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Personalentwicklung als Heimatfaktor

Arbeitgeber, die erstklassige Bedingungen bieten, sind beliebt. Der FC Bayern München ist in der Fußballwelt dafür bekannt. Auch Hochschulen schnüren Wohlfühlpakete, um die besten Forscher zu holen und zu halten. Nun werden die Forderungen lauter, guten Service auf den gesamten Campus auszudehnen.

Franck Ribéry bleibt beim FC Bayern. Vielleicht für immer. „Frankreich bleibt unsere Heimat. Aber auch in München fühlen wir uns zuhause“, sagte er Ende November. Der deutsche Rekordmeister hat es wieder geschafft. Er hält einen Superstar, nicht nur, weil er gut bezahlt, sondern auch, weil er sich darum kümmert, dass sich seine Familie wohlfühlt.
In der Wissenschaft ist das ganz ähnlich. Für die besten Forscher wird einiges in Bewegung gesetzt, um sie zu holen und zu halten. Auf den FC Bayern-Effekt setzen jetzt auch die Technische Universität München (TUM) und die Max-Planck-Gesellschaft. Mit einem Karriere- und Rekrutierungsbüro wollen sie neu angekommenen Forschern und ihren Familien helfen, sich in München gut einzuleben.

Man fällt schnell aus dem System

Die ganz normalen Forscher bekommen solch einen Service selten. Im Sport und in der Wissenschaft muss der Nachwuchs sich derlei Vorzüge erst erarbeiten. Wer zu den Sternen will, muss bekanntlich durchs Rauhe. So sagte es einst Seneca. Doch in Deutschland ist der Weg besonders hart. Mehr als 80 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter sind befristet angestellt. Außer der Professur gibt es kaum ein anderes Laufbahnziel. Der Flaschenhals ist eng. Wer es nicht schafft, fällt aus dem System.

Andere gehen freiwillig. So wie Dr. Ramona Lenz. Sie sah in der Wissenschaft ihre berufliche Heimat. Die Kulturanthropologin schrieb in Frankfurt ihre Promotion zum Thema Mobilitäten in Europa. Doch die Rahmenbedingungen hielten sie am Ende nicht im Wissenschaftsbetrieb. An der Uni Frankfurt hatte sie eine halbe Stelle. Sie lehrte, kümmerte sich um Studenten, nahm an Sitzungen teil, setzte die Bologna-Reform mit um, organisierte den Erasmus-Austausch: „Vieles von dem habe ich gerne gemacht, aber an meiner Promotion konnte ich während meiner Arbeitszeit kaum arbeiten“, sagt die heute 37-Jährige. Also schrieb sie abends und am Wochenende. Nebenbei jobbte sie, auch um ihre Altersvorsorge aufzustocken. Ein typisches Promovendenleben. Bei den Postdocs sieht die Situation ganz ähnlich aus. Viele gehen ins Ausland, weil sie dort bessere Perspektiven bekommen: Mehr Gehalt und oft eine Tenure-Track-Stelle, auf der sie beweisen können, dass sie das Zeug zum Professor haben.

Nun fordern Politiker und Gewerkschafter immer lauter, dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland bessere Perspektiven zu bieten. Eine campus-übergreifende Personalpolitik sei nötig, damit die jungen Forscher in der Heimat bleiben und sich an den Hochschulen zuhause fühlen. Sie sollen auch etwas von dem Kuchen haben, von dem Forscher-Stars die besten Stücke bekommen.

