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Stein auf Stein

Im Hochschulbau summieren sich die Probleme – zu den bestehenden Sanierungsaltlasten sind noch neue Herausforderungen für die Bauplaner gekommen: Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Digitalisierung. Alles zusammen zu bewältigen, wäre ein großer Schritt nach vorn, scheitert aber oft an fehlenden Mitteln und trägen Strukturen

Im Januar diesen Jahres veröffentlichte der Wissenschaftsrat eine beeindruckende Zahl: Im Positionspapier „Probleme und Perspektiven des Hochschulbaus 2030“ hieß es, der Sanierungsstau an deutschen Hochschulen belaufe sich inzwischen auf 60 Milliarden Euro. Über die genaue Höhe der Summe lässt sich streiten, aber das Problem liegt auf der Hand: Die baulichen Mängel gehen an die Substanz, denn sie sind, so schreibt es der Wissenschaftsrat, „eine entscheidende Ressource für die Funktionsweise sowie die Leistungs- und die Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen“. Zum Beispiel an der Universität Hohenheim. Hier sind Labore zum Teil in der denkmalgeschützten barocken Schlossanlage untergebracht. Eine Sanierung nach neuen Sicherheitsstandards ist nicht möglich. Ein teurer Labor-Ersatzbau ist aber auch noch lange nicht in Sicht. „Damit sind wir zum Teil nicht mehr berufungsfähig“, klagt Kanzlerin Dr. Katrin Scheffer. Da die Hochschule Wissenschaftlern keine Zusage machen könne, bis wann die baulichen Anforderungen für ihre Forschung erfüllt sein werden, würden sich immer wieder Kandidaten für einen Ruf an eine andere Hochschule entscheiden. Und mit diesem Problem sei Hohenheim kein Einzelfall.

Dass die Bausubstanz des akademischen Betriebs zu wünschen übrig lässt, ist keine neue Erkenntnis. Schon im Jahr 2016 gab die Kultusministerkonferenz beim HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) eine Studie zum Finanzierungsbedarf in Auftrag. Forscherin Jana Stibbe, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim HIS-HE stellte zu diesem Zweck eine kaufmännische Rechnung auf: Jedes Hochschulgebäude hat einen Herstellwert, der sich nach den Orientierungswerten der Bauministerkonferenz für unterschiedlich genutzte Flächen berechnen lässt. Nach 40 Jahren Nutzung gilt es als abgeschrieben. Dann müsste für das gleiche Geld plus Baupreissteigerung neu gebaut werden. Oder über die Jahre hinweg saniert werden, um den Wert zu erhalten. Die Berechnungen von HIS-HE ergaben jedoch, dass in den Jahren 2013/14 nur 47 Prozent der benötigten Mittel geflossen waren. Damit nicht genug, denn das Defizit erhöht sich mit zunehmendem Wachstum der Hochschulen. „Die Ausbauphase im Sinne des Studierendenwachstums ist an vielen Hochschulen noch nicht abgeschlossen“, sagt Stibbe, die die Bautätigkeit beobachtet. Hochrechnungen, die von einer gleichbleibenden Finanzierung bei paralleler Erweiterung der Flächen ausgehen, kommen zu dem Ergebnis, dass die geplanten Ausgaben bis 2025 nur noch 21 Prozent des Bedarfs abdecken. 

Und hier geht es erstmal nur um den Bestandserhalt, also die Frage, ob ein Gebäude unter den heutigen Bedingungen für Brandschutz, Barriere-Freiheit, Schadstoffbelastung  und Sicherheit der Nutzung in Betrieb bleiben kann. Dazu sind aber in den letzten Jahren noch weitere Anforderungen gekommen, zum Beispiel das Thema Energieeffizienz. Auf den Bau und Betrieb von Gebäuden entfallen bis zu 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland und die Hochschulen stehen für den Großteil des Energieverbrauchs der Landesliegenschaften. Damit sind auch sie an die Zusagen der Länder gebunden, bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen, und es gibt entsprechende Zielvereinbarungen mit den zuständigen Ministerien. Gesetzliche Anforderungen auf Bundesebene, die auch die Hochschulen betreffen, sind bereits im Koalitionsvertrag der Regierung angekündigt: So sollen bis zum Jahr 2027 Rechenzentren klimaneutral betrieben werden. Und für geeignete Dachflächen von Neubauten soll die Installation von Solar-Kollektoren Pflicht werden. Die meisten Hochschulen fühlen sich zwar dem Thema Nachhaltigkeit verpflichtet, kommen aber trotzdem nur langsam voran: „Wir wollen ja energieeffizient arbeiten“, sagt Kanzlerin Scheffer, „aber dann muss man uns auch die Mittel dafür an die Hand geben.“

