Wo ist der Rettungsring?
In Zeiten der Finanznot sparen die Bundesländer längst auch an Hochschulen. Deren Finanzlage hat sich mittlerweile derart verschlechtert, dass sie jeder noch so kleine Tarifanstieg ins Schwitzen bringt. Die anstehende Erhöhung der Professorenbesoldung gerät zum Schreckgespenst.
Stolz thront das Landgrafenschloss über der Marburger Altstadt und dem Lahntal. Eine Sehenswürdigkeit, mit der sich Marburg als Universitätsstadt um die Aufnahme in die Welterbeliste der Unesco bewirbt. Die Uni-Präsidentin Prof. Dr. Katharina Krause hält das Schloss mit seinem Universitätsmuseum für Kulturgeschichte für die „Wiege Hessens“. Doch wenn Krause heute von ihrem Büro im Tal hinauf blickt zum Schloss, dann ist es anders. Früher konnte sie sich einfach nur freuen. Heute muss sie an Zahlen denken, an Rechnungen, Kostenstellen.
„Wir betreiben aus dem Budget für Forschung und Lehre Denkmalpflege.“
Allein in die Pflege der Stützmauer des Schlosses steckte die Uni in den vergangenen drei Jahren 300.000 Euro. „Wir betreiben aus dem Budget für Forschung und Lehre Denkmalpflege“, sagt Krause. Dass das Museum das Geld wert ist, würde die Kunsthistorikerin nie in Zweifel ziehen. Doch könnte sie das Geld an vielen anderen Stellen der Universität eben auch sehr gut gebrauchen.
Könnten Universitäten pleitegehen, Marburg stünde knapp davor. Auf 29,4 Millionen Euro bezifferte Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann im Frühjahr das Marburger Defizit für das Jahr 2011 und zitierte die Präsidentin und ihren Kanzler, Dr. Friedhelm Nonne, zur Krisensitzung nach Wiesbaden.
Ein paar Wochen später lässt sich das Defizit zwar besser erklären, aufgelöst aber ist es nicht: „Die Universität Marburg hat ein strukturelles Finanzproblem in der Größenordnung von sieben Millionen Euro“, bekennt Krause. Das heißt: Die Universität gibt regelmäßig deutlich mehr aus, als sie vom Land Hessen an Grundmitteln erhält. Das betrifft Ausgaben der zentralen Einrichtungen, der Verwaltung und der Fachbereiche. Die restlichen 22 Millionen Euro des Defizits sind Krause zufolge „Sondereffekte“, die nur im Geschäftsjahr 2011 anfielen. Dazu zählen einmalige Gehaltsnachzahlungen für Angestellte in Höhe von rund sieben Millionen Euro und Sondermittel für Studienplätze, die als Sonderrücklage mit 9,5 Millionen Euro verbucht wurden.
Schuldenbremse drückt Etats
Nun war Marburg zwar bundesweit die erste Uni, die mit einem derart großen Defizit für Aufsehen sorgte. Mit ihren Geldnöten steht sie nicht allein. Die Universität Trier zog im Mai die Reißleine, in Potsdam steht der Kassensturz an, in Münster weist der Wirtschaftsplan für dieses Jahr ein Minus von 17 Millionen Euro aus. Und in Hohenheim vergibt der Rektor seit April nur befristete Leistungszulagen an Professoren, da der Vergaberahmen in den Jahren zuvor mehrfach überzogen wurde. Ob West, Ost, Nord oder Süd – das Problem tritt bundesweit auf und es hat einen Namen: Schuldenbremse. Sie haben sich Bund und Länder verordnet, um das Haushaltsdefizit abzubauen. Bei mehr als zwei Billionen Euro lag die Staatsverschuldung Ende März, rund 622 Milliarden Euro davon auf Seiten der Länder.
Den Kleinen fehlen Drittmittel
Das bleibt nicht ohne Folgen für die Hochschulen: „Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist zwar in den letzten Jahren nominal gestiegen, aber nicht so stark, dass die Hochschulen alle Aufgaben decken können, die ihnen mittlerweile aufgebürdet werden“, sagt Frank Dölle, der beim HIS-Institut für Hochschulforschung den Bereich Finanzierung leitet. Betroffen seien davon alle Hochschulen, egal ob große, mittlere oder kleine. Der feine Unterschied: „Kleinere Hochschulen haben geringere Chancen, Gelder wie etwa Drittmittel einzuwerben und damit die Lücken in der Grundfinanzierung zu kompensieren“, sagt Dölle. Dazu fehlt ihnen das Personal. Hinzu kommt, dass Nachweispflichten die früher mögliche Quersubventionierung der Lehre durch Drittmittelprojekte zunehmend verhindern.
