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Die Aufgabe der Promotion

Leistungsnachweis und Distinktionsmerkmal – das sind die wichtigsten Funktionen des Doktortitels in Wissenschaft wie Gesellschaft. Doch genau dazu taugt die Promotion zurzeit nur bedingt. Trotzdem kommt die Wissenschaft im 21. Jahrhundert nicht ohne sie aus. Eine Erkundung.

Ein Titel „erstickt jeden Widerspruch und erspart dem Titelträger jede Tüchtigkeit“, heißt es bei Kurt Tucholsky. Denn das „Übrige besorgt dann schon die Dummheit derer, die den Titel anstaunen und ihn um des Titels willen, den sie nicht haben, aber gern hätten, beneiden“.
91 Jahre sind vergangen, seitdem sich Tucholsky derart über all die Regierungsräte, Assessoren und andere vermeintliche Würdenträger der Weimarer Republik mokierte. Und doch: Die Analyse könnte auch auf die aktuellen Debatten zur Promotion in Deutschland passen. Nach zahlreichen prominenten Plagiatsaffären finden sich Kratzer im Lack der Doktorandenausbildung, ihre Reputation hat gelitten und mit ihr die der Universität.

Organisationen halten sich zurück

Braucht es eine Stunde Null für den Doktortitel? Für die großen Wissenschaftsorganisationen ist das die falsche Frage. Sie haben sich eher darauf verlegt, die Wege zur Promotion zu verbessern. Mit einem entsprechenden Positionspapier wird der Wissenschaftsrat Anfang November aufwarten. Der Sturz des einstigen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg über seine gefälschte Doktorarbeit liegt dann zwar schon acht Monate zurück, trotzdem wird der Wissenschaftsrat die erste Organisation sein, die allgemeinen Worten des Tadels auch Taten folgen lässt.

"Die Mühlen der Wissenschaft mahlen langsam."

Unter der Federführung der Deutschen Forschungsgemeinschaft will die Allianz der Wissenschaftsorganisationen erst Ende November bei einer Tagung die bestehenden Richtlinien zur wissenschaftlichen Praxis prüfen. Der Ausgang der Beratungen ist ungewiss. Fragezeichen stehen auch hinter der Arbeitsgruppe, die die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zum Thema Promotion eingerichtet hat. Mit schnellen, gar revolutionären Ergebnissen ist nicht zu rechnen. Die Mühlen der Wissenschaft mahlen langsam.

Neue Impulse für eine öffentliche Debatte sind da schon eher von der Jahrestagung des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) Anfang Dezember in Bonn zu erwarten. „Der Doktortitel zwischen Status und Qualifikation“ lautet das Thema der Konferenz, die damit schon im Titel die beiden wichtigsten Funktionen benennt, die die Promotion eigentlich wahrnehmen sollte. ifQ-Leiter Prof. Dr. Stefan Hornbostel zufolge ist der Doktor-Titel zum einen gedacht als Distinktionsmerkmal, als öffentlich sichtbares Zeichen für die Zugehörigkeit zu einer elitären Gruppe also. Die Promotion stellt zum anderen aber auch ein Instrument der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung dar.

„Ohne diesen Qualifikationsnachweis wäre eine akademische Karriere nicht solide.“

Als Eintrittsticket in die Forschung wird die Promotion denn auch von den Granden der Wissenschaft beschworen. „Es ist ohne Frage die akademische Prüfung, mit der der Nachweis erbracht wird, dass jemand zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten befähigt ist. Ohne diesen Qualifikationsnachweis wäre eine akademische Karriere nicht solide“, sagt Prof. Dr. Ernst Schmachtenberg, Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen).

So apodiktisch das klingen mag, tatsächlich ist die Promotion als alleiniges Qualifikationskriterium nicht unangefochten. Vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern hat sich neben der Promotion längst ein Parallel-System zur Auslese der besten Nachwuchsforscher eingebürgert – die Publikation in Fachjournalen.

