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Karriereaussichten bleiben weiterhin schlecht

Im Dezember veröffentlicht die EU-Kommission nach drei Jahren wieder Vergleichszahlen zur Situation von Frauen in der Forschung. Viele Hochschulmanager warten darauf. Gemessen werden ganz neue Aspekte wie die Mobilität.

Brüssel Mitte Dezember ist es wieder soweit. Dann veröffentlicht die EU-Kommission Zahlen zum Stand der Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Forschung. Alle drei Jahre vergleichen die sogenannten She Figures, wie viele Frauen in den Mitgliedsstaaten promoviert sind, Professuren innehaben oder Hochschulen leiten. Dieses Jahr dürfen Wissenschaftlerinnen und Hochschulmanager auf die Daten besonders gespannt sein. Denn es gibt neue Indikatoren. Am 20. November wird entschieden, welche es sein werden. Im Gespräch sind etwa Erhebungen zur Work-Life-Balance, die erstmals aufgenommen werden könnten. Von diesen Daten verspricht man sich weitere Aufschlüsse darüber, warum Wissenschaftlerinnen in einigen Ländern eher Karriere machen können als in anderen.

Ein Faltblatt mit ersten Zahlen wurde im Sommer veröffentlicht. Daraus geht bereits hervor, dass Deutschland mit einem Frauenanteil von 44 Prozent bei den Doktoranden im Jahr 2009 nur einen Prozentpunkt unter dem EU-Durchschnitt liegt. Das ist gut. Anders sieht das bei den promovierten Forscherinnen aus. Zwar haben die deutschen Forscherinnen von 2002 bis 2009 schneller aufgeholt als die Wissenschaftlerinnen in anderen Ländern. Mit einem Anteil von 25 Prozent an allen Forschenden liegen sie aber immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 33 Prozent. Bei den jeweils höchsten Positionen im Wissenschaftssystem gehört Deutschland mit 15 Prozent zu den Ländern mit dem geringsten Frauenanteil. Dabei gab es hierzulande im Jahr 2010 fast doppelt so viele Frauen auf C3- und W4-Professuren wie 2002.

Aufschlussreich sind auch die vorab veröffentlichten Zahlen zu Entscheidungspositionen im Wissenschaftssystem. So beträgt der Frauenanteil an den höchsten Gremien in Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland 21 Prozent. Schweden, Finnland und Norwegen liegen mit 37 bis 45 Prozent wesentlich näher an ausgeglichenen Verhältnissen. Ähnlich sieht es bei den Hochschulchefs aus. Während in Skandinavien im Jahr 2010 zumindest jede vierte Hochschule von einer Frau geleitet wurde, ist es in Deutschland nur jede achte. Allerdings haben die deutschen Frauen auch auf diesem Gebiet sehr aufgeholt.

„Erst der internationale Vergleich zeigt den Aufholbedarf in Deutschland.“

Für die gleichstellungspolitische Arbeit in den deutschen Wissenschaftsinstitutionen sind die She Figures eine wichtige Argumentationshilfe. Dr. Edit Kirsch-Auwärter, bis vor kurzem Gleichstellungsbeauftragte der Universität Göttingen und viele Jahre Mitglied im Bundesvorstand der Gleichstellungsbeauftragten (BuKoF), ist eine Anhängerin dieses Zahlenwerks. Bahnbrechend war aus ihrer Sicht vor allem der Vorläufer der She Figures, der sogenannte ETAN-Bericht, der 2002 erschien: „Das war unsere Philosophie, unsere Bibel, mit der wir die Leute vom Hocker reißen konnten. Denn erst der internationale Vergleich zeigte den Aufholbedarf von Deutschland“, sagt sie. Und auch heute seien die She Figures eine gute Waffe, wenn Gleichstellungsbeauftragte in die Enge getrieben würden.

