„Eigentlich kein Interesse“
Wissenschaftsjournalist und TV-Moderator Ranga Yogeshwar über Notlagen im Journalismus, narzisstische Wissenschaftler, Beziehungskonflikte und die Fragmentierung der Öffentlichkeit
Herr Yogeshwar, wenn Sie in einem Interview erklären, was es mit dem mRNA-Impfstoff auf sich hat: Was unterscheidet Sie von einem Virologen?
Der fundamentale Unterschied ist, dass der Virologe hier seine Kernkompetenz hat. Er versteht viel mehr Details als ich und ist in der Lage, sehr viele kleine Aspekte mitzubedenken. Wenn ich es erkläre, habe ich mich möglichst gut informiert, mit Virologen gesprochen und mein Ziel ist, in einer verständlichen Art und Weise zu erklären, sodass das Publikum die Grundprinzipien versteht und Ängste abbaut. Das kann ich wahrscheinlich besser als viele Virologen, weil ich das viel geübt habe.
Fallen der Podcast von Christian Drosten und Sandra Ciesek oder der Kekulé-Podcast für Sie unter Wissenschaftsjournalismus?
Da muss man unterscheiden. Alexander Kekulé geht eher auf alltägliche Fragestellungen ein. Der Drosten-Podcast ist eher für Insider. Die Kollegin hat sich sehr akribisch eingelesen in das Thema. Für viele Interessierte ist das großartig, aber für die breite Masse ist vieles kaum zu verstehen. Das ist ein Problem im Wissenschaftsjournalismus: Kommuniziert man auf Augenhöhe mit den Fachleuten, fühlen sich die Fachleute wohl. Findet eine Simplifizierung statt, schütteln sie den Kopf – aber dann sagen die Laien, das ist okay. Ich habe mal in einem ARD-Brennpunkt über die Fukushima-Katastrophe in einem Akt der Improvisation mit einem Sektkübel, einem Kölschglas und einem Textmarker versucht, die Vorgänge im Reaktor zu erklären. Als Physiker, der in der Kernphysik zuhause ist, dachte ich: Oha. Doch kurz darauf rief mich der Chefredakteur der ARD an und sagte, jetzt hätte er es verstanden. Das war ein Augenöffner für mich. Innerhalb der Wissenschaft redet man mit Leuten, die alle eine ähnliche Sprache verstehen. Es ist extrem schwer, dieser Community klarzumachen, dass die Menschen draußen nicht einmal den Unterschied zwischen Viren und Bakterien kennen.
Die Herausforderung, im richtigen Maß zu vereinfachen – ein Kernproblem des Journalismus …
Der Journalismus hat nicht nur die Übersetzungsfunktion, sondern er muss auch hinterfragen. Diese Rolle ist genauso wichtig. Journalisten sind nicht das Sprachrohr der Wissenschaft, sondern sie müssen sie auch mit kritischen Fragen konfrontieren, Dialoge führen.
In der Berichterstattung über die Pandemie läuft das mit der Kritik so: Die Kollegen interviewen mal die eine, mal die andere Wissenschaftlerin. Die Zuschauenden werden mit verschiedenen Meinungen konfrontiert. Können Sie nachvollziehen, dass man etwas ratlos vor dem Stimmengewirr steht?
Wer den wissenschaftlichen Dialog kennt, versteht, dass viele Positionen auf der exakt gleichen Basis fußen. Bei Corona wird dieser Dialog innerhalb der Wissenschaft nach außen gespült. Für die Nichtkenner der Wissenschaft sieht das manchmal so aus, als ob die Akteure völlig unterschiedliche Sachen meinen – obwohl, wenn man genauer hinschaut, der Konsens sehr viel größer ist als die Unterschiede. Aber Journalismus ist auch in seinen Regeln verhaftet. Journalisten können nicht immer wieder die gleichen Sachverhalte wiederholen. Sie schaffen manchmal Scheinkonfrontationen. Denn wenn sich alle einig sind, fehlt die Dramatik, und dann kollabiert das journalistische Konstrukt – nicht das wissenschaftliche. An dieser Stelle wird die Wissenschaft in der Pandemie auch instrumentalisiert. Eine Grenze ist natürlich bei den abstrusen Theorien zu ziehen. Ich habe deshalb zum Beispiel abgelehnt, mit Sucharit Bhakdi zu diskutieren.
Warum? Bhakdis Buch „Corona Fehlalarm“ war immerhin ein Bestseller. Viele Leute hätten gerne, dass man mit ihm diskutiert.