Dazu kommt noch eine dritte Baustelle, die Digitalisierung. Spätestens seit der Corona-Pandemie weiß man: Hochschule funktioniert auch, wenn niemand auf dem Campus ist. Was bedeutet das für die Hochschule als zukünftigen Lernort? Vermutlich die hybride Lehre, eine  Kombination von Online- und Präsenzveranstaltungen. In Österreich ergab eine Befragung von 1700 Studierenden, dass die Hälfte von ihnen das Hybrid-Modell bevorzugen würde. Und die TH Köln, die einen Expertisezirkel Hybride Lehrräume gegründet hat, bescheinigt in ihrer „Digitalisierungsstrategie für Lehre und Studium 2025“ digital unterstützten Lehr- und Lernszenarien ein hohes Potenzial, „Bildung insgesamt flexibler, zugänglicher und verstärkt inklusiv zu gestalten“. Das bedeutet aber auch neue Raumanforderungen: Begegnungs-, Denk- und Kreativräume statt Audimax. Die NTNU (Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens) in Trondheim etwa hat in einem Pilotprojekt aus einem Hörsaal die ansteigende Bestuhlung entfernt und stattdessen auf gestaffelten Podesten Gruppenarbeitstische eingebaut. Bibliotheken, die auf Online-Medien umstellen, brauchen weniger Platz. Dafür sind die Anforderungen an technisierte Räume gestiegen: Konferenzausstattung für Seminarräume, Lernkinos, in denen Kleingruppen aufgezeichnete Vorlesungen anschauen können, Makerspaces, die zum Tüfteln und Ausprobieren anregen. Auch sie schlagen sich im Baubudget der Hochschulen nieder.

Sanierungs-Altlasten, Energie-Effizienz und Digitalisierung – es besteht Hoffnung, dass sich die Probleme teilweise gegenseitig lösen. Denn jede Sanierung nach aktuellen Standards drückt auch automatisch den Energie-Bedarf. Und die hybride Lehre, die weniger Anwesenheitszeiten an der Hochschule erfordert, macht vielleicht die Sanierung einiger Flächen unnötig, führt zu einem Rückbau und damit wieder zu einer besseren CO2-Bilanz. Teilweise summieren sich die Bauanforderungen aber auch und bringen erhöhten Druck ins System. Zum Beispiel an der Universität Ulm. Seit der Absichtserklärung im Koalitionsvertrag, nur noch solche Baumaßnahmen zu fördern, die zu Klimaneutralität beitragen, hat die Landesregierung in Baden-Württemberg auch bereits fertig geplante Baumaßnahmen erneut auf den Prüfstand gestellt. „Die Diskussion über Nachhaltigkeit führt bei uns bis zum Abschluss dieser Prüfung quasi zu Stillstand“, kritisiert Ulms Unikanzler Dieter Kaufmann, einige Baumaßnahmen lägen auf Eis. „Wir haben bei der Planung den Betrieb der Universität in Forschung und Lehre im Blick und wollten dabei möglichst ressourceneffizient sein.“ Nun müsse nachträglich über zusätzliche Investitionen am Bau wie zum Beispiel Dachkollektoren nachgedacht werden. So läuft den Hochschulen, selbst wenn Finanzmittel vorhanden sind, die Zeit davon. Dieter Kaufmann nennt als typische Laufzeit eines Projekts von der Planung bis zum Bezug mindestens acht Jahre. Die Landesbaubetriebe, meint er, seien „eingebettet in ein System, das sie nicht wirklich handlungsfähig macht“. Deshalb wünscht er sich mehr Eigenständigkeit für die Hochschulen, zumindest für kleinere Projekte. Wenn eine Hochschule ein technisches Gerät kaufen will, meint er, habe sie dafür einen Forschungsetat. Wenn sie hingegen eine Wand versetzen will, müsse sie erst die Zustimmung des Bauamts des Landes, der Bau- und Liegenschaftsverwaltung und des Finanzministeriums einholen. In Einzelfällen ist diese Bauhoheit schon umgesetzt: Die Universität zu Köln und die TU Darmstadt zum Beispiel haben ein eigenes Baubudget. Und in Nordrhein-Westfalen gibt es mit der Gesetzes-Novelle von 2019 das Optionsmodell. Dadurch können die Hochschulen als Bauherren auftreten, wenn sie es wollen, auch nur für einzelne Projekte. „Das ist bundesweit die beste Lösung“, sagt Ulf Richter, Kanzler der Universität Siegen, der schon einige Bauprojekte selbst in die Hand genommen hat (siehe ab Seite 26): „Denn wenn ich mir vorstelle, ich hätte die Verantwortung für meine gesamten Liegenschaften – das wäre ein enormer Aufwand für uns.“

Schließlich kann beim Bauen auch sehr viel schief gehen. Wie zum Beispiel beim Haus der Erde der Universität Hamburg. Nach ursprünglicher Planung hätten schon 2019 sieben Institute aus den Fachbereichen Geowissenschaften in den Neubau einziehen sollen. Nun rechnen die Planer mit einer Fertigstellung im Jahr 2024. Und statt der ursprünglich angesetzten 177 Millionen Euro werden die Kosten über 300 Millionen liegen. Der Grund dafür ist ein Planungsfehler: Die Klima- und Lüftungsanlage entsprach nicht den Anforderungen für die hoch spezialisierten Labore. Es gibt Klagen gegen die beteiligten Betriebe und der bisherige Universitätspräsident Prof. Dieter Lenzen ist verärgert über die „fehlende Professionalität bei dem Staatsbetrieb, der als Bauherr fungiert“. 

Aber welche Hochschule hat schon das Knowhow und die Manpower, um solche Großprojekte selbst zu steuern und Bau-Pleiten zu vermeiden? Diese Kompetenzen müssten erst ausgebaut werden. Und hier fehlt es wiederum an den Mitteln oder dem Willen zu investieren: HIS-HE-Expertin Jana Stibbe hat beobachtet, dass entsprechende Stellen an den Hochschulen oft nur befristet ausgeschrieben sind und mit zu geringen Gehaltseinstufungen, die nicht den Anforderungen an Tätigkeit und Verantwortung entsprächen. „Unter diesen Bedingungen“, sagt sie, „können die Hochschulen auf dem Personalmarkt nicht konkurrieren.“ //


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