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Digital vernetzen – geht das?

Wegen Corona fallen viele persönliche Begegnungen bei der Arbeit weg. Die Hochschule für Technik Stuttgart hat die Vernetzungsmethode „Working Out Loud“ mit ihren Mitarbeitenden ausprobiert. Ein Erfahrungsbericht

Seit März 2020 arbeiten wir zu Hause. Mit Online-Whiteboards in digitalen Team-Meetings planen wir gemeinsam unsere To-do-Listen und treiben Projekte voran. Doch die physische Distanz zu den anderen wirkt sich auch auf unsere Arbeitsbeziehungen aus. Denn die vielen spontanen Begegnungen am Postfach oder an der Kaffeemaschine sind weggefallen. Solche spontanen Treffen festigen aber nicht nur das Gruppengefühl, sondern verstärken auch das Zugehörigkeitsgefühl zur Organisation. Sie fördern zudem effizientes Arbeiten und das Entstehen neuer Ideen. An der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) haben wir uns im Rahmen der Bund-Länder Förderinitiative „Innovative Hochschule“ gefragt, wie wir trotz der Ferne mehr Vernetzung und Nähe zwischen Kolleginnen und Kollegen fördern können. Mit Working Out Loud (WOL) sind wir auf eine Methode gestoßen, die sich seit einigen Jahren in deutschen Konzernen wie Bosch, Siemens und Daimler verbreitet.

Die Methode Working Out Loud
„Working Out Loud ist eine einfache Methode, um relevante Arbeitsbeziehungen aufzubauen, die dabei helfen, ein Ziel zu erreichen oder neue Themen zu entdecken“, sagt WOL-Gründer John Stepper.

Wir haben WOL in Zirkeln von drei bis fünf Personen, wie es von Stepper empfohlen wird, umgesetzt. So trafen wir uns zwölf Wochen lang jeweils eine Stunde im virtuellen Raum über Videokonferenz. Jeder wählte ein berufliches oder persönliches Ziel und fing an, sich im Lauf der Zeit dazu ein Netzwerk aufzubauen. Ziele können zum Beispiel sein: „Ich möchte meine rhetorischen Fähigkeiten verbessern“ oder „Ich möchte neue digitale Tools für meine Arbeit kennenlernen“.
Selbstorganisiert und auf Augenhöhe unterstützten wir uns in den Zirkeln gegenseitig. Ein wöchentlicher WOL-Leitfaden (Guide) mit zielgerichteten Aufgaben leitete durch die Treffen. Anhand dieser Struktur übten wir, Kontakte zu knüpfen und die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen.

Wichtiger als die Methode ist die dahinter liegende Haltung des sichtbaren Arbeitens. Das meint, die eigene Arbeit für andere sichtbar und zugänglich zu machen, im übertragenen Sinne also „Working out Loud“. So entstehen Anknüpfungspunkte und Stück für Stück stabile Beziehungen. Dies geschieht, wenn wir großzügig Wissen und Informationen teilen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten, sondern um die Beziehung zu stärken. WOL eignet sich nach unserer Erfahrung nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Mitarbeitende an Hochschulen aus Verwaltung, Lehre und Forschung.

Erfahrungen an der HFT Stuttgart
Im April 2020, kurz nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, starteten wir an der HFT Stuttgart die erste WOL-Initiative. Nach der WOL-Informationsveranstaltung fanden sich 17 Personen in vier Zirkeln zusammen, die von da an ihre Treffen in Eigenregie organisierten. In der ersten WOL-Runde waren andere Projekte der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ und weitere Forschungsinstitute dabei. So konnten wir hochschulübergreifend Beziehungen aufbauen. Die Evaluation nach Abschluss der zwölf Wochen übertraf die Erwartungen: 90 Prozent gaben an, sie würden ein weiteres Mal teilnehmen.

Deshalb läuft derzeit die zweite Runde WOL mit 18 Mitarbeitenden in vier Zirkeln. Dabei sind Menschen aus der Verwaltung, den Fakultäten und dem Forschungsinstitut. Zudem wurde ein erster Zirkel mit Studierenden aus dem ersten Semester gestartet. Damit testen wir, inwiefern sich die Methode auch für die Vernetzung einer jungen Generation eignet, die sich noch nie im Vorlesungssaal oder in der Mensa getroffen hat.

Was Teilnehmende im Zirkel erleben
In kurzer Zeit lernen vier zuvor fremde Personen einander intensiv kennen. Die Teilnehmenden berichten von vielfältigen positiven Erfahrungen, die sie gesammelt haben. „Ich habe mich getraut, in meinem Job auch mal etwas Neues zu wagen. Den Austausch im Zirkel empfand ich als sehr motivierend und inspirierend“, gab eine Teilnehmerin an. „Ich habe gelernt, dass neue verbindliche Kontakte auch digital geknüpft werden können“, schrieb eine weitere Teilnehmerin.

Durch den Austausch im Zirkel und mit anderen Kontakten können die Teilnehmenden auf Erfahrungen anderer aufbauen und gleichzeitig selbst Wissen teilen. Dabei öffnen sich neue Türen durch die Perspektiven der anderen. Die Reichweite eines Einzelnen vervielfacht sich. Das Geben und Nehmen baut Vertrauen auf und trägt dazu bei, dass viele in den Zirkeln von einem „sicheren Ort“ sprechen. Die Teilnehmenden unterstützen sich gegenseitig und dies erzeugt einen doppelten Effekt: Alle fühlen sich motiviert, weiter an den eigenen Zielen zu arbeiten und sie erleben sich als Teil einer Gruppe.

