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Das Sprungbrett wird kürzer

„Been to America“ gehört in jeden Lebenslauf eines deutschen Wissenschaftlers, der hierzulande eine Karriere als Professor anstrebt. Doch der Sprung in das gelobte Land der Wissenschaft ist für viele Postdocs teurer und risikoreicher geworden. Viele wollen gar nicht erst hin oder schnell wieder zurück.

Wenn die German Studies Association, die Germanistenvereinigung Nordamerikas, zu ihren jährlichen Konferenzen lädt, pilgerten früher Hunderte von deutschen Philologen, Historikern und Politikwissenschaftlern über den großen Teich. Denn die Treffen der GSA gehören zu den wichtigsten Bühnen für junge Akademiker, die auf dem amerikanischen Markt Fuß fassen wollen. Manchmal werden dort noch während der Tagung erste Bewerbungsgespräche geführt. Auf der diesjährigen Konferenz Anfang Oktober in Milwaukee war die deutsche Delegation jedoch bemerkenswert klein. Unter den fast 1000 Vortragenden fanden sich lediglich 95 Wissenschaftler von deutschen Universitäten. Für die letzte Tagung vor der Finanzkrise 2007 in San Diego reisten noch 152 Vortragende aus Deutschland an.

Immer weniger Doktoranden

Das schwindende Interesse hat Gründe. Der Zugang zu Universitäten in den USA – lange das gelobte Land für deutsche Nachwuchsforscher – ist schwieriger geworden. Die internationale Wirtschaftskrise setzt den Hochschulen dort seit Jahren zu, vor allem den staatlichen Institutionen wurden die Mittel radikal gekürzt. Sogar Eliteunis wie Berkeley, die zum bundesstaatlichen University of California System gehört, kommen an ihre Grenzen. Das Budget der Universität in der Nähe von San Francisco wurde in den vergangenen Jahren um rund 77 Millionen Euro zurückgefahren.
Die Auswirkungen der Haushaltskürzungen vieler Unis betreffen auch ausländische Forscher und machen sich bei der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses bemerkbar. Nach den aktuellen Zahlen der National Science Foundation sank die Zahl der ausländischen Promovenden zwischen 2008 und 2010 um rund elf Prozent. Das National Research Council zählte 2010 nur noch 156 Deutsche, die in den USA naturwissenschaftlicher Doktoranden. Ein Jahr zuvor waren es noch 207.

„Es gibt Zehntausende Postdocs in den USA, aber nur 15 Prozent werden eine Stelle als Juniorprofessor bekommen.“

Laut Ian Brooks, geschäftsführender Direktor des Instituts für biomedizinische Informatik an der University of Tennessee und Ansprechpartner für Auslandsfragen bei der National Postdoctoral Association, kommen die größten Hürden für ausländische Nachwuchsforscher allerdings ohnehin erst nach der Verleihung des Doktortitels oder dem Abschluss des Postdoc-Projekts. Zwar stelle man deutsche Wissenschaftler wegen ihrer guten Ausbildung immer noch gerne ein, durch Einstellungsstopps und Mittelkürzungen hätten sich die Chancen auf eine anschließende Karriere in Amerika jedoch stark verringert: „Es gibt Zehntausende Postdocs in den USA, aber nur etwa 15 Prozent davon werden jemals eine Stelle als Juniorprofessor bekommen“, so Brooks.

Knappe Mittel sind aber nicht das einzige Hindernis für die Wissenschaftskarriere in den Vereinigten Staaten: Seit dem 11. September 2001 wurden die Visabestimmungen für ausländische Studenten und Forscher erheblich verschärft. Gerade ausländische Wissenschaftler, die nach einem Abschluss in den USA dort ihre Karriere weiterverfolgen oder sich gar selbstständig machen möchten, laufen oft gegen die Wand. Im August unterzeichneten deshalb über hundert US-amerikanische Hochschulpräsidenten einen offenen Brief an Präsident Obama und die republikanischen Parteioberen, in dem eine Reform der scharfen Immigrationsbestimmungen gefordert wird. Die globale Vormachtstellung der USA in der Spitzenforschung gründe sich vor allem auf die Arbeit ausländischer Nachwuchsforscher. Diese Führerschaft sei gefährdet, wenn qualifizierte Wissenschaftler, die mit viel Geld in den USA ausgebildet wurden, nun in anderen Ländern Karriere machten. Die Republikaner reagierten Ende September mit einem Gesetzentwurf, der die traditionelle Lotterie um die Green Card genannte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis durch ein Visaprogramm für ausländische Absolventen und Doktoranden ersetzen soll.

„Der Fokus unserer Arbeit hat sich vom ‚ob‘ einer Rückkehr zum ‚wie‘ verschoben.“

Für den Wissenschaftsstandort Deutschland könnte die Situation in den USA jedoch sogar Vorteile haben. Unter den Fachverlagen und Forschungsinstitutionen, die sich auf der GSA-Konferenz in Milwaukee mit eigenen Ständen vorstellten, war auch das German International Academic Network (GAIN), ein Netzwerk, mit dem die berufliche Wiedereingliederung deutscher Forscher in ihr Heimatland unterstützt wird. Laut Geschäftsführer Dr. Gerrit Rößler ist die Zahl der Rückkehrwilligen in den vergangenen Jahren stark angestiegen: „Wir merken das unter anderem an den wachsenden Teilnehmerzahlen an unseren Tagungen und Workshops, bei denen wir ja gezielt Rückkehrinteressierte adressieren.“

Zudem hätten sich die Probleme gewandelt, mit denen sich die Wissenschaftler an ihn wenden. „Man muss sie nicht mehr von der Qualität der Forschung in Deutschland überzeugen“, sagt Rößler. „Da hat unser Land mittlerweile einen international guten Ruf. Stattdessen gehen die Fragen eher in die Richtung der persönlichen Rahmenbedingungen einer Rückkehr. Der Fokus unserer Arbeit hat sich also vom ‚ob’ einer Rückkehr zum ‚wie’ verschoben.“

Lohnt sich der Ausflug noch?

Der große Forschertreck könnte sich also bald umkehren und für deutsche Nachwuchswissenschaftler stellt sich die Frage, ob sich der Ausflug über den Atlantik überhaupt noch lohnt. Warum sollte man seine Forschung in den USA vorstellen, wenn man dort ohnehin keine längerfristige Perspektive hat? Vielleicht sollte man sich an Goethe statt an Uncle Sam halten: Sieh, das Gute liegt so nah!

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