Besonders extrem stellt sich der Niedergang der Promotion als Leistungsnachweis in der Medizin dar. International gilt der deutsche Dr. med. längst als Titel zweiter Klasse. Für ihre Bewerbung um eines der begehrten Stipendien des Europäischen Forschungsrats (ERC) müssen promovierte Mediziner aus Deutschland zusätzlich einen Ph.D., den Facharzt oder eine Postdoc-Stelle nachweisen. „Hier macht der ERC keinen Unterschied zwischen dem deutschen Dr. med. und dem angelsächsischen Medical Doctor“, heißt es in einem Leitfaden aus dem Bundesforschungsministerium. Die Briten verleihen den Titel Medical Doctor ohne ein Promotionsverfahren. Nun ist die oft dürftige Qualität der Doktorarbeiten in der Medizin seit Jahren bekannt. Der heutige Chef der Berliner Charité, Prof. Dr. Karl-Max Einhäupl, hatte sie in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender des Wissenschaftsrates bereits im Jahr 2002 angeprangert und eine grundsätzliche Reform des Doktortitels in der Medizin angeregt. Der Erfolg allerdings blieb aus.

Pfeile aus der Politik

Konnte die Inflation der Titel in der Medizin bislang als Sonderfall gelten, hat Bundesministerin Dr. Annette Schavan (CDU) ganz allgemein vor „Titelhuberei“. Der SPD-Mann Dieter Wiefelspütz sprach vom „Adelstitel für Bürgerliche“ und die wissenschaftspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag griff im Sommer eine alte Forderung neu auf: Streicht den Doktor aus dem Personalausweis!
In der bundesdeutschen Tagespolitik spielt die Debatte „Zukunft des Doktortitels“ derzeit zwar wieder eine untergeordnete Rolle, in der Wissenschaft hat sie jedoch einen Flurschaden hinterlassen. Mit jedem neuen prominenten Plagiatsfall dürfte sie neu aufflammen und die Universitäten in Erklärungsnöte bringen. Wenn sich die Hochschulen zwischen Flensburg und Freiburg jetzt also verstärkt um eine verbesserte Doktorandenausbildung bemühen, ist das auch Ausdruck einer politischen Notwendigkeit.

In Deutschland ist die Verleihung des Doktortitels ein Privileg, das den universitären Fakultäten vorbehalten ist. Bei ihnen und deren Professoren liegt denn auch die Verantwortung für die Qualität der Promovendenausbildung. Die Arbeit be­ginnt schon mit der Auswahl der Kandidaten. An der Stelle mehr Sorgfalt walten zu lassen, empfiehlt der Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. Wolfgang Löwer. Nicht jeder mit einem zur Promotion berechtigten Examen sei tatsächlich  zum Promovieren befähigt, sagt der Bonner Experte für Wissenschaftsrecht. So könne ein Seminar beim Doktorvater zusätzlich zur Examensqualifikation eben mehr über die Leistungsfähigkeit aussagen als Zeugnisse. Denkbar wäre Löwer zufolge durchaus, ein solches Seminar zur Pflicht zu erheben.

Ein System schafft sich ab

Das Problem ist nur: Wer bei der Auswahl und der Betreuung der Promovenden restriktiver vorgeht, muss mit finanziellen Einbußen rechnen. Die Zahl der Promotionen ist ein – wenn auch nicht der größte – Faktor bei der leistungsorientierten Mittelvergabe. Die Fixierung auf Quantität ist ist es, die vor dem Hintergrund der Plagiatsfälle zunehmend in die Kritik gerät. Den Kampf angesagt hat dem System unter anderem Professor Dr. Alfred Kieser. In seiner Abschiedsvorlesung rechnete der pensionierte Betriebswirtschaftsprofessor der Uni Mannheim und jetzige Lehrbeauftragte der Zeppelin-Universität mit der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen nach quantitativen Kriterien insgesamt ab. Das tat Kieser schon Ende Mai vergangenen Jahres, also ein knappes Jahr vor der Guttenberg-Affäre.
In seinem Vortrag kritisierte Kieser zwar vor allem Rankings und die Leistungsmessung in der Wissenschaft, schlecht weg kommt bei ihm aber auch das Promotionswesen. Bei Dissertationen müsse die Forschung selbst wieder als eigentlicher Anreiz zutage treten, sagt er. Der Doktortitel müsse „Eintrittsbillet für die Forschung sein, und nicht für das Berufsleben“ (Kieser). Das schließe nicht aus, dass manch einer nach der Promotion in die Wirtschaft geht.