„Die Wissenschaft als Beruf muss attraktiver werden.“

„Die Wissenschaft als Beruf muss attraktiver werden“, fordert der Deutsche Hochschulverband (DHV). Statt den Professorenbesoldungen W2 oder W3 drohe den hoch motivierten Forschern oftmals Hartz IV als Bezahlung, sagte DHV-Präsident Prof. Dr. Bernhard Kempen Ende November auf einer hochschulpolitischen Konferenz in Rostock. Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsminister Mathias Brodkorb hatte geladen. Er sagte: „Ich bin sehr dafür, über gemeinsam getragene Grundsätze der Personalpolitik und Personalentwicklung nachzudenken, die wir künftig in den Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen niederlegen könnten.“ In dieses Horn bläst auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mitte November legte sie nun Leitlinien für eine gute Personalpolitik an Hochschulen vor, den sogenannten Herrschinger Kodex, benannt nach dem Ort am bayerischen Ammersee, an dem er erarbeitet wurde. Zehn Punkte enthält der Kodex. Es geht um Mitbestimmungsrecht von Mitarbeitern, Chancengleichheit und das Versprechen, eine Personalpolitik aktiv zu gestalten.

Damit sollen die Sorgen von Nachwuchswissenschaftlern stärker in den Fokus von Hochschulleitungen rücken. Die fördern nach dem Exzellenzprinzip vor allem die Besten. Aber bis sie die im Heer der Nachwuchswissenschaftler entdecken, gehen aus Sicht der GEW zu viele auf dem Weg nach oben verloren. Vor allem Frauen. Die Gewerkschaft fordert daher im Kodex unter anderem: Doktoranden sollen in der Regel sozialversicherungspflichtige Verträge und Postdocs möglichst häufig eine Tenure-Track-Option bekommen; unbefristete Stellen sollen die Regel, befristete die Ausnahme sein.

Nichts ist besser als ein guter Ruf

Der Kodex ist eine Vorlage für die Hochschulen, mit der sie eine campusweite Personalentwicklung erarbeiten können. Das Ziel: Nicht nur die Ribérys unter den Wissenschaftlern sollen das gute Gefühl haben, dass man sich um sie kümmert. Auch Nachwuchsspieler sollen auf ihre Unis stolz sein und sagen: hier bleibe ich gern.

Arbeitgeber, die sich wie der FC Bayern um das Daheim-efühl ihrer Mitarbeiter kümmern, haben einen guten Ruf. In der Unternehmenswelt nennt man die Arbeit an der Außenwirkung Employer Branding. Davon hat man vor allem eines: eine effizientere Personalrekrutierung, weil sich viele von den Besten bewerben. Gute Arbeitsbedingungen sprechen sich herum. In der Wissenschaft gelten sie als prekär, jedenfalls was die Kürze der Arbeitsverträge angeht. Strategische personalpolitische Konzepte sind an den Unis bislang kaum zu finden, beobachtet Dr. Daniela Hrzán. Sie ist an der Uni Konstanz Referentin für Academic Staff Development und untersucht im Auftrag der Max-Träger-Stiftung, welche Maßnahmen Hochschulen entwickeln. Dazu gehören nicht nur Gehalt und ein sicherer Arbeitsvertrag, sondern auch Familienfreundlichkeit, Gleichstellung, die Unterstützung des Lebenspartners bei der Jobsuche (Dual Career Service) oder klare Absprachen mit Doktoranden und Postdocs über ihre Zukunft.

„Entweder ich gehe innerlich ins Exil oder ich ziehe einen Schlussstrich. “

Hochschule ist nicht Heimat für alle

Das hätte Ramona Lenz auch gern gehabt. Nach ihrer Promotion in Frankfurt ging sie an die Uni Bochum. Sie arbeitete als Postdoktorandin an einem neu gegründeten Forschungszentrum, konnte sich aber nicht frei entfalten, obwohl sie mit ihrer Promotion ihre wissenschaftliche Selbstständigkeit bewiesen hatte. „Die Professoren trafen sämtliche Entscheidungen nach einem hierarchischen Muster“, sagt sie. Vier Monate hielt Lenz durch. Dann warf sie ihre Stelle frustriert hin und meldete sich arbeitslos: „Ich hatte die Wahl: Entweder ich gehe wie so viele innerlich ins Exil oder ich ziehe einen Schlussstrich.“ Jetzt arbeitet sie bei einer Hilfsorganisation in Frankfurt und hat ihre berufliche Heimat gefunden.

