die friedliche Wiedervereinigung hat uns in unserem Glauben bestärkt. Wir hätten schon früher aufwachen können und sollen (Kosovo, Tschetschenien, Libyen, Kuwait), aber alles schien so weit weg. Jetzt, unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges, werden wir plötzlich wach und müssen erkennen, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind und sogar mit Waffen verteidigt werden müssen. Genau diese Situation hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes im Sinn und haben sogar von „Streitkräften“ gesprochen. Wirksame Verteidigung unserer Werte braucht moderne Instrumente, nicht nur Computer, sondern leider auch militärische Hardware. Dafür wird Innovation basierend auf Forschung und Entwicklung benötigt. Dabei ist es – leider – blauäugig zu glauben, man könne den Technologieeinsatz ohne menschliche Verluste realisieren, so bitter es klingt: Sicherheit und Freiheit haben einen Preis, unter Umständen einen hohen Preis. Die Alliierten haben Deutschland durch den verlustreichen Sieg über die Nationalsozialisten die friedliche, freiheitliche und die Menschenwürde achtende Gegenwart ermöglicht. Das Ziel ist also, durch praktizierte Wertevermittlung den Teufel „Krieg“ möglichst auszurotten. Bis dahin wird es aber offensichtlich nötig sein, bei Bedarf Land und Leute auch durch militärische Lösungen zu schützen. Zu beiden Aspekten können und sollten Hochschulen und Forschungseinrichtungen einen Beitrag leisten!
Peter-André Alt Die Grundfrage lautet hier: Kann die Wissenschaft militärische Verteidigungsforschung betreiben? Wohl kaum. So wenig ziviler und militärischer Gebrauch von Forschungsergebnissen zuverlässig geschieden werden können, so wenig gibt es eine klare Trennung zwischen Kriegs- und Verteidigungsforschung. Denn was für die Verteidigung taugt, taugt auch für den Angriff. Es geht immer um die Steigerung der Effizienz von Waffen, zunehmend mit den Mitteln des Cyber War, mit digitalen Techniken. Kann diese Effizienzsteigerung Zweck von Forschung sein? Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um die Frage des Waffenexports oder des deutschen Engagements für die Verteidigungsfähigkeit von Staaten, die Opfer eines Angriffskriegs geworden sind. Es geht allein um die Aufgaben der Forschung und die Anwendung ihrer Resultate. Die Weiterentwicklung von Kriegstechnologie ist nicht einzuhegen durch Regeln. Waffen, an denen das Schild „nur zur Verteidigung“ klebt, kann es nicht geben. Dafür sorgt allein schon die Logik des Krieges, zu der es gehört, dass Waffenarsenale mitsamt ihren digitalen Steuerungskapazitäten ebenso wie Territorien vom Gegner erobert und in Beschlag genommen werden können. Das Argument, dass die Weiterentwicklung von Kriegstechnologie die Dauer von Kriegen beschränke, ist angesichts genau dieser Logik hinfällig.
„Es gibt kein richtiges Sein im Falschen“, formulierte Theodor Adorno 1944, als der Zweite Weltkrieg seine schrecklichste Phase erreicht hatte. Das bedeutet bezogen auf unser Thema: Es gibt keine Rüstungsforschung zu allein friedlichen Zwecken. Dessen sich zumindest bewusst zu sein, gehört zur Verantwortung der Wissenschaft und ihrer Ethik. //
Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner
ist Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und lehrt im Fachgebiet Statik und Dynamik der Tragstrukturen an der TU Darmstadt.
Foto: privat / Illustration: Ajo Galván
Prof. Dr. Peter-André Alt
ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und Inhaber einer Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Foto: David Ausserhofer / Illustration: Ajo Galván
DUZ Magazin 10/2022 vom 21.10.2022