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Kohle, Zukunft, Rollensuche

Was kommt nach der Kohle? Wenn die Tagebaue westlich des Rheins und in der Lausitz schließen, sollen Zukunftstechnologien neue Perspektiven schaffen. Ein Fall für die ortsansässigen Hochschulen RWTH Aachen, TU Dresden und BTU Cottbus-Senftenberg

Das Loch in der Landschaft ist riesig: 85 Quadratkilometer Fläche umfasst der Tagebau Hambach des Kraftwerksbetreibers RWE in Nordrhein-Westfalen, westlich von Köln. Ende des Jahres soll die Braunkohleförderung hier auslaufen. 40 bis 60 Jahre wird es dauern, bis die renaturierte Grube sich in einen See verwandelt hat. 

Für diese Zeit stehen in den Randbereichen und Böschungen der Grube immense Flächen zur Nutzung zur Verfügung, auf begrenzte Zeit natürlich, je nach Füllstand. Wie man sie am besten nutzt, daran arbeitet Dr. Matti Wirth, Planer bei der Entwicklungsgesellschaft Hambach. „Wir sind sehr interessiert an innovativen Nutzungsideen“, sagt er. Am liebsten mit einem multifunktionalen Ansatz: Freiflächen-Photovoltaik, wo unter den Panels noch Platz ist für Artenschutz. Oder landwirtschaftliche Flächen, die gleichzeitig zu Freizeit- und Erholungszwecken dienen können. Für den Sommer dieses  Jahres hat Wirth Studierende und Forschende der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen zu einem Ideen-Workshop eingeladen. Sie vertreten „REVIERa“, eine interdisziplinäre Netzwerk-Plattform der Hochschule, die das Ziel hat, mit wissenschaftlichem Know-how den Wandel weg von der Kohle und hin zu neuen Technologien zu begleiten. Mit ihrer Expertise aus unterschiedlichen Fachrichtungen könne die Hochschule zu kreativen Lösungen beitragen und im Gespräch mit verschiedenen Interessensgruppen überparteilich vermitteln, sagt Prof. Dr. Agnes Förster, Professorin für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH. Sie spricht für das Kernteam von „REVIERa“ und meint: „Das ist es, was wir können: Ideen verknüpfen, Wissen und Menschen vernetzen.“ Eine Aufgabe der Hochschulen sei, Methoden zu entwickeln, die es Menschen erlauben, sich in so komplexe Fragestellungen wie den Strukturwandel einzubringen, so Förster.

Wenn eine Hochschule wie im Fall der Grube Hambach mit der Gesellschaft in einen Dialog tritt, geht sie über ihre Kernaufgaben Forschung und Lehre hinaus und bedient die dritte Säule ihrer Aufgaben, die sogenannte Third Mission. Damit ist die Verflechtung der Universitäten mit Kommunen, der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen gemeint. „Eine moderne Universität bringt sich offensiv mit ihren innovativen und nachhaltigen Lösungsansätzen in den gesellschaftlichen Diskurs ein und übernimmt Verantwortung“, sagt Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, der Rektor der RWTH Aachen. Das gilt aus Sicht der Hochschule auch für den Strukturwandel im Rheinischen Revier, der Braunkohleregion direkt vor der Haustür.

Industrie am Rhein, Aufbau in der Lausitz 

Während im Rheinischen Revier um die Kohlereviere herum eine leistungsstarke Wirtschaftsstruktur bereits vorhanden ist, gehören die Braunkohleregionen im Osten zu den strukturschwachen Regionen, in denen eine tragfähige Wirtschaftsstruktur erst noch aufzubauen ist. Teilzuhaben an diesem industriellen und gesellschaftlichen Wandel heißt natürlich auch teilzuhaben an den Geldern, die in diesem Rahmen ausgeschüttet werden. Es heißt, die eigenen starken Forschungsbereiche in neuen Dimensionen voranzutreiben. Darum bemüht sich die Technische Universität (TU) Dresden mit ihrer Teilnahme am Wettbewerb „Wissen schafft Perspektiven für die Region!“. Hier loben das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Land Sachsen und das Land Sachsen-Anhalt die Förderung zweier Großforschungszentren aus, eines in der Sächsischen Lausitz und eines im mitteldeutschen Revier, der ehemaligen Montan-Region rund um Halle und Leipzig. In der ersten Auswahlrunde, die im Juli 2021 zu Ende ging, kam der Vorschlag der TU Dresden in die engere Auswahl: „Lab – Lausitz Art of Building“. Es hat den Anspruch, einen Paradigmenwechsel im Bauwesen einzuleiten. Mehr Ressourceneffizienz, klimaneutrale Werkstoffe und modular geplante, lange nutzbare Gebäude sollen den enormen Ressourcenverbrauch im Bauwesen mindern. Die Vision sieht die Lausitz als Modellregion für nachhaltiges Planen und Bauen. 500 000 Euro für die Konzeptentwicklung sind schon geflossen. In Aussicht steht eine Finanzierung im Gesamtwert von 1,25 Milliarden Euro.

