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Geschützter Raum oder falsche Schublade?

Studiengänge nur für Frauen klingt für manche wie ein Relikt aus dem vorigen Jahrhundert, andere sehen darin eine Chance, mehr Frauen für ein Informatikstudium zu gewinnen. Doch das Angebot schrumpft

Die Digitalisierung eröffnet Absolventinnen und Absolventen eines MINT-Studiengangs gute Jobchancen. Doch es entscheiden sich immer noch zu wenige Frauen für ein technisches oder naturwissenschaftliches Studium. Für das Jahr 2019 zählte das Statistische Bundesamt 119 134 Studentinnen in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft sowie Technik (MINT). Zehn Jahre früher wählten nur 68 530 Abiturientinnen einen dieser Studiengänge. Damit stieg der Frauenanteil im Zeitraum zwischen 2009 und 2019 von 30,6 auf 34,2 Prozent an.

Allerdings sind nicht alle MINT-Studiengänge gleich beliebt. Frauen entscheiden sich häufiger für Studiengänge wie Verfahrens- oder Gesundheitstechnik, Chemie, Geografie oder Mathematik. Auch sogenannte Bindestrich-Studiengänge, die technisch-naturwissenschaftliche Fächer kombinieren, sind begehrt. Dazu zählen beispielsweise Medizinische Informatik oder Medieninformatik. Auch Kombinationen mit Biologie, Biochemie oder Pharmazie wählen Abiturientinnen häufig. Dagegen entscheiden sich nur wenige für klassische ingenieurwissenschaftliche Fächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik, wie Dr. Anica Kramer und Judith Hild vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg in einem Aufsatz schreiben („Should I stay or should I go? Frauen arbeiten nach einem MINT-Studium seltener in einem MINT-Beruf als Männer“).

Die beiden Wissenschaftlerinnen haben sich aber nicht nur die Zahlen zu den Studienanfängerinnen und Absolventinnen angesehen, sondern auch analysiert, wie viele dieser Frauen später tatsächlich in einem MINT-Beruf arbeiten. Sie stellten fest, dass nur 38 Prozent nach ihrem Abschluss in diesem Berufsfeld tätig sind. Bei den Männern sind es dagegen 50 Prozent. Diese Lücke zwischen den Geschlechtern schließt sich nicht: Nach fünf Jahren arbeiten 56 Prozent der Absolventinnen in einem MINT-Beruf; bei den Männern sind es 70 Prozent.

Mehr Frauen für ein Informatik- oder Technikstudium zu begeistern – das war die Idee hinter den Frauenstudiengängen. Umgesetzt wurde sie beispielsweise an der Hochschule Bremen. Sie zählte zu den Pionieren und bietet seit dem Jahr 2000 ein Informatikstudium für Frauen an. Interessentinnen können jeweils zum Wintersemester mit dem Internationalen Frauenstudiengang Informatik (IFI) als Bachelor beginnen. Auch die Jade Hochschule Wilhelmshaven zählte 1997 mit nur für Frauen belegbaren Kursen im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen zu den Ersten. Dort konnten Studentinnen in den ersten drei Semestern in kleinen Gruppen unter sich bleiben und lernen. Eine Zeit lang war das Programm erfolgreich, doch über die Jahre interessierten sich immer weniger Studentinnen dafür. Inzwischen hat die Hochschule das Angebot gestrichen.

Furtwangen stellt Frauenstudiengang ganz ein

Auch die Hochschule Furtwangen wollte mehr Frauen für ein technisches Studium begeistern. Mit dem Wintersemester 2002/03 startete dort der Bachelor-Studiengang „WirtschaftsNetze eBusiness“ (WNB) für Frauen. Die Kombination Informatik und Wirtschaft sei bei Studentinnen beliebt gewesen, pro Jahr hätten sich rund 90 Frauen für den Studiengang entschieden, berichtet Prof. Dr. Stefan Noll. Der Informatiker lehrt Software Engineering für betriebliche Anwendungen an der Fakultät Wirtschaftsinformatik (WI) der Hochschule Furtwangen. „Vor zwei Jahren wurde beschlossen, den Studiengang einzustellen“, sagt Noll.

