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Diese Veränderung ist dauerhaft

Was bedeutet die Digitalisierung für die Hochschulen?

Max wohnt in Mainz und möchte in München studieren. Über die Webseite der Hochschule informiert er sich; in Foren und Blogs mit Alumni tauscht er sich aus. Die Hochschule überzeugt ihn und er bewirbt sich über das Onlineportal. Max wird zugelassen, immatrikuliert sich online und erhält seine Ausweisdokumente sowie alle Informationen digital. Für die ersten Veranstaltungen hat er sich digital angemeldet, online eingecheckt und erfährt, wer mit ihm das Studium starten wird. Gleichzeitig erhält er erste Unterlagen und Videos, mit denen er sich für die erste Veranstaltung vorbereiten kann. Dann ist er vor Ort, lernt seine Mitstudierenden sowie Dozenten kennen. Auf den Lehrroboter wird verzichtet.

Ein Großteil seiner Veranstaltungen läuft real; begleitet werden viele Veranstaltungen mit Online-Tutorien im Virtual Classroom, bei denen Max immer wieder Fragen stellen kann. Max besucht eine Lehrveranstaltung, die als Inverted Classroom läuft; jede Woche bereitet er sich mit entsprechenden Videos vor und erarbeitet im Vorfeld Fragen, die in der Präsenzveranstaltung besprochen werden. Nach einigen Wochen muss er erste Ausarbeitungen auf der Onlineplattform hochladen, die Präsentation hält er real im Seminarraum.

Sein Dozent gibt ihm die korrigierte und bewertete Version mit hilfreichen Anmerkungen über die Onlineplattform zurück und bucht die Noten in der elektronischen Studierendenakte; das nächste Semester kann beginnen. Im dritten Semester wird er zum Gespräch von seiner Studiengangsleiterin eingeladen; die Terminvereinbarung erfolgt per E-Appointment. Das Programm des Studienerfolgsmanagements meldet aufgrund seines bisherigen Prüfungsverhaltens eine problematische Konstellation; sein Studienerfolg scheint gefährdet. Darüber muss gesprochen werden – direkt, face to face.

So könnte es aussehen; an einigen Hochschulen ist dies bereits Realität. Nicht alle Hochschulen haben es bereits in dieser Intensität und Durchgängigkeit umgesetzt, aber einzelne Facetten sind gut erkennbar. Derzeit existiert jedoch keine verlässliche wissenschaftliche Basis, um den Digitalisierungsstand an Hochschulen zu messen beziehungsweise einzuordnen. Unklar ist, welchen Reifegrad einzelne Hochschulen hinsichtlich der Digitalisierung erreicht haben.

Die folgende Analyse gibt einen Überblick über den Stand der Digitalisierung an Hochschulen, die Herausforderungen, mit denen Hochschulen und ihre Stakeholder zu kämpfen haben, und zeigt die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln. Zudem wird ein Ansatz vorgestellt, anhand dessen der Digitalisierungsreifegrad bewertet werden kann.

Stand der Digitalisierung

Es bietet sich an, Digitalisierung an Hochschulen entsprechend der Untersuchung von Berinfor in drei Kernbereichen zu analysieren: Lehre und Forschung als primäre Aufgaben von Hochschulen sowie Verwaltung und Management als Infra- und Organisationsstruktur für Lehre und Forschung. Die Studie von Berinfor zeigt, dass die digitalen Möglichkeiten und ihre Nutzung gegenwärtig eher gering ausgeprägt sind; das Entwicklungspotenzial wird hingegen für alle Bereiche hoch eingeschätzt.

Gerade Lehre und Studium profitieren hinsichtlich Planung und Organisation von Digitalisierung. Die Möglichkeiten, die Max angeboten werden, verdeutlichen dies – Elemente zur Organisation des Studiums, aber auch innovative Lehr- beziehungsweise Lernformen mit digitaler Unterstützung. Die meisten Lehrenden ergänzen ihr traditionelles Lehrangebot durch digitale Elemente; der Mix zwecks Unterstützung und Medienwechsel steht im Fokus. Vor allem etablierte Instrumente, wie Plattformen für Kommunikation und Bereitstellung der Unterlagen, digitale Texte, besondere Präsentationswerkzeuge und Ähnliches, finden Einsatz. Innovative Lehr- und Lernformen, wie Video Lectures, E-Portfolios, Onlinetests oder MOOCs, sind weniger verbreitet, zeigt der Monitor Digitale Bildung vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und der Bertelsmann Stiftung.

Der Anteil an virtueller Kommunikation ist abhängig vom Anteil der Präsenzlehre. So nutzen Anbieter für Fernstudien stärker Instrumente wie virtuelle Klassenräume (virtual classrooms), um das Alleinstudium von Studienbriefen zu unterstützen oder teilweise abzulösen. Auch Hochschulen, die stark im Rahmen dualer Studienangebote aufgestellt sind, nutzen virtuelle Kommunikationsformen, um teils über ganz Deutschland verstreute Studierende außerhalb der Präsenzphasen in Lehrveranstaltungen zu begleiten beziehungsweise die Vernetzung von formellem Wissen mit informellem Wissen zu stärken. Dabei ist es kaum überraschend, dass Digitalisierung an Hochschulen in den dafür prädestinierten Bereichen der Lehre und Forschung, wie beispielsweise in der Informatik sowie in Rechenzentren als auch in Bibliotheken, Vorreiter war, wie eine Bestandsaufnahme zeigt.