Doch diese forschungsgeleitete Umgestaltung ganzer Regionen in Kombination mit hohen Geldsummen, das haben die Hochschulen erkannt, kann nicht von oben herab passieren. Sie muss die Menschen mitnehmen. Gerade für Exzellenz-universitäten, denen oft der Ruf anhaftet, elitär und abgehoben zu sein, scheint es ratsam, sich als nahbar zu präsentieren: „Oft wird der Einfluss der Forschung auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu wenig sichtbar“, stellt Prof. Dr. Roswitha Böhm, Prorektorin Universitätskultur an der TU Dresden, fest. „In den vergangenen Jahren war eine Zunahme wissenschaftsskeptischer bis hin zu wissenschaftsfeindlichen Positionen festzustellen.“ Dem versucht die Universität mit dem Projekt „POP-UP-WISSEN – Wissen schafft Dialog“ entgegenzuwirken, das im Rahmen des Wissenschaftjahrs Partizipation vom BMBF gefördert wird. Dabei können Bürgerinnen und Bürger in der Stadt Weißwasser in der Oberlausitz Forschenden Fragen stellen, im Internet oder ganz klassisch in aufgestellten Sammelboxen. Seit April werden die gebündelten Fragen von Wissenschaftlern beantwortet. Auch gibt es Veranstaltungen, auf denen gemeinsam nach Antworten gesucht wird – in verschiedenen Formaten wie Science Slam, Design Thinking Workshops, Vorträgen oder Schulprojekttagen. 

Was auf den ersten Blick wie Hochschul-PR wirkt, ist aus Sicht des Oberbürgermeisters von Weißwasser, Torsten Pötzsch, durchaus ein Beitrag zum Strukturwandel: „Durch die demografische Situation und die Wende haben viele Wissensträger und Fachleute die Stadt verlassen. Durch kreative Ideen vor Ort mit Partnern wie der TU Dresden können wir hier Bildung und Wissenschaft in einer ganz neuen Dimension fördern.“ Die Kommunikation zwischen Forschern und Bürgern zu großen Zielen und die vielen kleinen Schritte dahin, meint er, schaffe Attraktivität und Lebensqualität vor Ort. Diese Art der Interaktion erfordert ein neues Selbstverständnis aufseiten der Wissenschaftler. Prof. Dr. Ursula Staudinger, Rektorin der TU Dresden, beobachtet, dass sich im Vergleich zu ihren Doktoratszeiten der Wind gedreht hat: „Wir erleben es in der nachwachsenden Generation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, dass ein großer Bedarf und Wunsch vorherrscht, zu zeigen, welchen Beitrag gute und herausragende Forschung für das Gemeinwesen leisten kann.“

„Die Wandlung der Region ist auch ein Impuls für die Hochschulen, sich zu wandeln“, sagt die Aachener Professorin Agnes Förster. Transformative Forschung, also Forschung, die den Wandel anstrebt, führe so zu einer Transformation der Forschung selbst. Sie erlebt eine Veränderung der Wissenskultur und eine deutliche Öffnung nach außen. Abzulesen ist das auch daran, dass Mittel aus der Exzellenzstrategie in Projekte wie „REVIERa“ fließen.

Finanzfrust für kleinere Projekte in Aachen 

So weist die Projektlandkarte von „REVIERa“ über 50 mögliche Andockpunkte für wissenschaftliches Know-how in der Region aus. Das heißt allerdings nicht, dass die angesprochenen Akteure dafür offen sind. Und auch nicht, dass für diese Ideen eine Finanzierung vorhanden ist. Prof. Dr. Stefan Böschen, Lehrstuhlinhaber für das Forschungs- und Lehrgebiet „Technik und Gesellschaft“ am Human Technology Center (HumTec) der RWTH Aachen bemerkt bei engagierten Kollegen durchaus einen gewissen Frust. Denn das Geld aus dem „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ (StStG) fließt zwar für neue Großforschungszentren. Kleinere Vorhaben hingegen haben es deutlich schwerer, an die Gelder aus der Strukturförderung zu kommen. Es gebe hohe Zugangshürden, wie zum Beispiel eine finanzielle Eigenbeteiligung von zehn Prozent, die die Hochschulen in den seltensten Fällen aufbringen könnten, sagt Böschen. Das Projekt „Mine ReWIR“, an dem Böschen mit dem HumTec beteiligt ist, geht deshalb einen Sonderweg: Ziel der Wissenschaftler ist es, für Unternehmen, die als Zulieferer für RWE und die Braunkohle-Verstromung ihr Auskommen hatten, eine neue Perspektive zu entwickeln. Im Netzwerk und mit Unterstützung der Hochschule sollen sie ein Innovationsmanagement aufbauen. Nach der Konzeptphase ist jedoch die Förderung durch das BMBF ausgelaufen. Damit „Mine ReWIR“ auch in die Umsetzung gehen kann, soll nun ein Verein gegründet werden, über den die teilnehmenden Unternehmen die Forscher finanzieren.

