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Bin ich stark genug für eine Wissenschaftskarriere?

Ich arbeite als Postdoc und hadere mit dem System: wenig Anerkennung, Hierarchien, Druck durch hohe Leistungsanforderungen, ein unsicherer Karriereweg. Mein Selbstbewusstsein schwindet. Ich frage mich, wie ich damit umgehen kann und ob ich stark genug bin für diesen Berufsweg?

Dieser Artikel ist im DUZ Magazin für Wissenschaft und Gesellschaft in der Rubrik "Unter 4 Augen" erschienen und Teil der Online-Reihe "Ratgeber" auf DUZ Wissenschaftskarriere.

Coachin Edda Wilde antwortet:
Leider ist es sehr üblich unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland, im Laufe ihrer Karriere mit dem System zu hadern und sich entmutigt zu fühlen. Neben dem herausfordernden Karriereweg und der damit verbundenen Konkurrenz ist das Problem, dass sich Forschende so lange weiterqualifizieren müssen und als Nachwuchs gelten, bis die Professur sie endlich von dem Status erlöst. Dies bringt die widersprüchliche Situation mit sich, dass Postdocs zwar eigentlich hochqualifizierte Fachkräfte sind, sich aber nicht selten wie verunsicherte Auszubildende fühlen. Die Diskrepanz ist groß. Wie können Sie da Abhilfe schaffen?

Zuallererst erscheint es mir wichtig zu bemerken, dass Debatten wie rund um die Twitter-Kampagne „Ich bin Hanna“ durchaus eine Änderung des deutschen Hochschulsystems mit sich bringen. Ein Weg, um mehr Handlungsspielraum und Selbstvertrauen zu entwickeln, könnte in diesem Sinne sein, sich hochschulpolitisch zu engagieren und sich zum Beispiel einer Mittelbauinitiative anzuschließen. So könnten Sie aktiv an der Verbesserung ihrer strukturellen Situation arbeiten.

Auch im Hochschulalltag würde es sich lohnen, mutig zu werden: Widersprechen Sie da, wo Ihnen Arbeitsanforderungen oder Hierarchien unangebracht erscheinen, fordern Sie aktiv Anerkennung von Ihren Vorgesetzten ein, bitten Sie um Feedback zu Ihren Stärken und um strategische Hilfe bei Ihrem Karriereweg. Suchen Sie gegebenenfalls auch jenseits Ihrer Vorgesetzten nach einer Art Mentor oder Mentorin, also nach einer Person im System, die weiter ist als Sie und die Ihnen beratend zur Seite stehen kann. Viele Universitäten haben dahingehend sogar Programme, zumindest für Frauen. Auch horizontale Netzwerke in Form von Intervisionsgruppen zwischen Postdocs helfen, um Zweifel zu besprechen und zu reduzieren.

Neben diesem sozialen Netz hielte ich es zudem für wichtig, dass Sie sich immer wieder vergegenwärtigen, warum Sie tun, was Sie tun. Was lieben Sie an der Wissenschaft? Welche Themen interessieren Sie, welche Tätigkeiten machen Ihnen Freude? Manche Postdocs sind so stark in karrierestrategischen Überlegungen verhaftet, dass sie es versäumen, den Fokus auf das zu legen, was sie gut können und ihnen Spaß bringt. Doch genau dieser Fokus und das Ausrichten des Arbeitsalltags danach wird Ihnen weiterhelfen, wieder Selbstvertrauen und Mut für die Situation aufzubauen.

Ob Sie stark genug für diesen Weg sind, können natürlich nur Sie selbst entscheiden. Vielleicht aber ist das letztlich gar nicht der Punkt. Es gibt viele Menschen in der Wissenschaft, die annehmen, sich nicht durchsetzen zu können und doch tun sie es. Meiner Erfahrung nach schaffen es oft diejenigen Personen zur Professur, die hartnäckig und über alle Zweifel hinweg durchhalten und den Weg stetig weitergehen. Fragen Sie sich weniger, ob Sie stark genug sind. Fragen Sie sich vielmehr, ob Sie den Beruf – wenn Sie Ihren Handlungsspielraum wie oben dargelegt erweitern – für ausreichend attraktiv halten und Ihnen seine Kerntätigkeiten gut gelingen und vor allem Freude bringen.

Literatur:
Rohrmann, Sonja (2018): Wenn große Leistungen zu großen Selbstzweifeln führen: Das Hochstapler-Selbstkonzept und seine Auswirkungen. Göttingen, Verlag Hogrefe

EDDA WILDE ist freiberufliche Coachin, Supervisorin und Trainerin in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt beim Einzelcoaching rund um die Themen Führung und Karriere. Sie ist Mitglied im Coachingnetz Wissenschaft, das Partner der DUZ ist.

https://polyfon-coaching.de
www.coachingnetz-wissenschaft.de

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