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Wie Europa künftig die Forschung fördern will

Die Verhandlungen über die künftige Forschungsförderung Europas gehen mit großen Schritten in die heiße Phase. Ende Juni hat die Kommission ihren Vorschlag für die mehrjährige Finanzplanung der EU vorgestellt.

Brüssel In den Jahren 2014 bis 2020 soll demnach das Gesamtbudget von 976 Millarden auf 1,025 Billionen Euro ansteigen. 80 Milliarden davon wären in den sieben Jahren für Forschung und Innovation vorgesehen. Wie die Forschungs-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn mitteilte, würde dieses Budget einen Zuwachs um satte 46 Prozent bedeuten. Das ist auf den ersten Blick ein stattlicher Betrag. Allerdings wird darüber – ebenso wie über das Gesamtbudget – derzeit kontrovers diskutiert. Ob sich der Vorschlag in den nun folgenden Verhandlungen zwischen Kommission, EU-Parlament und Ministerrat durchsetzt, ist also völlig offen.

„Wir spüren einen guten Wind für Forschung und Innovation.“

Prof. Dr. Helga Nowotny, die Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), mahnt zur Vorsicht. „Wir spüren zwar einen guten Wind für Forschung und Innovation, stehen aber erst am Beginn der Verhandlungen“, sagt sie. „Wir kennen die Prioritäten des Parlaments und Rates noch nicht. Die Zahlen können sich also noch stark verändern.“ Die geplante Aufstockung der Mittel für Forschung und Innovation sei zwar eine schöne Geste, konkrete Zahlen aber gebe es noch nicht.
Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz geht einen Schritt weiter. Der Vorschlag der Kommission sei „kein Sprung vorwärts", sagt Prof. Dr. Margret Wintermantel. „Das vorgeschlagene Budget deutet auf eine Fortschreibung des geplanten Ist-Standes am Ende des 7. Forschungsrahmenprogramms hin."
Das 7. Rahmenprogramm endet 2013. In ihm standen rund 55 Milliarden Euro für Forschungsförderung bereit. Der Nachfolger, der im Juni auf den Namen „Horizon 2020" getauft wurde, tritt 2014 an seine Stelle und wird – wie der Name schon sagt – bis zum Jahr 2020 laufen. Eine Budgeterhöhung dürfte insbesondere deutsche Wissenschaftler freuen. Nach Zahlen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) profitieren sie am stärksten von den EU-Fördergeldern. Bis Ende 2010 warben sie knapp 20 Prozent der Mittel ein, die im Forschungsrahmenprogramm für ganz Europa zur Verfügung stehen. Das entspreche vollständig dem deutschen Finanzierungsbeitrag.

Aber wofür genau wird das Geld künftig ausgegeben? Bis Ende Mai hatte die Kommission zu dieser Frage einen öffentlichen Konsultationsprozess eingerichtet. Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit reichten darin ihre Vorschläge zur künftigen Forschungsausrichtung der EU ein. Anfang Juni sind die gesammelten Werke vorgestellt worden. In den knapp 800 eingereichten Positionspapieren und den 1300 beantworteten Online- Fragebogen zeichnete sich nach Ansicht der Kommission eine Unterstützung ihrer Strategie ab: Schwerpunktmässig soll das Forschungsgeld demnach für Projekte ausgegeben werden, die die Innovationskraft der Gemeinschaft vorantreiben. In Kernbereichen wie Klimawandel, Energie und Nahrungssicherheit oder gesundes Altern sollen innovative Ideen schneller zur Marktreife gebracht werden. Überdies soll die Forderung von Forschungsprojekten vereinfacht und entbürokratisiert werden (http://ec.europa.eu/research/horizon2020/index_en.cfm?pg=h2020).

