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Das Gefiedel war überflüssig

Kurz vor der Konferenz ruft der Veranstalter an und erinnert freundlich, aber bestimmt an den Tagungsband.

Die Stimme klingt hektisch: „Herr Hoeren, Sie denken doch an unseren Tagungsband.“ – „Welchen Tagungsband?“ – „Aber Sie wissen doch, wir bringen seit Jahren eine Schriftenreihe heraus. In der Reihe erscheint stets ein Tagungsband, in dem noch einmal alle Vorträge veröffentlicht werden. Am besten, Sie übergeben uns Ihren Text gleich bei der Tagung. Der Band soll ja zeitnah zur Tagung erscheinen.“ – „Ich habe aber kein Manuskript. Ich rede stets frei.“ – (kurzes Schweigen in der Leitung) – „Dann nehmen wir Ihren Vortrag auf und schicken Ihnen eine Mitschrift zum Redigieren zu.“ – „Aber das macht ja noch mehr Arbeit, als ein Manuskript zu erstellen!“ – „Schön, dann stellen Sie uns also ein Manuskript zur Verfügung. Wir gehen da von 25 bis 30 Seiten aus. Formatvorgaben und Abkürzungshinweise gehen Ihnen demnächst zu; Sie werden sich sicherlich auch noch thematisch mit den anderen Referenten abstimmen wollen. Denn ...“ – „Aber …“ (Hörer wird auf der anderen Seite aufgelegt!) – „Tut, tut, tut ...“

Tagungsbände sind – neben Festschriften – der größte Gräuel der Wissenschaftsliteratur. Zunächst einmal verderben sie die Atmosphäre bei der Tagung. Denn natürlich wird nun keiner mehr frei referieren wollen. Das Manuskript ist ja da, wartet nur darauf, vor- und abgelesen zu werden. Da verhaspelt man sich auch nicht mehr, alles wird gesagt und nichts vergessen. Der Kopf ist frei, die Nervosität gering.

Dass der Zuhörer während des Vortrages vor Langeweile zusammenbricht, spielt keine Rolle mehr. Ein Vortrag wird doch nicht für die da im Plenum gehalten! Er ist ein selbstreferenzieller Akt der Wissenschaftsgemeinde, der nur auf sich selbst verweist und alles sein darf – nur nicht lebendig und unterhaltsam. Also lesen, was das Zeug hält, viergliedrige Satzungeheuer, mit Einschüben, Semikola und Parenthesen. Alle müssen zuhören, dösen vor sich hin, sonnen sich in der Gewissheit, dass man ohnehin noch einmal alles in Ruhe in besagtem Tagungsband nachlesen kann. Tagungsbände sind aber auch ein Gräuel für die Vortragenden, die noch einen kleinen Hauch an Rhetorik in ihre Überlegungen bringen wollen. Wer frei redet, wird durch und mit solchen Bänden doppelt gestraft. Es ist für ihn ohnehin ein großer Aufwand, seine Rede frei zu halten. Es gilt, den Irrglauben, dass freie Rede auf Schlamperei und unzureichende Vorbereitung hindeute, an seiner Wurzel zu bekämpfen. Wer frei redet, muss den ganzen Vortrag gedanklich einmal so gestaltet haben, wie dies seine Schreibkollegen tun. Er muss aber darüber hinaus das Ganze in eine Form bringen, die den besonderen Gesetzen des mündlichen Vortrags entspricht. Das kostet viel Überlegung, Erfahrung und zusätzliche Nerven. Wenn sich jedoch jemand auf diesen dornigen Weg macht, wird er jetzt noch mit dem Tagungsband gequält. Er muss nun nachträglich eine Rede konstruieren, die so nie gehalten worden ist. Noch Wochen nach dem Vortrag sitzt er an seiner ungehaltenen Rede, verfasst neben dem Konzept der freien Rede ein zweites Skript.