Nicht alle Wissenschaftler finden in der Hochschule ein Zuhause. Der Ausstieg aus dem Forscherleben muss auch keine Niederlage sein. Jedes Jahr tummeln sich über 200.000 Doktoranden an den Unis und sind wie Ramona Lenz auf der Suche nach einem Zipfel ihrer beruflichen Zukunft. Wie man sie dabei begleitet und nicht allein lässt, zeigt seit einigen Jahren die Uni Konstanz. Sie bekam für ihr „Modell der Kreativität“ vom Wissenschaftsrat das Elite-Siegel, weil sie bewies, dass Arbeitsbedingungen unbedingt an individuelle Bedürfnisse angepasst werden müssen, um schöpferische Spitzenforschung zu fördern. So findet man gute Leute und hebt originelle wissenschaftliche Ansätze ans Tageslicht.

Top-Service nur für die Besten

Ein Instrument, mit dem man guten Leuten eine Chance gibt, ist der Tenure Track. Etliche Hochschulen setzen ihn derzeit verstärkt als Karrierehebel ein. Am meisten im Gespräch ist das Modell der TU München (TUM). Top-Forscher bekommen eine Stelle als Assistant Professor, erst einmal für sechs Jahre. Sie forschen in dieser Zeit eigenverantwortlich und können mitentscheiden, was an der Universität passiert. Bewähren sie sich, können sie aufsteigen zum Associate Professor. Diese Position wird dann entfristet. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Uni, die Uni Bremen oder die TU Dresden machen es ähnlich.

Damit werden die Besten aus dem großen Schwarm gefischt. All jene, die den Stars aus dem Mittelbau heraus zuarbeiten, bekommen weiterhin nur den Service für die Holzklasse. „Das TUM-Modell ist stark angelehnt an die Exzellenz¬initiative“, sagte Prof. Dr. Ingrid Lotz-Ahrens beim Start des GEW-Kodex in Berlin. Sie ist Prorektorin für Ressourcenplanung an der Universität Duisburg-Essen. In der Breite „würde uns das österreichische Modell viel weiter bringen“. Im Nachbarland vereinbaren die Hochschulen mit Nachwuchsforschern auf allen Ebenen Karriere-Perspektiven (siehe S. 18).

Luft muss nach oben dünner werden

Wer einen klaren Ausblick auf seine nächsten beruflichen Schritte hat, fühlt sich angenommen, ist angekommen, und damit zuhause. Personalentwicklung ist deshalb ein wichtiger Heimatfaktor. Der Nachwuchs wird im Konkurrenzkampf um Stellen und Projektmittel nicht allein stehen gelassen. Es geht dabei nicht um den Kuschelfaktor für alle. Denn natürlich belebe der Wettbewerb „das ganze Wissenschaftssystem“, sagt der Präsident der TU Darmstadt, Prof. Dr. Hans Jürgen Prömel, „andernfalls würde es nicht vorangehen“. Die Luft müsse dünner werden, je weiter es nach oben gehe. „Ein Tenure Track kann nicht zur Option für alle werden.“ Dennoch würden mehr solcher Stellen auch mehr gute Leute im System halten, „vor allem auch Frauen, weil der Weg nach oben nicht so lang ist wie jetzt“, sagte Sarah Damus bei der Startkonferenz zum Herrschinger Kodex in Berlin. Sie ist zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Uni Frankfurt/Oder.