Ich habe eine Diskussion von Servus TV abgelehnt, und dann gab es plötzlich auch aus der ARD eine Anfrage. Da habe ich gesagt, Freunde, ihr habt keine Ahnung, was ihr da macht: Hier wird eine Position vertreten, deren wissenschaftliche Basis komplett zu hinterfragen ist. Und da sind Leute wie Bhakdi vollkommene Outsider.
Es gäbe auch seriöse Kontrahenten aus der Wissenschaft, von Hendrik Streeck bis Klaus Stöhr, die die Strategie der Pandemiebekämpfung kritisieren.
Wissenschaftler sind auch Menschen. In die Medien hineingespült zu werden wie die Virologen und Epidemiologen in dieser Krise, bedeutet für einen Wissenschaftler eine extreme Irritation. In einem Großteil meiner Telefonate mit Leuten wie Christian Drosten oder Melanie Brinkmann ging es anfangs darum, diese andere Art in Medien überhaupt zu begreifen. Manchmal spielt auch Eitelkeit eine Rolle, Wissenschaftler sind, wie wir alle, narzisstisch, fühlen sich in ihrer Bedeutung geehrt oder gekränkt. Ich weiß das als Mensch, der im Fernsehen arbeitet. Es ist wichtig, innerlich eine Distanzierung aufzubauen zwischen einer Figur und dem, was man ist. Wenn Sie plötzlich gefeiert werden in allen Medien, allen Zeitungen, macht das etwas mit Ihnen. Das ist nicht so einfach.
Es geht auch um Einfluss. Man sitzt bei der Kanzlerin oder in Krisenstäben …
Man kommt in Bereiche, die man vorher nicht kennt. Was wissen Virologen über die Dynamik politischer Kommunikation, über die Dynamik innerhalb des politischen Establishments? Die klare Antwort ist: Eigentlich überhaupt nichts. Und dann sitzen sie plötzlich neben der Bundeskanzlerin oder den Ministerpräsidenten – und verstehen dieses System auch nicht. So entstehen Diskrepanzen, und selbst auf menschlicher Ebene gibt es manchmal Scharmützel, die natürlich überflüssig wären, aber zumindest aus der besonderen Situation erklärbar sind.
Erfüllen Wissenschaftsjournalisten ihre Aufgabe einzuordnen?
Ich war kürzlich in einem WDR Extra. Da kam die Nachricht, dass unmittelbar nach der Impfung einige Menschen gestorben seien. Diese Nachricht erzeugt natürlich beim ganz normalen Laien Angst und vergrößert ein minimales Problem – es waren sehr wenige und sehr alte Menschen, möglicherweise mit schweren Vorerkrankungen belastet – wie mit einer Lupe. Plötzlich bekommt etwas, das in einem statistischen Sinn eigentlich irrelevant ist, eine enorme emotionale Relevanz. Wissenschaftsjournalismus bedeutet, die wissenschaftlichen Hintergründe sauber zu verstehen. Er muss aber auch die Auswirkungen im Kontext der Berichterstattung antizipieren und einordnen.
Sie haben sich immer bemüht, Menschen für Wissenschaft zu begeistern und auch dazu zu befähigen. Doch in den letzten Jahren gab es gegenläufige Entwicklungen: Mehr Begeisterung auf der einen Seite, alternative Fakten auf der anderen Seiten – Glauben sticht Wissen. Wie interpretieren Sie das?
Wir erleben einen fundamentalen Umbau. Als ich beim Fernsehen vor drei Jahrzehnten anfing, gab es drei Programme. Heute haben die klassischen Medien die Geschäftsgrundlage verloren, selbst die Bildzeitung ist im Sinkflug, der Journalismus in der Krise. Und auf der anderen Seite gibt es die sozialen Netzwerke, die nicht mehr pluralistisch agieren im Sinne von: Jeder wird mit allem konfrontiert, so wie bei einer Zeitung, sondern in denen ein algorithmisch getriebenes Targeting stattfindet. Das heißt, Sie bekommen irgendwann komplett andere Informationen als ich. Per se muss das nicht schlecht sein. Aber wo auf diesen diversen Plattformen finden wir noch eine Ebene, auf der eine gesamte Gesellschaft diskutiert und Pluralität im demokratischen Sinne erlebt? Stattdessen haben wir eine Polarisierung. Die Kommunikationslager leben in ihren eigenen Filterblasen, sehen nur ihre eigenen Informationen und reagieren allergisch auf die anderen. Das gilt nicht nur in der Wissenschaft, das gilt überall.