Wo kein Leser, da kein Kläger

Seine Motivation dazu wird durch einen weiteren Umstand getrübt, der sich als besonders perverses Merkmal der Tagungsbände erweist. Niemand liest, geschweige denn kauft diese Bände. Denn wer interessiert sich schon für die letzte Jahrestagung der Deutsch-Niederländischen Vereinigung für Tierkörperbeseitigungsrechte? Wer stellt sich freiwillig einen Konferenzbericht des Rheinischen Arbeitskreises für Körperschaftsteuerrecht ins Arbeitszimmer? Solche Bände werden zwar formal über Verlage zum Kauf angeboten. Die­se jammern jedoch regelmäßig über die absolut miserablen Verkaufszahlen und rechtfertigen diese mit depressivem Blick auf die guten Beziehungen des Verlags zu den Konferenzveranstaltern, die man ja noch für andere, deutlich wichtigere Buchprojekte brauche. Daher werden solche Bände, damit sie überhaupt unters Volk geraten, an die Mitglieder des Vereins kostenlos verteilt. Und so lesen denn allenfalls diejenigen die Beiträge, die beim Vortrag vor sich hin gedämmert haben. Wenn überhaupt, meist kommt das Buch ungelesen in die oberste Ecke des Bücherregals. Nun gut, wem dienen solche Tagungsbände dann überhaupt? Den Konferenzveranstaltern. Und genau darin liegt das Perfide. Es geht um die Befriedigung von Eitelkeiten. Der Veranstalter will aller Welt demonstrieren, dass er auch einmal einen Kongress organisiert hat, und zeigen, welch „tolle Hechte“ damals da waren. Dabei zahlen Organisatoren gerade dabei oft einen hohen, bisweilen sogar zu hohen Preis. Langweilige Vorträge, genervte Zuhörer, gepeinigte Referenten – alles ad gloriam „dei“. Deshalb: Tod den Tagungsbänden! Weg mit den peinigenden Rufen nach Vortragsmanuskripten! Und wer auch immer von Tagungsbänden bedroht wird, kopiere diesen Text und lege ihn den Tagungsorganisatoren mit dem Hinweis vor: Es gilt das gesprochene Wort.

Tod den Streichern!

Wenn wir nun aber schon dabei sind, akademische Rituale zu hinterfragen: Haben nicht auch die Streicher ihre Rente längst verdient? Da sitzt man bei einem Festakt in der Aula. Der Tag war lang, die Sitze hart. Zwei Stunden lang hörte man Grußworte, Laudationes und natürlich den Festvortrag. Er neigt sich nun dem Ende zu. Die Beine freuen sich schon auf Bewegung, der Rest des Körpers auf Sekt. Da sammeln sich rechts an der Bühne drei große Pinguine, nein Menschen mit Fracks und Geigen – und allen ist klar: Nach diesem Vortrag beginnt der Grusel, das Trauma, der Wahn in Form des sogenannten musikalischen Ausklangs: Haydn, Andante cis-Moll aus der Sonate mis-Moll Opus 54. Gespielt von der Camerata Trajabata, dem Trio Lübbe-Schenking, den Cellofreunden Ostbevern.

Am Ende wird natürlich höflich geklatscht. Denn keiner wagt es auszusprechen: Das Gefiedel war überflüssig. Wer hat sich, als er zum Festakt ging, auf diesen Klassik-Schnipsel gefreut? Wer klassische Musik liebt und hören will, möchte dies wohl eher in wohlproportionierten Musikhallen tun. Er erwartet jedenfalls nicht, bei Festakten in dafür nicht eingerichteten Hallen mit klassischer Musik „berieselt“ zu werden. Und auch für die beteiligten Musiker ist der Auftritt keine Freude. Denn vor ihm sitzt eine amorphe Masse von Musik-Zombies, die langsam vor sich hin dämmert und gelegentlich sogar vor sich hin schläft. Und so entsteht ein gefährlicher Circulus vitiosus: Je gelangweilter das Publikum, desto gelangweilter die Musiker. Und wer gewinnt? Wohl wieder (s. o.) der Veranstalter, der sich in dem Gefühl sonnen kann, einem bürgerlichen Bildungsideal gehuldigt zu haben, das wohl Produkt des späten 19. Jahrhunderts ist. Es geht aber auch anders, zeitgemäßer. Warum nicht mal was Witziges, Modernes, Unterhaltsames als musikalisches Intermezzo? Eine Jazz-Kombo, Dixieland-Band, Blues-Truppe, Hip-Hop-Gang. Selbst mancher Gospelgesang ist erquickender als die Kammer-Klampf-Krampfmusik.

Deshalb hier die fünf ultimativen Flops (die wir in Zukunft nicht mehr bei universitären Feiern hören wollen):

  • Antonín Dvorák: Allegro aus der Sonatine G-Dur op. 100  für Violine und Klavier
  • Franz Schubert: Allegretto B-Dur, DV 593, Nr. 1
  • W. A. Mozart: Allegro aus dem Divertimento F-Dur
  • W. A. Mozart: Rondo aus dem Divertimento F-Dur
  • W. A. Mozart: Andante C-Dur KV 314
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