Als einen Grund nennt er die veränderte Studienplatzvergabe. Seit einigen Jahren bewerben sich Studierwillige in Baden-Württemberg zentral um einen Studienplatz, anstatt sich direkt an die Hochschule ihrer Wahl zu wenden. Seither nahm die Zahl der Bewerberinnen für den Studiengang ab. „Der Frauenstudiengang war in den zentralen Portalen nur schwer auffindbar“, erklärt der Professor. In der ländlich geprägten Schwarzwaldregion um Furtwangen kämen die meisten Studierenden aus der näheren Umgebung. Als sich Studieninteressierte noch direkt an der Hochschule bewarben, gelang es besser, für den Studiengang zu werben, so Noll. Damals sei es möglich gewesen, manche abgelehnte Bewerberin, die am Numerus Clausus für ein Wirtschaftsstudium ohne IT gescheitert war, vom Frauenstudium zu überzeugen.

Noll kritisiert, weder die Hochschule noch das Ministerium hätten den Frauenstudiengang ausreichend unterstützt und beworben. Er bedauert, dass das Frauenstudium nicht mehr angeboten wird, denn die Studentinnen, die sich für das kombinierte Studium Wirtschaft und IT entschieden hätten, erzielten gute Studienergebnisse, brächen nicht häufiger das Studium ab als Teilnehmerinnen und Teilnehmer koedukativer Studiengänge und fänden anschließend gute und lukrative Jobs, sagt er.

Allerdings ist das Feedback von Studienanfängerinnen an der Hochschule Furtwangen widersprüchlich. Manche gaben an, dass sie sich gerade wegen des Frauenstudiums für Furtwangen entschieden hätten, andere sagten, dass sie eigentlich nie auf die Idee gekommen wären, einen Frauenstudiengang zu wählen, ihre Entscheidung aber nicht bereut hätten. Viele junge Frauen sähen einen Studiengang ausschließlich für Frauen kritisch, so Noll, dagegen begrüßten beruflich erfolgreiche Frauen solche Programme.

Eigentlich heißt das, noch genauer nachzufragen und sich als Hochschule stärker zu engagieren, mehr Werbung für Frauenstudiengänge zu machen und auch das Angebot zu überarbeiten, anstatt den Rotstift anzusetzen. Denn die Wirtschaft sucht händeringend nach gut ausgebildeten Frauen mit MINT-Abschluss. Einige Unternehmen der digitalen Wirtschaft sind bereit, Frauen stärker zu fördern, wie eine Studie des Digitalverbands Bitkom zeigt. Immerhin wollen 24 Prozent der befragten Unternehmen den Frauenanteil erhöhen. Weitere 14 Prozent planen das konkret, 29 Prozent diskutieren darüber. Aktuell beschäftigt die IT-Branche in Deutschland rund 1,25 Millionen Menschen. Eine Bitkom-Prognose geht davon aus, dass die Zahl der Erwerbstätigen im laufenden Jahr um drei Prozent auf dann 1,29 Millionen steigen wird. Schon heute sind Frauen dabei stark unterrepräsentiert. „Die digitale Wirtschaft muss weiblicher werden“, fordert die Vizepräsidentin des Bitkom und SAP-Managerin Sabine Bendiek. „Wir sind auf Frauen angewiesen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und nachhaltiges Wachstum zu sichern.“

Doch allzu viele scheinen noch nicht aufgewacht zu sein. Von Anfang an mussten sich Studentinnen in Frauenstudiengängen mit Vorurteilen herumschlagen, beispielsweise, dass sie sich für ein „Studium light“ entschieden hätten. Andere kritisieren, dass die Frauen zwar in einem geschützten Raum lernen könnten, später aber im Arbeitsleben in einer von Männern geprägten IT-Welt klarkommen müssten.