Die EU-Kommission will aber mit den She Figures nicht nur Argumentationshilfen liefern, sondern einen differenzierten Einblick in die Rahmenbedingungen weiblicher Wissenschaftskarrieren ermöglichen. Dr. Andrea Löther, stellvertretende Leiterin des Bonner Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS, ist die deutsche Statistik-Beauftragte für die She Figures. Sie kennt die Diskussionen, die im Hintergrund geführt werden, und berichtet, dass noch Zahlen zur Teilzeitbeschäftigung und zum Anteil der Forscherinnen mit Kindern in der Diskussion sind. Wahrscheinlich aufgenommen werden dieses Jahr Daten, die zeigen, wie viel Geld für Forschungsprojekte aus EU-Mitteln an Frauen geht. Zudem sollen laut Löther Ergebnisse einer Umfrage zur geografischen Mobilität erscheinen. „Interessant wäre zum Beispiel, wenn die deutschen Wissenschaftlerinnen nicht so viel reisen wie die schweizerischen“, sagt Kirsch-Auwärter. „Dann würde dies die Deutsche Forschungsgemeinschaft vielleicht auf die Idee bringen, wie die Schweiz mobilitätsfördernde Programme speziell für Frauen aufzulegen.“

„Derzeit prüfen wir aber noch, ob die neuen Daten valide und international vergleichbar sind“, sagt Löther. Auch einheitliche Definitionen der hierarchischen Stufen im Wissenschaftssystem müssen immer wieder neu gefunden werden. Jüngstes Beispiel sind die von der Schweiz gelieferten Daten zu den sogenannten „Grade A-Positions“. Das sind die jeweils höchsten Positionen in den nationalen Wissenschaftssystem, in denen man sowohl lehren als auch forschen muss. In der Vorveröffentlichung steht die Schweiz mit 37 Prozent an der Spitze. „Anders als in den vergangenen Jahren haben wir dieses Mal das komplette akademische Personal in den höchsten Positionen gezählt und nicht nur die, die auch forschen“, erklärt Dr. Elisabeth Pastor vom Statistischen Bundesamt der Schweiz. Im endgültigen Bericht werden die Zahlen bei etwa 26 Prozent liegen.

Die Entscheidung, welche Indikatoren in die She Figures 2012 aufgenommen werden, trifft im November die Helsinki-Gruppe Frauen und Wissenschaft. Das sind Regierungsvertreterinnen und Gleichstellungsexpertinnen aus den EU-Mitgliedsstaaten und den assoziierten Ländern. Bis dahin prüfen die Statistik-Beauftragten die Daten, die an der Universität Brüssel im Auftrag der EU-Kommission zusammengestellt werden. Andrea Löther hat gerade die letzten Kapitel zur Validierung auf dem Schreibtisch.
 

Dr. Beate Scholz

Wie wichtig Zahlen sind

„Ich sehe noch viel Handlungsbedarf“

Dr. Beate Scholz kümmerte sich viele Jahre bei der DFG um die Nachwuchsförderung. Seit 2008 berät sie Hochschulen und die EU zu Bedingungen für Frauen in der Wissenschaft.

duz: Welche Bedeutung haben die She Figures für Ihre Arbeit?

Scholz: Die She Figures sind eine zentrale Analysegrundlage. Sie zeigen, wie hoch der Frauenanteil auf verschiedenen hierarchischen Stufen und in den großen Fachgebieten ist. Sie beleuchten zudem die Entwicklung im Lauf der Zeit, sodass sich Dynamiken erkennen lassen. Wenn sich in einem Land ein besonders positiver Trend abzeichnet, kann man da noch einmal genauer hinschauen und fragen: Wie sind hier die Rahmenbedingungen, die dies ermöglicht haben?

duz: Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

Scholz: Großbritannien hat in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Ich wage die Hypothese, dass das an einer individuelleren Begutachtung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt. Man muss wissenschaftliche Leistung ja nicht nur an den Impact-Faktoren messen. Auch Erfahrungen im Wissenschaftsmanagement oder außerhalb der Hochschule sowie Familienzeiten können berücksichtigt werden. Da sehe ich noch viel Handlungsbedarf in Deutschland.

duz: Wenn die She Figures neu herauskommen, auf welche Tabelle schauen Sie zuerst?

Scholz: Auf Spitzenpositionen, denn von diesen aus kann das Wissenschaftssystem gestaltet werden. Und da sehen wir eine starke Konstanz bei den skandinavischen Ländern. Für Entscheidungsgremien und -positionen ist hier ein Quoten-Bewusstsein verbreitet, das seinesgleichen sucht.

Internet: www.scholz-ctc.de
Die Fragen stellte Susanne Keil
 

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