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„Umschichtungen prüfen“

BAföG-Reform, Departmentstrukturen und mehr zivilgesellschaftlicher Einfluss auf die Forschungsagenda: Nicole Gohlke über die Wahlkampfziele der Linken

Wenn Sie ab morgen in Regierungsverantwortung wären – was würden Sie als Erstes verändern?

Das Erste wäre eine große BAföG-Reform, die das BAföG auf neue Füße stellt – damit wir nicht jede Legislatur über die Erhöhung der Bedarfsätze streiten müssen, sondern dies automatisch passiert. Das BAföG muss existenzsichernd sein, Darlehensanteil und Altersgrenzen gehören abgeschafft. Das Zweite wäre das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Der Wissenschaftsbereich hat einen riesigen Anteil an dauerhaften Aufgaben – dazu gehört die Lehre, der Betrieb von Laboren, Wissenschaftskommunikation oder das Wissenschaftsmanagement. Dafür braucht es auch dauerhafte Stellen und eine bedarfsdeckende Grundfinanzierung, die Projektförderung und Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft müssen on top sein und dürfen nicht zur Erledigung der eigentlichen Grundaufgaben dienen. Und der dritte Punkt: Wir wollen den Hochschulbau wieder als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern etablieren, wir brauchen hier ein Anschubprogramm des Bundes.

Welche Stellen würden Sie konkret entfristen – auch Promotions- oder Postdoc-Stellen, wenn diese nur mit Forschung verbunden sind?

Wenn befristet wird, dann doch mindestens für die gesamte Dauer der Qualifikation oder der Projektlaufzeit, es braucht eine Mindestvertragslaufzeit. Es gibt keine andere Branche, auch nicht in der Privatwirtschaft, wo man sich Befristungen wie in der Wissenschaft erlaubt. Auch im Ausland ist das nicht gang und gäbe, Deutschland nimmt eine Sonderrolle ein. Es hängt auch mit dem sehr hierarchischen Wissenschaftssystem zusammen, in dem nur die Professur als Träger von Wissenschaft anerkannt ist. Wir machen uns für Departmentstrukturen und egalitärere Personalmodelle stark.

Haben Sie mal die Kosten für Ihre Forderungen ausgerechnet?

Für ein existenzsicherndes BAföG, das viel mehr Menschen erreicht, müssen wir einen zweistelligen Milliardenbetrag veranschlagen. Wir haben einen Vorschlag für eine Anschubfinanzierung des Bundes zur Entfristung von ungefähr 50 Prozent der Stellen gemacht – das sind ungefähr zwei Milliarden. Auch beim Hochschulbau reden wir von Milliardenbeträgen.

Kann aus Ihrer Sicht irgendwo im Wissenschaftsbereich eingespart werden, auch um diese Ausgaben gegenzufinanzieren?

Grundsätzlich muss doch mehr in den Bildungs- und Wissenschaftsbereich investiert werden. Wenn der Verteidigungsetat mit 47 Milliarden Euro mehr ausmacht als die ­Bereiche Bildung und Familie zusammen, werden die falschen Schwerpunkte gesetzt. Gerade nach der Corona-Krise wollen wir dem Bereich Bildung und Wissenschaft einen viel größeren Stellenwert einräumen. In diesem Land ist sehr viel Geld vorhanden, es muss richtig verteilt und dann richtig eingesetzt werden: Wir wollen eine einmalige Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 Prozent der Gesellschaft zur Bewältigung der Corona-Krise und wollen langfristig, dass die große Vermögensungleichheit in Deutschland durch ein gerechteres Steuersystem abgebaut wird. Auch im Wissenschaftsbereich selbst muss man Umschichtungen prüfen. Aber diese Debatte lenkt vom Grundproblem der allgemeinen Unterfinanzierung ab: Wenn man sich für eine bessere Ausstattung der Fachhochschulen ausspricht, bekommen andere Angst, dass ihnen etwas genommen wird. Ein Punkt wäre die Exzellenzstrategie: Wir finden zwar vieles erhaltenswert, aber es gibt ein ziemliches Missverhältnis, wenn man sich die Bundesmittel für das Professorinnenprogramm oder die Förderung von Fachhochschulen oder Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ansieht.

Wie ist es mit den Inhalten – wer sollte aus Ihrer Sicht bestimmen, wozu geforscht wird und was Thema ist an Hochschulen?

Bisher funktioniert das zumindest an den Stellen zu intransparent, wo Drittmittelgeber oder finanzstarke Akteure ihre Finger im Spiel haben. Der Deutsche-Bank-Lehrstuhl oder das Facebook- oder Google-Institut tun der Wissenschaft und ihrem Ansehen keinen großen Gefallen. Statt Auftragsforschung für die Wirtschaft wollen wir mehr und grundfinanzierte Wissenschaft für gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse. Einiges entwickelt sich auch schon positiv, wie etwa die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation. Wir müssen zu Prozessen kommen, über die gesellschaftliche Akteure und die Zivilgesellschaft beteiligt sind.

Laut Ihrem Wahlprogramm sollen Hochschulen im Sinne einer ökologisch nachhaltigen, sozial gerechten und friedlichen Welt „eingreifen“. Werden sie damit nicht zu sehr zu einem linken Kampfinstrument?

Das eigentliche Problem ist doch, dass die Hochschulen in den letzten zwei Jahrzehnten zum neoliberalen Kampfplatz gemacht wurden. Standortungebundene Wissenschaft gibt es nicht, die Frage ist aber, ob das transparent gemacht und reflektiert wird. Es fließen immer verschiedene Interessen ein, doch das wird immer einseitiger. Wir müssen einen Kampf um kritische Wissenschaften führen. Das wurde durch die ökonomisierenden Hochschulreformen trockengelegt. Ich empfinde das als großen Verlust für die Wissenschaftslandschaft und Erkenntnissuche. //

Nicole Gohlke

Nicole Gohlke, MdB (Die Linke), ist hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert.

Foto: Olaf Krostitz​

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