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Jenseits der gläsernen Decke

Es reicht nicht aus, die Anteile von Frauen auf Professuren zu erhöhen: Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur geschlechteregalitären Hochschulkultur

Frauen haben heute gut ein Viertel der Professuren an deutschen Hochschulen inne. Auch wenn ihr Anteil damit in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, stellen sie noch immer eine Minderheit dar – dies umso mehr in einzelnen Disziplinen. Wurde mit der Steigerung der Anteile auch eine geschlechterega­litäre Hochschulkultur erreicht? Welche Erfahrungen machen Frauen diesbezüglich auf den Professuren? Diese Fragen hat das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt „Jenseits der Gläsernen Decke – Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung“ auf der Basis leitfadengestützter Interviews mit 108 Professorinnen und 25 Professoren über vier Jahre erforscht. Berücksichtigt wurden in gleichen Teilen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), Kunsthochschulen, Musikhochschulen und Universitäten.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen: Zwar werden Frauen mit der Berufung formal zu gleichrangigen Mitgliedern des professoralen Kollegiums. Dennoch, so die ernüchternden Befunde der Untersuchung, entstehen auf der Ebene der Professur weiterhin regelmäßig Ausschlüsse und Marginalisierungen, verursacht vor allem durch informelle Kulturen und Praktiken der Interessensaushandlung und Arbeitsteilung. In diesem Beitrag stellen wir zentrale Ergebnisse der Studie zu folgenden Themen vor: Ankommen auf der Professur und Informalität sowie Sichtbarkeit und Strukturen der Arbeitsteilung. Abschließend gehen wir auf notwendige Veränderungen ein.

Ankommen auf der Professur und Informalität

Geschlechtlich strukturierte Unterschiede zeigen sich bereits beim Ankommen an der Hochschule: So bekunden die interviewten Männer zum Zeitpunkt des Antritts der Professur, gut mit formalen wie informellen Anforderungen der neuen Position vertraut gewesen zu sein – vorrangig unterstützt durch ihre (meist männlichen) „akademischen Lehrer“. In den Interviews mit Professorinnen finden sich keine entsprechenden Erzählungen; ihnen ist die spezifische informelle Kultur an Hochschulen zu Beginn dadurch deutlich fremder, die Einarbeitungszeit häufig entsprechend länger. Doch auch etablierte Professorinnen machen regelmäßig die Erfahrung des Ausschlusses aus informellen Kreisen, die sich etwa über vorwiegend männlich konnotierte Freizeitaktivitäten (wie etwa Fußball-Gucken) definieren, in denen gleichzeitig aber Informationen ausgetauscht und Positionen (zum Beispiel vor Gremiensitzungen) abgestimmt werden. Zwar sind auch manche Männer von solchen Ausschlüssen betroffen, doch erheblich seltener und eher freiwillig. Angesichts dessen müssen Professorinnen regelmäßig höheren Aufwand betreiben, um Kooperationen aufzubauen oder in der akademischen Selbstverwaltung Gestaltungsmöglichkeiten zu erlangen.

Sichtbarkeit und Arbeitsteilung

Sichtbarkeit und damit Anerkennung werden durch die eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Leistungen, durch Beteiligung in der akademischen Selbstverwaltung oder (in Kunst- und Musikhochschulen) durch erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen gewonnen. Die Befunde der vorliegenden Untersuchung zeigen jedoch: Die objektiv vorgelegte Leistung spielt nur eine begrenzte Rolle dafür, wer an einer Hochschule als wichtig und für potenzielle Bündnisse oder Kooperationen als interessant wahrgenommen wird. Weitaus bedeutender scheint die aktive Benennungs- und Anerkennungspraxis innerhalb der Hochschulöffentlichkeit, die vor allem interaktiv funktioniert. Erst die kollegiale Benennung lässt die Leistung und ihre Trägerin sichtbar werden. Hinzu kommt eine häufig in unseren Interviews beschriebene Arbeitsteilung, in der prestigeträchtige, repräsentative Aufgaben von männlichen Kollegen und Hintergrundarbeiten, die arbeitsintensiv sind, aber wenig Einfluss oder Anerkennung versprechen, von Professorinnen übernommen werden.

Kulturelle Veränderungsprozesse notwendig

Die beschriebenen marginalisierenden oder auch exkludierenden Effekte dieser Prozesse können auf einer individuellen Ebene durch etablierte Kolleginnen und Kollegen durchbrochen werden, wenn diese bewusst eigene Rekrutierungs- und Kooperations- oder auch Benennungspraktiken reflektieren und gegebenenfalls verändern. Letztendlich lassen sie sich aber nur durch einen strukturellen und nachhaltigen Kulturwandel der Organisation Hochschule adressieren.

Ein solcher Kulturwandel erfordert organisationale Ansatzpunkte, um historisch gewachsene „gendered organizations“ wirksam in Bewegung zu bringen. Fakultäts- und Hochschulleitungen können strukturell ansetzen, indem etwa transparente und prinzipiell zugangsoffene Foren und Prozesse aufgebaut werden, die als relevante Handlungsarenen konsequent Stärkung erfahren. Entscheidend scheint dabei die Herstellung gleicher Startbedingungen bei Antritt der Professur, zum Beispiel durch strukturierte Onboarding-Programme an Hochschulen und Fakultäten, die den Prozess des Ankommens für alle Neuberufenen nach bestimmten Standards strukturieren und grundlegende Informationen bereitstellen. Auch Mentoring- oder Patenschaftssysteme mit etablierten Peers sind denkbar, um das kollegiale Einmünden der Neuberufenen an der Hochschule zu unterstützen, die ungeschriebenen Regeln zu vermitteln und Vernetzung zu fördern.

Unsere Untersuchung macht deutlich: Es reicht nicht aus, die Anteile von Frauen auf Professuren zu erhöhen. Darüber hinaus sind auch bewusste strukturelle wie kulturelle Veränderungsprozesse notwendig, um dauerhaft eine geschlechteregalitäre Hochschulkultur herzustellen. //

Dr. Anne Dölemeyer 

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HAWK – Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Ihre Schwerpunkte sind die Frauen- und Geschlechterforschung sowie politische Partizipation und Staatlichkeit.

Foto: Privat

Prof. Dr. Tanja Paulitz

leitet den Arbeitsbereich Kultur- und Wissenssoziologie am Institut für Soziologie der TU Darmstadt. Ihre Schwerpunkte sind Frauen- und Geschlechterforschung, Technik-, Wissenschafts- und Hochschulforschung sowie Ingenieurkulturen und die Digitalisierung der Arbeitswelten. 

Foto: Privat

Prof. Dr. Leonie Wagner 

hat die Professur für Pädagogik und Soziale Arbeit an der HAWK – Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen inne. Ihre Schwerpunkte sind Soziale Arbeit und Sozialpädagogik, Frauen- und Geschlechterforschung.

Foto: Privat

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