In Hessen hatten Land und Hochschulen im Mai 2010 den von 2011 bis 2015 geltenden Hochschulpakt geschlossen. Schon damals protestierten Rektoren und Präsidenten, dass das Land das Hochschulbudget um 30 Millionen Euro kürzte. Zwei Jahre später sieht sich Krause bestätigt: „Die Belastungen, die auf die hessischen Hochschulen zukommen, sind durch den Hochschulpakt nicht abgefedert.“ Die größte Sorge bereiten ihr die Tarifsteigerungen. Seit diesem März bekommen angestellte Beschäftigte in Marburg 2,6 Prozent mehr Gehalt. Die Beamtenbesoldung wird zum 1. Oktober um 2,6 Prozent erhöht. Dass diese Erhöhung aus den Hochschuletats finanziert werden muss, steht im Hochschulpakt und gilt damit als vereinbart. Richtig ist das für Krause deshalb aber noch lange nicht: „Wir sind nicht die Tarifpartner, deshalb sind das eigentlich sachfremde Kosten, die das Land auf die Hochschulen abwälzt.“ Dies zehre das Budget der Hochschule aus.
Dieses Problem dürfte sich vielerorts stellen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts stieg die Zahl der Beschäftigten an den Hochschulen zwischen 2006 und 2011 von rund 420.000 auf etwa 480.000. Zurückzuführen sei das auf Förderprogramme wie den Hochschulpakt 2020. Die Kosten für das Personal machen mit weitem Abstand den größten Posten in Hochschuletats aus.
An der Universität Trier, mit rund 15.000 Studierenden ebenso wie Marburg eine der mittelgroßen Universitäten im Land, sieht Präsident Prof. Dr. Michael Jäckel in den gestiegenen Tarifen für die 588 nichtwissenschaftlichen Angestellten den Hauptgrund für die aktuelle Finanzkrise der Uni. Seit diesem Jahr gibt es für die Angestellten 1,9 Prozent sowie monatlich 17 Euro mehr, auch für kommendes Jahr rechnet Jäckel mit Zuwächsen. Die Folge: Jährlich 7,5 Millionen Euro werden der Universität Trier in den kommenden Jahren fehlen. Der Senat der Hochschule verhängte deshalb Anfang Mai ein Moratorium. Demnach wird in Trier bis zum Ende des kommenden Wintersemesters keine freie unbefristete Stelle neu besetzt. „Die Instrumente, die normalerweise zum Ausgleich von Personalbudgetdefiziten eingesetzt werden wie etwa Wiederbesetzungssperren, können das, was sich künftig an finanziellen Engpässen abzeichnet, nicht mehr auffangen“, erklärt Jäckel die Senatsentscheidung. Der Uni-Chef, selbst erst zehn Monate im Amt, will die Zeit bis Ende Februar nutzen: „Verwaltung, Serviceeinrichtungen, Lehrangebote, Forschungsförderung, alles muss auf den Prüfstand.“ Danach will der Senat ein Sparkonzept vorlegen.
„Wenn Bewirtschaftungskosten wie Strom und Heizung steigen, wird es recht eng mit dem Budget.“
An der Uni Potsdam ist Präsident Prof. Dr. Oliver Günther mit Zahlen und Tabellen schnell bei der Hand, um zu belegen, wie kurz die Hochschulen im Land Brandenburg im Vergleich zu anderen Ländern gehalten werden: Den geringsten Anteil am Landeshaushalt, die wenigsten Euro pro Student, die wenigsten Euro pro Lehrstuhl, die meisten Studierenden pro Professor. „Die Analyse fällt ernüchternd aus“, bilanziert Günther und nennt Zahlen für seine Uni: „Die Universität Potsdam kann 5.000 Euro pro Kopf für die Ausbildung ihrer Studierenden für zwei Semester ausgeben, die Humboldt Universität Berlin mit 7.300 Euro fast anderthalb mal so viel.“ Rund 100 Millionen Euro an Grundmitteln erhält die Uni Potsdam jährlich vom Land. Ausreichend sei das nicht: „Wenn Bewirtschaftungskosten wie Strom und Heizung steigen, wird es bei uns erst recht eng mit dem Budget“, sagt Günther.