Relevanz für Hochschulen
Nicht nur die einzelnen Zirkel mit ihren Teilnehmenden erleben den positiven Effekt von vertrauensvollen Netzwerken, sondern auch die Hochschule als Organisation. Auch ohne Kaffeeküche und physische Präsenz werden in den digitalen Zirkeln wertvolle Beziehungsnetze geknüpft, die über Abteilungsgrenzen hinweg Berührungspunkte zwischen Menschen schaffen. Diese informellen Netzwerke erlauben es, dass Wissen zwischen Personen schneller fließt. Der Effekt: Aktivitäten können gebündelt und Synergien genutzt werden.

Davon profitieren insbesondere Hochschulen, denn sie haben üblicherweise eine klassische Struktur mit abgegrenzten Einheiten. Berührungspunkte zwischen Mitarbeitenden beschränken sich meist auf den Arbeitsprozess. WOL erleichtert den Informationsfluss und kommt besonders derzeit zum Tragen, da wir digital und dezentral arbeiten. Besonders der Forschungsbereich kann von WOL an den Hochschulen profitieren. Beispielsweise kann WOL vorbeugen, dass Wissen in hohem Umfang verloren geht durch die hohe personelle Fluktuation aufgrund von zeitlich befristeten Forschungsprojekten.

Empfehlungen für andere Hochschulen
Wenn Sie WOL an einer Hochschule einführen möchten, ist es am einfachsten, ein paar Kolleginnen und Kollegen persönlich anzusprechen und mit ihnen einen ersten Zirkel zu gründen. Unter dem Hashtag #wol finden Sie auf LinkedIn und Twitter viele Erfahrene, die ihr Wissen gerne teilen. Bei größeren Initiativen kann Ihnen ein digitaler Informationstermin helfen, die Hintergründe von WOL zu erläutern und Fragen zu klären. Es kann nützlich sein, wenn Sie eine Person einladen, die bereits einen WOL-Zirkel durchlaufen hat und von ihren Erfahrungen berichtet.

Die häufigste Frage von Interessierten dreht sich um das individuelle Ziel, das in den zwölf Wochen des Programms verfolgt werden soll. Hier helfen konkrete Beispiele, mit denen sich Kollegen und Kolleginnen identifizieren können. Stellen Sie die Zirkel möglichst divers auf, denn heterogene Erfahrungswelten und Netzwerke bereichern den Austausch enorm. Klären Sie gegebenenfalls im Vorfeld, ob die Teilnahme am Zirkel als Arbeitszeit angerechnet werden kann.

Leitfäden pragmatisch umsetzen

Der rote Faden durch das zwölfwöchige Programm ist der „Guide“. Die Leitfäden bieten für jeden Termin Texte und Übungen mit Zeitangaben an. Gerade für das erste Mal sind sie hilfreich. Gleichzeitig empfehlen wir, pragmatisch zu verfahren. Um die Haltung des Sichtbaren Arbeitens zu lernen, müssen die Zirkel nicht jede Übung durchlaufen. Aufgrund des US-amerikanischen Hintergrunds der Methode wirken die Aufgaben in den Leitfäden stellenweise etwas aufgesetzt. Erscheint eine Übung unpassend, kann sich die Gruppe fragen, welches Ziel damit eigentlich verfolgt werden sollte und gegebenenfalls beherzt vom Leitfaden abweichen. Schließlich sollen das gemeinsame Lernen und die kollegiale Beratung die Hauptsache sein. 20 Personen pro Organisation können den Leitfaden kostenlos erhalten und sich diesen auf einer zugangsbeschränkten Plattform herunterladen.

Die Leitfäden empfehlen außerdem soziale Netzwerke wie Twitter und LinkedIn als Vehikel, um die eigene Arbeit sichtbar zu machen. Für manche Ziele – insbesondere für Kommunikation innerhalb der Hochschule – sind andere Kommunikationswege wie E-Mail oder ein Telefonat eher geeignet. Hier ist eigene Kreativität gefragt.

Fazit
Das Programm ist wie ein Trainingslager für die Philosophie des Sichtbaren Arbeitens. Die Teilnehmenden lernen anhand praktischer Methoden systematisch belastbare Beziehungsnetze zu weben – ein soziales Geflecht, das die Zusammenarbeit durch Werte wie Offenheit, Transparenz und Großzügigkeit stärkt und verlässlicher macht.

Auch wenn wir uns alle wieder auf unsere Kaffeeküche freuen, haben wir auch ohne sie unseren Radius erweitert. WOL ermöglicht uns, auch digital neue Leute kennenzulernen und Beziehungen aufzubauen – sowohl innerhalb der Hochschule als auch darüber hinaus. //

Ann Kristin Graumann


ist Innovationsmanagerin im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ an der Hochschule für Technik Stuttgart. Sie etabliert neue Formen der Zusammenarbeit für mehr Forschungstransfer in die Gesellschaft.

Susanne Rytina


ist Wissenschaftskommunikatorin im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ an der Hochschule für Technik Stuttgart. Sie macht Forschung für die Gesellschaft sichtbar.

Elena Schön


ist Innovationsmanagerin im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ an der Hochschule für Technik Stuttgart. Sie fördert und begleitet Forschende und Studierende bei ihren Gründungsvorhaben.

Fotos: HFT Stuttgart

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