Dass mit der starken Betonung des Begriffs Innovation künftig anwendungsnahe Forschung bevorzugt wird, glaubt Helga Nowotny nicht. „Innovation ist jetzt zwar überall prominenter, besorgt um die Grundlagenforschung bin ich aber nicht“, sagt sie. „Ihre Bedeutung für die Zukunft Europas ist allseits anerkannt.“ Mit welchen Mitteln der ERC Grundlagenforschung in den Jahren ab 2014 fördern kann, sei derzeit allerdings noch nicht absehbar (s. duz EUROPA 06/2011, S. 13).

Geistes- und Sozialwissenschaftler machen sich derweil Gedanken darüber, ob sie in den kommenden Jahren ausreichend Mittel zur Verfügung haben werden. Dr. Charlotte Fiala leitet in Brüssel das EU-Verbindungsbüro der Freien Universität Berlin. „Im 7. Forschungsrahmenprogramm standen den Geistes- und Sozialwissenschaften rund 600 Millionen Euro im Programm Verbundforschung zur Verfügung“, sagt sie. „Wir befürchten, dass dieses eigenständige Programm und Budget im neuen Rahmenprogramm gekürzt werden könnte, obwohl eine Erhöhung notwendig ist.“ Immerhin sei im Haushaltsvorschlag positiv, dass er die Geistes- und Sozialwissenschaften explizit aufführt. Denn diese Wissenschaften hätten das Problem, dass sie normalerweise keine Produkte hervorbrächten, die man in großer Zahl verkaufen könne.
Die geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätze seien auch bei den großen Forschungsthemen der kommenden Jahre wichtig, meint Fiala. „Beim Thema Klimawandel oder alternde Gesellschaft zum Beispiel liefern sie wichtige Grundlagen für umweltfreundliches Verhalten, neue soziale Modelle und politische Anpassungsprozesse.“ Deshalb müsse die Integration von Geistes- und Naturwissenschaften im neuen Rahmenprogramm unbedingt verbessert werden. Ob das geschieht, werden die kommenden Monate zeigen. Die Verabschiedung der exakten Vorschläge für die Finanzierungsprogramme wird sich dann voraussichtlich bis Ende 2012 hinziehen.
Internet: http://ec.europa.eu/research

Dr. Michael Baßler

Grundlagenforschung

„Ich habe in meiner Arbeit große Freiheiten“

Der Europäische Forschungsrat (ERC) hat Dr. Michael Baßler vom Institut für Mikrotechnik Mainz (IMM) im Jahr 2010 mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet.

duz: Herr Baßler, was erforschen Sie mit den 1,5 Millionen Euro?

Baßler: Ziel meiner Arbeit ist es, ein Gerät für die biomedizinische Forschung zu entwickeln, das gesuchte Zellen kostengünstiger identifizieren kann. In der klinischen Anwendung könnten damit beispielsweise Immunzellen im Blut gezählt werden. Aus deren Anzahl werden Therapieentscheidungen etwa für Aids-Patienten abgeleitet.

duz: Der ERC fördert Grundlagenforschung. Fällt Ihre Arbeit in diesen Bereich?

Baßler: Ja. Wir erforschen Grundlagen, aber kennen bereits relevante Anwendungen.

duz: Reicht die derzeitige Förderung der Grundlagenforschung aus?

Baßler: Die Förderung der Grundlagenforschung durch den ERC ist sehr gut. Als Preisträger wurde ich finanziell attraktiv ausgestattet und habe in meiner Arbeit große Freiheiten. Außerdem war der Aufwand für den Antrag in Relation zum Ertrag sehr gering. Ich denke aber, dass Grundlagenforschung im neuen Rahmenprogramm weiter ausgebaut werden sollte.

duz: Die Strategie 2020 der EU zielt jedoch vornehmlich auf den Ausbau der anwendungsnahen Forschung.

Baßler: Ja, leider. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Grundlagenforschung die Basis für wissenschaftlichen Fortschritt ist. Die anwendungsnahe Forschung beruht auf ihr. Die Forscher in Europa müssen lernen, das besser zu kommunizieren und der Öffentlichkeit die Forschungsinhalte und ihre Bedeutung verständlich zu machen.

Internet: www.imm-mainz.de

Das Interview führte Roland Koch.

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