Bestätigt sieht sich der Potsdamer Uni-Chef durch einen Bericht der Hochschulstrukturkommission des Landes, die ein Jahr lang die Hochschulen Brandenburgs evaluierte. Die Experten warnen davor, dass Unterfinanzierung zwangsläufig zu einem Abbau der Studienplatzkapazitäten führen werde. 267 Millionen Euro will der Finanzminister 2012 für die Hochschulen ausgeben. Günther hält dies für zu wenig, um international konkurrenzfähig zu sein.
Sorge wegen Besoldungsreform
Schwirrt den Finanzplanern in den Hochschulen schon in Anbetracht der üblichen Tarifsteigerungen der Kopf, wird ihnen beim Gedanken an die anstehende Reform der Professorenbesoldung endgültig schlecht. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar muss Hessen seine W-Besoldung nachbessern und jungen Professoren mehr bezahlen. Anfang September soll die Novelle in den Landtag kommen. Wie viel Euro die hessischen Hochschulchefs für die Gehaltserhöhung für W2-Professoren einplanen müssen, ist noch offen. Als sicher gilt, dass alle Länder nachziehen und ebenfalls die W2-Gehälter aufstocken werden, um Klagen zu verhindern.
„Die Hochschulen sind nicht in der Lage, zusätzliche finanzielle Belastungen zu schultern.“
Geht es nach dem Willen der Kultusminister der Länder, sollten sich die W2-Grundgehälter künftig an der Dienstaltersstufe 8 der Besoldungsgruppe 15 orientieren. Hessen, das seinen W2-Professoren bisher laut Deutschem Hochschulverband 4239 Euro pro Monat zahlt, müsste dann künftig beispielsweise 4650 Euro berappen, also rund zehn Prozent mehr.
Hinzu kommt, dies gab der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Juni zu bedenken, dass bei einer Erhöhung von W2 auch das W3-Grundgehalt angehoben werden müsse. Nur so ließe sich ein angemessener Abstand zwischen den Grundgehältern der beiden Ämter sicherstellen. Vor der Kulisse der drohenden Mehrausgaben nahm der HRK-Senat vorsorglich die Länder in die Pflicht, die Kosten zu übernehmen: „Angesichts einer bereits heute nicht ausreichenden Grundfinanzierung sind die Hochschulen nicht in der Lage, zusätzliche finanzielle Belastungen zu schultern“, teilte der HRK-Senat mit.
Rechenmodelle, wie hoch die Mehrkosten durch die Besoldungsreform für die W2- und W3-Professoren an der Universität Marburg ausfallen könnten, hat Präsidentin Katharina Krause noch nicht erstellen lassen. „Solange unklar ist, welches Modell das Wissenschaftsministerium verfolgt, macht das keinen Sinn“, sagt Krause. Die Präsidentin muss jetzt erst mal abwarten: Ab dem Herbst soll sich ein externes Beratungsunternehmen den Haushalt der Marburger Universität vornehmen, darauf einigten sich Ministerium und Hochschule. Danach, so hofft Krause, werde das Land wieder die Pflege des Marburger Landgrafenschlosses übernehmen.
Schritte zur hessischen Besoldungsreform
Schritte zur hessischen Besoldungsreform
- Die Vorgeschichte: Ein Marburger Chemieprofessor hatte eine Klage eingereicht, weil er seine Leistungszulage als W2-Professor von rund 24 Euro für zu gering hielt. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm Mitte Februar Recht. Das Gehalt verstoße gegen das Alimentationsprinzip.
- Das Urteil: Der Richterspruch verpflichtet Hessen, die W-Besoldung nachzubessern. Das neue Gesetz muss zum 1. Januar 2013 in Kraft treten (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120214_2bvl000410.html).
- Das Gesetzesverfahren: Am 28. August soll die Novelle der W2-Besoldung dem Hessischen Landtag vorgelegt werden. Der Landtag entscheidet dann formal darüber, ob er sich damit befassen wird. Anfang September soll der Entwurf in erster Lesung vorgestellt werden.
DUZ Magazin 08/2012 vom 20.07.2012