Hochschulen, die das Heimat-Prinzip des FC Bayern nicht nur ihren Top-Spielern bieten, sondern es auch systematisch in die Nachwuchsförderung auf dem Campus einweben wollen, können sich aus dem Herrschinger Kodex herauspicken, was sie für umsetzbar halten. Viele Hochschulen haben damit bereits in der Doktorandenausbildung begonnen. Sie kümmern sich um die Entwicklung ihrer Zöglinge. „Wir haben seit zehn Jahren verankert, dass Doktoranden mindestens ein Drittel ihrer Arbeitszeit für ihre eigene Forschung aufwenden müssen“, sagt Prömel. Mit „Ingenium“ wurde eine Dachorganisation ins Leben gerufen, in der Doktoranden Hilfestellungen bekommen können in Betreuungs- oder Berufsorientierungsfragen: „Wir haben schon früh Prozesse in Gang gesetzt, um Doktoranden und Postdocs eine Heimat zu geben“, sagt Prömel, „als Arbeitgeber müssen wir diese sehr wichtige Aufgabe erfüllen.“

"Man sieht die Probleme, hat aber nicht die Instrumente, um sie zu lösen.“

Ohne Geld keine Personalpolitik

Das ist nicht auf dem gesamten Campus und über alle Karrierestufen hinweg möglich. Den Grund dafür sieht Ingrid Lotz-Ahrens von der Uni Duisburg-Essen vor allem in der schlechten Finanzierung der Unis. Sie kritisiert, dass viel Geld nur befristet zur Verfügung steht, etwa Studiengebühren, Gelder aus der Exzellenzinitiative oder aus dem Hochschulpakt. „Die Hochschulen müssen vernünftig ausgestattet werden mit einer abgesicherten Finanzierung“, sagt sie, denn sonst könnten langfristige Strukturmaßnahmen kaum in Gang gesetzt werden. Für die Verantwortlichen in den Hochschulen sei das eine große Belastung: „Man sieht die Probleme, hat aber nicht die Instrumente, um sie zu lösen.“

Wie Hochschulen beliebte Arbeitgeber werden

Personalentwicklung ist ein wichtiger Heimatfaktor. Wer Perspektiven bekommt, gibt auch etwas zurück, zum Beispiel Loyalität, Freundlichkeit und Einsatz. Insgesamt steigt die Stimmung.

Employer Branding: Darauf achten Unternehmen, wenn sie bei Arbeitnehmern beliebt sein wollen. Denn ein guter Ruf spricht sich herum. Der Vorteil: Das Unternehmen spart Energie bei der Personalrekrutierung, weil die Besten von allein anklopfen. Werden sie gut umsorgt, leisten sie auch viel. Deutsche Unis sind davon weit entfernt. Vielleicht zieht die Idee aber in hausinterne Leitbild-Diskussionen ein, wenn die Wirtschaftsuni Wien und die TU München ab März 2013 mit der Deutschen Employer Branding Akademie einen Kurs zum Employer Manager in Firmen anbieten: www.employerbranding.org/ebm

Tenure Track: Das angloamerikanische Modell ist in Deutschland nicht neu. Derzeit wird es aber stärker als Instrument diskutiert, mit dem man die Besten unter den tausenden befristet angestellten Postdocs schneller auf eine Professur bekommt. Am meisten beachtet wird das Modell der TU München. Die Professorenverbände Deutschlands (DHV), Österreichs (UPV) und der Schweiz (VSH) bezeichneten es Ende Oktober als richtigen Vorstoß, um Forscher an die Unis zu binden und ihre Abwanderung zu verhindern. Auch im deutschen Bundestag wird das TUM-Modell als Vorbild für alle Hochschulen diskutiert, um die Karrierechancen von Wissenschaftlern zu verbessern. Auch andere Unis gehen diesen Weg: die TU Dresden, die Universität München, die Uni Bremen. Mehr Tenure-Track-Stellen fordert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: www.gew.de/Herrschinger_Kodex.html

Familienfreundlich: Für viele Menschen ist Heimat dort, wo die Familie ist. Hochschulen bemühen sich darum, dass ihre Mitarbeiter, Studenten und Führungskräfte Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können. Denn Probleme daheim sind schnell auch Probleme am Arbeitsplatz. Damit das nicht passiert, hat das Centrum für Hochschulentwicklung eine Checkliste für familienfreundliches Campusleben zusammengestellt:
www.familie-in-der-hochschule.de

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