Science Park mit 10000 Jobs in der Lausitz

Ein größerer Wurf ist im brandenburgischen Cottbus in Arbeit. Hier hat sich die kleine und junge Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg dem großen und langfristigen Ziel verschrieben, den Strukturwandel in der Lausitz voranzutreiben. Gerade mal 6800 Studierende sind an der BTU eingeschrieben – benachbarte Hochschulen wie die TU Dresden sind fünfmal so groß. Und doch wagt sich die BTU an das Projekt mit Strahlkraft heran: Anfang März diesen Jahres unterzeichnete sie gemeinsam mit Partnern aus Politik, Forschung und Industrie die Absichtserklärung für den „Lausitz Science Park“. Er entsteht auf städtischem Grund in direkter Nähe zum Hauptcampus Cottbus und soll im Endausbau 420 Hektar groß sein. Rund um Forschungszentren sollen sich bis zu 200 kleine und mittelständische Unternehmen ansiedeln, Wohnungen, Kitas und Gastronomie entstehen und bis zu 10 000 Arbeitsplätze. Vorbild für den „Lausitz Science Park“ ist Adlershof, Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark in Berlin, dessen Betreiber-Gesellschaft WISTA Management GmbH auch in der Lausitz als Beraterin ins Boot geholt wurde.

Aber die Lausitz ist eine Wald- und Teichlandschaft an der Grenze zu Polen, wo sich die Natur ehemalige Tagebauflächen zurückholt und Wölfe heimisch sind – nicht Berlin. Wenn der Park trotzdem funktioniert, liegt das daran, dass es hier nicht nur Wölfe und Natur gibt, sondern auch Industriepartner mit handfesten Interessen. Dazu gehören BASF mit dem Produktionsstandort Schwarzheide nahe dem BTU-Campus Senftenberg, die Deutsche Bahn, die in Cottbus ein ICE-Instandhaltungswerk aufbaut, und der Turbinenhersteller Rolls Royce. Der ist zwar eigentlich in Dahlewitz im Süden von Berlin ansässig, aber es besteht schon lange eine Zusammenarbeit mit der BTU. Rolls Royce zählt die Hochschule zu seinen University Technology Centers (UTC). Das sind weltweit insgesamt 30 Lehrstühle, die von Rolls Royce finanziell unterstützt und im Rahmen einer langfristigen Kooperation mit Forschungsaufgaben versorgt werden. Gemeinsam mit der BTU will Rolls Royce das „Center for Hybrid-Electric Systems Cottbus“, kurz Chesco, aufbauen, um klimafreundliche Flugzeugantriebe zu entwickeln.

Heutige Flieger seien im übertragenen Sinn „mit dem LKW zum Brötchenholen“ unterwegs, sagt Prof. Dr. Klaus Höschler, Professor für Flug-Triebwerksdesign an der BTU. In der Zukunft könnten sie besser an die wirklichen Bedarfe angepasst sein. Die schweren Turbinen unter den Tragflächen zum Beispiel sind aerodynamisch eher ungünstig und müssen außerdem während des Fluges dauerhaft in Betrieb sein. Alternativ wären elektrisch betriebene, über das Flugzeug verteilte Propeller denkbar, die sich je nach Bedarf ab- und zuschalten lassen und im Sinkflug sogar rekuperieren, also Energie zurückgewinnen. Für Kurzstrecken könnten sie aus einer Batterie betrieben werden, die auf längeren Flügen mittels einer Gasturbine aus Treibstoff oder mittels einer Brennstoffzelle aus Wasserstoff wieder aufgeladen würde. Allerdings, erklärt Höschler, bräuchten diese Entwicklungen in der Luftfahrt aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen extrem lange Entwicklungszeiten und Testphasen. „Dafür brauchen wir einen Beschleuniger“, sagt er. Der heißt, siehe oben, Chesco und wird ein Fertigungs- und Testzentrum zum Erproben neu entwickelter Systeme und Prototypen sein.

Ohne die Strukturförderung hätte es das so nicht gegeben, sagt Dr. Peter Wehle, Leiter Innovation, Forschung und Technologie von Rolls-Royce Deutschland. Denn die Grund­investition in Höhe von 38,5 Millionen Euro kommt von der Brandenburger Investitionsbank. Rolls Royce ist im Zentrum nur kostenpflichtiger Nutzer, sichert damit aber immerhin den laufenden Betrieb. Weitere Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und aus dem Luftfahrtforschungsprogramm (LuFo) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) werden folgen, hofft Höschler. 

Darüber hinaus soll das High-Tech-Projekt auch im Umfeld wirken: „Chesco ist ein Magnet, der Firmen anzieht“, sagt Prof. Dr. Michael Hübner, Vizepräsident für Forschung und Transfer der BTU. Damit verbessert sich auch der Nährboden für andere wissenschaftliche Vorhaben. Insgesamt habe die Hochschule aus der Strukturförderung 300 Millionen Euro für Forschungsprojekte akquiriert, so Hübner, alle mit dem Auftrag, in der Region eine nachhaltige Wirkung zu entfalten. Dafür, dass das tatsächlich gelingt, soll der „Lausitz Science Park“ die Möglichkeiten schaffen. //


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