// Editorial //
Weltpolitik und Wissenschaftsaustausch auf internationaler Ebene sind eng miteinander verquickt, weit enger, als man es sich gemeinhin so vorstellt ...
... Wem das bisher nicht bewusst war, wird dieser Tage eines Besseren belehrt: Angesichts des von Wladimir Putin befohlenen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze wird die Kalte-Kriegs-Rhetorik erneut salonfähig. Die Rufe nach Sanktionen und vor allem Waffen werden immer lauter, als ob dies jemals zur Entschärfung einer Bedrohung, gar eines möglicherweise anstehenden kriegerischen Konfliktes geführt hätte. Doch nicht nur die üblichen Verdächtigen (Hardliner, Kommunistenhasser, Opposition, Verschwörungsaffine) stimmen in das Freund-Feind-Geschrei ein, auch aus der Wissenschaftsecke vernimmt man Töne, die an (fruchtlose) Lösungsstrategien aus dem letzten Jahrtausend erinnern. So mahnte die neue Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters vom 20. Januar 2022 zur Vorsicht bei Wissenschaftskooperationen mit Russland (und China). Es sei „grundsätzlich sinnvoll“, so die Ministerin, wenn man mit beiden Ländern bei Großprojekten wie etwa dem Kernfusions-Forschungsprojekt ITER zusammenarbeite. „Wenn aber ein Projektpartner wie derzeit Russland derart eskaliert, müssen wir uns fragen, wie man künftig damit umgeht.“
Was mich in diesem Kontext irritiert: Hier spricht nicht die deutsche Verteidigungsministerin, auch nicht die Außenministerin, sondern ausgerechnet diejenige, die für stabile Wissenschaftsbeziehungen mit ausländischen Partnern zuständig ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der deutsch-russische Wissenschaftsaustausch „top“ ist, trotz lädierter Beziehungen auf der obersten politischen Ebene. Und Insider wissen: Wissenschaftsdiplomatie kann in schwierigen Zeiten „Wunder“ bewirken und dazu beitragen, dass Regierungen miteinander im Gespräch bleiben. (Russland ist ein gutes Beispiel dafür.) Nicht von ungefähr hat das Auswärtige Amt im Dezember 2020 seine Außenwissenschaftspolitik strategisch neu ausgerichtet. So heißt es in dem Strategiepapier: „Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten die Internationalisierung des Bildungs- und Wissenschaftsstandortes Deutschland sowie die internationale Vernetzung von Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und Wissenschaftsinstitutionen im Vordergrund der Politik der Bundesregierung gestanden haben, bedarf es für die 2020er-Jahre einer neuen Strategie. Wir fassen diese unter den Begriff der ‚Science Diplomacy‘.“ Und ausdrücklich nennt das Auswärtige Amt Russland: „Regionale Schwerpunkte legen wir für das kommende Jahrzehnt insbesondere auf die Stärkung europäischer Souveränität und Solidarität, auch unter Einschluss schwieriger Partner wie Russland [...].“
(Wissenschafts-)Diplomatie ist das Gebot der Stunde. Sie ist „keine Zeitverschwendung“, wie es Theo Sommer dieser Tage in der ZEIT vom 25. Januar 2022 so treffend mit einem Zitat von Harald Kujat, deutscher General a.D. der Luftwaffe und ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, auf den Punkt brachte: „Es ist vernünftiger, einen Krieg zu verhindern, als einen Aggressor wegen seiner Aggression zu bestrafen.“
DUZ Wissenschaft & Management 01/2022 vom 04.02.2022