Podcast „Female Tech Talk“ in Berlin

Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin entschied sich zwar erst 2009 dafür, den Frauenstudiengang „Informatik und Wirtschaft“ als Bachelor anzubieten, doch das sehr erfolgreich. Mit Vorurteilen aufzuräumen und anderen Frauen zu erklären, wie es wirklich läuft in einem Informatikstudiengang nur für Frauen, das haben sich hier die Studentinnen Sarah Nill und Elisabeth Steffen vorgenommen. Beide studieren Informatik und Wirtschaft an der HTW und haben den Podcast „Female Tech Talk“ ins Leben gerufen. Seit Herbst 2021 plaudern sie über ihre persönliche Motivation, sprechen darüber, wie sie den Weg zum Informatikstudium gefunden haben und was sie daran begeistert. Und sie entzaubern Mythen, etwa, dass jede Frau programmieren muss. „Damit ihr alle checkt, wie geil Informatik ist“, sagen sie gleich zu Beginn.

Die Informatikerin Prof. Dr. Juliane Siegeris, die 2010 als erste Professorin für den 2009 ins Leben gerufenen Studiengang „Informatik und Wirtschaft für Frauen“ (FIW) an der HTW berufen wurde, spricht in der vierten Folge des Podcast mit den Studentinnen. Auf die 40 Studienplätze pro Jahr bewerben sich meistens mehr als 100 Frauen, erzählt sie. Viele brächten bereits eine Ausbildung oder ein abgeschlossenes Studium mit, manche hätten Familie, andere wollten sich beruflich neu orientieren. „Solange Bedarf da ist, wird es den Studiengang geben“, sagt Siegeris. „Gemeinsam mit den Studentinnen wird der Studiengang weiterentwickelt.“

Der geschützte Rahmen lasse Frauen mutiger werden, sie fragten mehr nach, diskutierten und wollten den Themen auf den Grund gehen, so Siegeris. Auch wenn manche Studentinnen anfangs Zweifel im Gepäck hätten und unsicher seien, zeige sich nach einem Jahr, dass die Frauen sehr selbstbewusst in die Praxisphasen gingen, so die Professorin. Das Frauenstudium wird nur als Bachelor angeboten. Das soll auch so bleiben. Wenn Studentinnen direkt in ein Master-Studium wechseln wollen, stehen ihnen an der HTW mehrere Wege offen. Juliane Siegeris sieht jede für die Informatik gewonnene Frau als Gewinn, gerade weil so viele IT-Fachkräfte fehlen.

Neue Konzepte statt Rotstift

Auch an der Hochschule Stralsund im Norden endet ein Frauenstudiengang, hier: Wirtschaftsingenieurwesen. Das liege hauptsächlich daran, dass sich zu wenige Studentinnen dafür interessierten, wie die Pressestelle der Hochschule mitteilt. Im Rahmen einer Neuausrichtung der Bachelor-Studiengänge habe die Fakultät für Maschinenbau deshalb den Studiengang aus dem Angebot gestrichen. Einen anderen Grund sehen die Verantwortlichen bei den Frauen selbst, denn viele Studentinnen des Frauenstudiengangs seien während des Studiums in den regulären Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen gewechselt. Manchmal habe der Wechsel mit den Wahlpflichtfächern zu tun, manchmal aber auch damit, dass die Absolventinnen den Zusatz „Frauenstudium“ nicht auf ihrem Zeugnis haben wollten. Die Hochschule hofft nun, dass das neue Angebot „Gesundheitstechnik und Management“ besonders Frauen anspricht.

Sind Frauenstudiengänge also doch überholt? Wollen und brauchen junge Frauen inzwischen keinen geschützten Raum mehr, um sich für ein MINT-Studium zu entscheiden? Die Nachfrage an der HTW Berlin und an der Hochschule Bremen zeigt, dass Frauenstudiengänge durchaus funktionieren können. Ein attraktives Studienangebot sowie gutes Marketing und ein Mitspracherecht können Frauen ermutigen, ein technisches Studium aufzunehmen. Schließlich sollte eine Gesellschaft die Digitalisierung und neue Technologien nicht allein denn Männern überlassen. Eintagsfliegen-Aktionen wie der Girls Day reichen nicht aus, um mehr Abiturientinnen für MINT-Berufe zu begeistern. Auch Appelle von Verbänden und Unternehmen bleiben an der Oberfläche. Zielführender wäre, dass sie gemeinsam mit den Hochschulen darüber nachdenken, wie sie mehr Frauen für MINT-Studiengänge begeistern können. Statt die Angebote aufgrund geringer Nachfrage zu streichen, könnte eine Neuausrichtung der bessere Weg sein. //

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