Dort sind Beschäftigte mit Doktortitel nicht nur gefragt. Studien zufolge verdienen promovierte Berufseinsteiger zwischen zehn und 20 Prozent mehr als ihre Kollegen. Ein Blick in die Stellenmärkte offenbart zudem, dass selbst für die Leitung manches kleinen Heimatmuseums bereits eine Promotion „erwünscht“ ist. Rektor Schmachtenberg weist dem Doktortitel in Deutschland deshalb eine Art Markenfunktion zu. Wie beim Autokauf existiere offenbar bei vielen irrigerweise die Vorstellung, man müsse promoviert sein, um Karriere machen zu können. Dabei könne man „ein ausgezeichneter Ingenieur sein, ohne Doktortitel und ohne jemals in größerem Umfang in der Forschung gearbeitet zu haben“, sagt Schmachtenberg.


Ob Eintrittsticket für die Wissenschaft  oder als Distinktionsmerkmal – die Marke Promotion zählt nur, solange die Qualität stimmt und der Titel nicht inflationär verbreitet wird. Die Erkenntnis ist so neu nicht. Trotzdem läuft die Promotionsfabrik Deutschland auf Hochtouren. „Ich kann Kollegen nicht verstehen, die sich ihrer 20 und mehr Doktoranden rühmen“, sagt Kieser. Das tun sie allerdings nicht nur, um bei der leistungsorientierten Mittelvergabe gut weg zu kommen. Sie tun es auch, um den Massenbetrieb Universität überhaupt aufrechterhalten zu können. Dafür würden Nachwuchsforscher zwar schlecht bezahlt, erhielten jedoch die Möglichkeit zur Promotion als eine Art „Kompensation“ (Kieser).

„Auf Dauer wird die Bedeutung des Doktorats für die Wissenschaft im engeren Sinn wieder zunehmen.“

Der Doktortitel ist also auch eine Währung in der Wissenschaft. Als solche ist er schwer ersetzbar. Entscheidend ist demnach die Qualitätssicherung in der Promotion. Sie wird Dreh- und Angelpunkt beim Ph.D. sein. Der angloamerikanische Bruder des Doktortitels ist im Zuge der Bologna-Reform europaweit auf dem Vormarsch. „Die Debatten, die sich darum ranken, dass manche Mili­eus eine Promotion nur um des vorzeigbaren Titels willen anstreben, betreffen einen Typus von Doktorat, der mittelfristig am Auslaufen ist“, erklärt Professor Dr. Konrad Paul Liessmann, Philosoph an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. Nach Vorstellungen der Bologna-Architekten soll der Ph.D. jenen vorbehalten sein, die in der Wissenschaft bleiben wollen. „Irgendwann wird es keine nebenbei promovierenden Minister und Bankdirektoren mehr geben. Auf Dauer wird also die Bedeutung des Doktorats für die Wissenschaft im engeren Sinn wieder zunehmen“, sagt Liessmann. Behält der erklärte Bologna-Skeptiker recht, ist der Doktortitel nicht unbedingt, die dahinter stehende wissenschaftliche Klasse aber sehr wohl zu retten.

Standards für die Promotion

Standards für die Promotion

Anfang November stellt der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zur Promotion in Deutschland vor. Er reagiert damit auf die Plagiatsaffären, die die Universitäten seit diesem Frühjahr erschüttern.

Das Format: Erarbeitet vom Ausschuss Tertiäre Bildung des Wissenschaftsrates, stellt das Positionspapier eine doppelte Premiere dar. Zum einen ist es seit den Plagiatsaffären dieses Jahres die erste umfassende Stellungnahme des Kölner Expertenrates zur Promotion. Zum anderen führt der Wissenschaftsrat mit dem Papier ein neues Format ein. Mit geringerem Umfang als Empfehlungen sollen Positionspapiere pointierter und möglichst zeitnah auf aktuelle Debatten eingehen. Die Veröffentlichung ist für November geplant.

Das Ziel: Mit dem Papier will der Wissenschaftsrat die Schwächen der Promotion nicht beschönigen, die Debatte darüber jedoch versachlichen. „Die Skandale der jüngsten Zeit zeigen, dass Schwachstellen existieren“, erklärt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Dr. Wolfgang Marquardt. Doch sei das Promotionswesen in der Bundesrepublik Deutschland „weder vollkommen zerrüttet noch vollkommen dysfunktional“.

Inhalt: In dem Papier wird die Doktorandenausbildung in den Kontext der Wissenschaft eingeordnet und Unterschiede zwischen den Disziplinen werden erörtert. Eine Empfehlung für ein einheitliches Promotionsmodell ist nicht zu erwarten. In dem Positionspapier werden allerdings Standards für gutes wissenschaftliches Arbeiten und die Doktorandenbetreuung enthalten sein.

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