Mehr und mehr eignen die wissenschaftlichen Insti-tutionen sich die erklärende Funktion des Wissenschaftsjournalismus selbst an. Sie machen Videos, Podcasts, holen sich Journalisten wie Sie ran. Wo ist in Zukunft der Ort für Wissenschaftsjournalismus?
Wissenschaftsjournalismus für wen? Wir haben sehr gute Leute wie Mai Thi Nguyen-Kim, meine Nachfolgerin bei Quarks, die macht einen großartigen Youtube-Kanal, sehr substanziell, sehr klug. Für die breite Masse hängt es am Ende an solchen und wenigen Einzelpersonen. Ich war selbst viele Jahre fast ein Synonym für Wissenschaft. Die meisten Menschen haben nicht jeden Tag hundert wissenschaftliche Fragen, aber wenn sie eine haben, fragen sie, was sagt die Person ihres Vertrauens dazu. Ich habe für das Futurium zwei Youtube-Veranstaltungen gemacht, die haben allein mehr Zuschauer als anderen Futurium-Auftritte zusammengerechnet. Was nicht heißt, dass die anderen schlecht sind, sondern das ist dieses Phänomen einer Kondensation auf wenige Personen. Das wird, glaube ich, bleiben. – Die Wissenschaftsjournalisten insgesamt haben es momentan extrem schwer. Wissenschaftsredaktionen sind dabei, sich aufzulösen. Dass wissenschaftliche Institutionen die Lücken füllen, hat einfach damit zu tun, dass Kommunikation essenziell ist. Auch Unternehmen und politische Parteien haben ihre eigenen Channels.
Aber wo bleibt dann die Kritik? An Arbeitsbedingungen, an Forschungsstrukturen, an Forschungsorganisationen wie der DFG …
Ja, da haben wir am Fall Nuhr im letzten Sommer gesehen, das sind alles vernünftige Leute, aber es fehlt das echte Know-how. Ich war im Hintergrund beratend tätig und habe die Beteiligten zusammengebracht, weil ich mit beiden Seiten einen sehr guten Draht hatte. In einer Zeit, in der Wissenschaft diese immanente Rolle hat im Kontext der Pandemie, kann man sich nicht erlauben, vollkommen überflüssige Ausreißer zu haben, die am Ende kontraproduktiv sind, weil sie ein Grundvertrauen zerstören.
Auch außerhalb der Krisensituation wäre das eine schlechte Geschichte gewesen.
Die Wissenschaftsorganisationen zielen, wenn sie in die Medien gehen, oft nicht auf ein Public Understanding of Science, sondern auf Public Acceptance of Science. Die Grenze zwischen einer kritischen journalistischen Begutachtung und Marketing oder PR ist fließend. Es gibt keine Grammatik, mit der auch Wissenschaft über ihren eigenen Kontext hinaus ihre Arbeit kritisch reflektiert und bestimmte Prozesse hinterfragt. Wissenschaft ist oft sehr daran interessiert, dass das Funding funktioniert und Unterstützung da ist. Wenn das der Fall ist – ich bin jetzt ein bisschen böse –, dann soll man sie in Ruhe lassen, damit sie ihre Arbeit machen kann. Auf der anderen Seite muss man genauso fair sagen, dass die Medien eigentlich überhaupt kein Interesse an Wissenschaft haben. Es sind externe Krisen, die für einen gewissen Zeitraum einen Hype erzeugen.
Wie könnte man die Probleme des Journalismus lösen? Stiftungsfinanzierung, Ausbildung?
Wir müssen als Gesellschaft darüber nachdenken, wie wir uns verständigen wollen, über welchen Weg wir Konsensverfahren herstellen oder Dinge kritisch hinterfragen wollen. Weil wir alle merken, dass die Gesellschaft an der Fragmentierung auf Dauer einen Schaden nimmt, der weit über die Wissenschaft hinausgeht. Es kann nicht sein, dass wir irgendwann eine Gesellschaft haben mit lauter kleinen Glaubensinseln, die nicht miteinander kommunizieren. Wie wollen Sie dann noch Politik machen? //
Ranga Yogeshwar
Ranga Yogeshwar wurde in Luxemburg geboren. Nach dem Abitur studierte er Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik. Er arbeitete unter anderem am CERN. 1987 fing er beim WDR an, wurde Ressortleiter Wissenschaft und moderierte unter anderem von 1993 bis 2018 die Sendung Quarks&Co. Heute tritt er in Talkshows auf, hält Vorträge und betreibt einen eigenen Youtube-Kanal.