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„Im Zweifel hat die Wissenschaft das letzte Wort“

Georgios Chatzoudis, Gerda Henkel Stiftung, über die Kommunikation von Geschichtswissenschaft und Geschichtsjournalismus

Wo verläuft die Trennlinie zwischen Geschichtsjournalismus und Geschichtswissenschaftskommunikation?

Die Trennlinie ist keine scharfe. Beide Bereiche haben Schnittmengen, nicht nur thematisch und inhaltlich, sondern auch personell. Nicht selten sind Journalisten und Journalistinnen, die sich historischer Themen annehmen, durch ein Studium der Geschichtswissenschaften qualifiziert. Der Geschichtsjournalismus fragt: Wie muss ein Artikel formuliert und aufbereitet sein, damit ihn möglichst viele lesen? Welche inhaltlichen Verluste gehen mit einer Übersetzung aus dem Fachjargon in eine allgemein verständliche Sprache einher – Stichwort Kohärenz? Wie viel Vereinfachung ist möglich und nötig? In welchem Medium und Format berichte ich über Wissenschaft? Diese Fragen sollte sich auch die Geschichtswissenschaftskommunikation stellen, denn es nützt niemandem etwas, wenn Inhalte nicht rezipiert werden. Aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass es mitunter zu Interessenskonflikten mit der Wissenschaft kommen kann – dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwar eine große Reichweite schätzen, sich aber in manchen journalistischen Veröffentlichungen nicht wirklich wiederfinden. Wir stehen dazwischen, und als wissenschaftsfördernde Stiftung gilt für uns: Im Zweifel hat die Wissenschaft das letzte Wort!

Wo funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaft und Journalismus gut und wo nicht?

Die Zusammenarbeit hat dann gut funktioniert, wenn beide Seiten davon profitieren und am Ende mit dem Ergebnis zufrieden sein konnten: Der Journalismus hat dann seinem Publikum wichtige Inhalte geboten, die Wissenschaft hat Aufmerksamkeit für ihre Arbeit gefunden. Zu Enttäuschungen kommt es, wenn eine Seite die Interessen der anderen nicht mitbedenkt und berücksichtigt. Um Missverständnisse schon zu Beginn zu vermeiden, ist es von Vorteil, die Arbeitsprozesse und das Handwerk der anderen Seite ein wenig zu kennen, beispielsweise aus gegenseitigen Hospitanzen. Viel ist schon gewonnen, wenn man sich im Vorfeld offen austauscht und einander fair behandelt. Dazu gehört auch, Absprachen einzuhalten.

Was erwartet das allgemeine Publikum von Geschichtsjournalismus?

Das ist schwer zu sagen, aber was Leser und Leserinnen immer erwarten, ist eine wahrheitsgetreue Berichterstattung. Man möchte sich darauf verlassen können, dass Informationen sorgfältig eingeholt und geprüft wurden sowie möglichst getreu und frei von Nebeninteressen sinnvoll miteinander verbunden werden. Man möchte verstehen und lernen.

Wie müssen Geschichtsjournalismus und Geschichtswissenschaftskommunikation konzipiert sein und umgesetzt werden, damit sie erfolgreich sind?

Erfolgsmesser ist in beiden Fällen, dass die gesendete Botschaft empfangen wird. Im Zuge der Digitalisierung hat sich diese eher analoge Kommunikationsform jedoch um ein wesentliches Werkzeug erweitert: um den Rückkanal. Das Publikum kann auf das Empfangene reagieren und selbst zum Sender werden, verbunden mit der Erwartung, dass die Redaktion oder die Kommunikationsabteilung irgendwie reagiert. Damit ist die Hoffnung verknüpft, dass ein Dialog entsteht, ein Austausch über Wissenschaft mit interessiertem Publikum. Unser Eindruck ist aber inzwischen, dass sich diese Hoffnung leider als überzogen erwiesen hat. Ein Blick in die Kommentarspalten journalistischer Medien und von Kanälen der Wissenschaftskommunikation genügt, um ernüchtert festzustellen, dass ein erkenntnisförderndes Miteinander die Ausnahme bildet. So gesehen sind wir in der Wissenschaftskommunikation zufrieden, wenn die Wissenschaft die Ergebnisse unseres Tuns als realistische Darstellung wahrnimmt, wenn offene Fragen als solche benannt werden und wenn es trotzdem gelingt, ein Publikum von der Relevanz der Forschung zu überzeugen.

Wie aber verändert sich das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichtsjournalismus im Prozess der digitalen Transformation? Worin unterscheiden sich beide Sphären? Lassen sie sich überhaupt voneinander trennen?

Die digitale Transformation ist aus beiden Bereichen nicht mehr wegzudenken. Sie ist hinsichtlich der vielfältigen neuen Möglichkeiten, Inhalte zu senden, eine enorme Bereicherung. Doch hat sie im Verhältnis zwischen Journalismus und Wissenschaft auch etwas eklatant verschoben – die Wissenschaft ist vom Journalismus und insbesondere von seiner Infrastruktur viel weniger abhängig, als das vor der Digitalisierung der Fall war. Jede wissenschaftliche Einrichtung kann heute mit geringem Aufwand sendefähig sein: mit einem Blog, der Webseite, Audio-Podcasts, Videointerviews, Videoschalten über Landesgrenzen und Kontinente hinweg. Wir haben gerade in Zeiten der Pandemie erlebt, welcher Professionalisierungsschub viele Forschungseinrichtungen erfasst hat. Der Historikertag Anfang Oktober etwa ist ein digitales Großereignis. Kurzum, es herrscht hinsichtlich der Kommunikation über Wissenschaft inzwischen eine Art Waffengleichheit zwischen Journalismus und Wissenschaft. Die Herausforderung ist, dass beide Sphären – Journalismus einerseits, Wissenschaftskommunikation andererseits – als zwei verschiedene Sphären erkennbar bleiben. Denn bei aller Gemeinsamkeit gibt es hinsichtlich der jeweiligen Logiken, Motivationen und Ziele mehr als nur graduelle Unterschiede, die das Bestehen beider Bereiche rechtfertigen. //

Georgios Chatzoudis

Georgios Chatzoudis leitet seit 2010 die Online-Redaktion der Gerda Henkel Stiftung und ist dort für das Wissenschaftsportal L.I.S.A. verantwortlich.

Foto: Brendgen / Gerda Henkel Stiftung​

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