// Editorial: Durchdringen //
Was haben die Corona leugnende Krankenschwester, die Covid-Impfdosen verdünnt und somit „unschädlich“ macht, und der Kommunalpolitiker gemein, der die Warnungen der Katastrophenforscher in den Wind schießt ...
... und an Hochwasserschutzmaßnahmen spart – mit tödlichen Folgen (Beitrag ab Seite 70)? Was verbindet beide mit dem „ganz normalen“ Bürger, der auf ein umweltschädliches Hybridauto wechselt, weil es subventioniert wird, und den der höhere CO2-Ausstoß einen feuchten Kehricht interessiert? Oder mit Mitmenschen, die fest davon überzeugt sind, dass sie ohne ein tägliches Fleischgericht nicht leben können – egal, aus welcher tierwohlmißachtenden oder C02-schädlichen Zucht und Produktion die Tiere kommen?
Auf Anhieb mögen Sie denken, dass all diese Personen höchst verantwortungslos und unsolidarisch handeln oder einfach nur verwirrt und ungebildet sind. Doch so einfach ist das nicht. Sicherlich gibt es vielerlei Ursachen, warum Menschen plötzlich meinen, auf eigene Faust handeln zu müssen, um andere vor der Pharmaindustrie zu retten (die Krankenschwester). Oder eine für viele von uns nur schwer erträgliche Trotzhaltung einnehmen (Impfgegner) oder sich jedwedem Expertenwissen verweigern (Klimawandelleugner). Doch neben ganz individuellen Beweggründen gibt es auch äußere Umstände, von denen sich diese Menschen zu ihrem Verhalten hinreißen lassen: Hierbei rangiert auf der Liste ganz oben, dass es der Politik und auch der Wissenschaft einfach nicht gelingt, zu ihnen durchzudringen, in ihre Lebenswelten vorzustoßen und sie mitzunehmen. Professor Dr. Manfred Fischedick – der Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie – spricht daher von „überzeugenden Narrativen“, die wir brauchen, um alle Bevölkerungsteile – zum Beispiel für den Klimaschutz – zu begeistern. Für ihn steht fest: „Die meisten Menschen interessiert nicht so sehr, wie viele Tonnen CO2 wir einsparen, sondern eher, wie ihre Stadt lebenswerter wird.“ Und das heißt: Politik und Wissenschaft sind in der Bringschuld, müssen dafür sorgen, dass ihre Vorhaben, Entscheidungen und Erkenntnisse die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz erhalten – durch Kommunikation auf Augenhöhe, durch Aufklärung, durch Partizipation und mit viel Geduld und Wertschätzung.
Drohen, verbieten, bestrafen, verteuern – wie es sich in den aktuellen Debatten über den Umgang mit Impfverweigerern abzeichnet, oder bei den bisher kläglich gescheiterten Versuchen, die Bürger vom Auto wegzubringen – sind nicht wirklich wirksam. Sie zeigen eher die Schwäche der Verantwortlichen. Denn eines steht fest, das wissen wir alle aus eigener Erfahrung: Die Androhung von Strafe führt zwar kurzfristig dazu, dass Menschen unerwünschtes Verhalten unterlassen, aber sobald sie die Möglichkeit haben, werden sie es wieder tun. Die Wissenschaft kann unendlich vieles dazu beitragen, dass die Welt verändert und gerettet wird. Wie, erfahren Sie im DUZ THEMA.
DUZ Magazin 08/2021 vom 20.08.2021