Während in der Lehre der Bereich Digitalisierung schon in vielen verschiedenen Angeboten auftritt, ist dies im Bereich Forschung noch eher selten der Fall. Dort werden alle genannten Möglichkeiten (Forschungsprojektmanagement, Kollaboration zwischen Forschenden, Forschungsdatenmanagement) als „schwach digital entwickelt“ eingestuft.

Für die Verwaltung, das heißt die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen wie beispielsweise elektronische Studierendenakten mit Einsicht in digitalisierte Prüfungsunterlagen, wurden die Digitalisierungsprozesse als weit fortgeschritten beurteilt. Für das Hochschulmanagement, das heißt digitalisierte Prozesse und Instrumente für Führung und Planung, wird hingegen noch ein großes Entwicklungspotenzial gesehen. In der Verwaltung von Hochschulen kommt Digitalisierung vor allem aus der allgemeinen Diskussion im Bereich der öffentlichen Verwaltung voran. Es fehlt – aufgrund von Kleinteiligkeit und geringer Prozessorientierung der Aufgaben – oftmals an dem nötigen Weitblick.

Allen Studien gemeinsam ist, dass der Aspekt Lehre einen deutlich größeren Stellenwert einnimmt als Forschung oder Verwaltung. Das liegt vor allem daran, dass Lehre – anders als Forschung oder Verwaltung – nicht nur inhaltliche, sprich auf Erarbeitung und Kommunikation ausgerichtete Komponenten, sondern auch methodisch-didaktische Komponenten umfasst und gerade diese von hoher Relevanz in der Ausgestaltung sind, weil sie innovative Möglichkeiten bieten.

Instrument zur Analyse

Digitalisierung wird die Hochschulen in den nächsten Jahren deutlich beeinflussen und verändern; daher bedarf es geeigneter Maßnahmen zur Prozessgestaltung. Um Digitalisierung zu initiieren, bedarf es zunächst einer Bestandsaufnahme und Bewertung dessen, was bereits existiert. Hochschulstrukturen sind aufgrund ihres Selbstverständnisses hierzu nicht unbedingt förderlich.

Ein Ansatz, der dieser Erhebung und Analyse dient, ist das Reifegradmodell CMMI-SVC. Es ist ein Modell, das eine methodische Entwicklung und Verbesserung von Dienstleistungen unterstützt und diese transparent macht. Anhand von Best Practices werden Dienstleistungsabläufe systematisch analysiert und die Unternehmensziele ausgerichtet verbessert. CMMI-SVC unterscheidet – bezogen auf den Reifegrad der Serviceerbringung – fünf Reifegradstufen. Eine Übertragung dieser Stufen auf Digitalisierung unter Nutzung der Kompetenzstufen von Dreyfus führt zu einer Einstufung in folgendes Schema – unterschieden nach den wesentlichen serviceerbringenden Gebieten der Hochschule: Lehre, Forschung und Verwaltung (s. Grafik rechts).

Ähnlich wie in CMMI-SVC ist anhand von Best Practices ein Fragenkatalog zu entwickeln, um den Digitalisierungsgrad der Prozesse voranzutreiben. Zielsetzung ist, Prozesse zu hinterfragen und zu gestalten, damit sie sowohl individuell für die jeweilige Hochschule als auch für alle beteiligten Stakeholder (Studierende, Lehrende, Forschungspartner) nutzbringend sind.

Die Herausforderungen

Zur effizienten und effektiven Steuerung der Digitalisierungsaktivitäten ist zu überlegen, ob die Hochschule als Ganzes eine Digitalisierungsstrategie benötigt oder eine Digitalisierungsstrategie pro Handlungsfeld sinnvoller ist. Eine Digitalisierungsstrategie darf aber keinesfalls Selbstzweck sein, sondern muss der Erreichung der strategischen Ziele der Hochschule dienen.

Digitalisierung ist nur ein Aspekt der Hochschulstrategie und E-Learning nur ein erster Schritt auf diesem Weg. Der Stellenwert einer Digitalisierungsstrategie wird unterschiedlich eingestuft. 47 Prozent der befragten Vertreter von Hochschulleitungen und Verwaltungsmitarbeitern im Monitor digitale Bildung ordnen ihr einen hohen bis sehr hohen Stellenwert zu, 34 Prozent beurteilen die Digitalisierungsstrategie mit mittlerer Relevanz, der Rest weist ihr nur eine untergeordnete Bedeutung im Kanon der vielfältigen Herausforde­rungen für Hochschulen zu. Eine Digitalisierungsstrategie lässt sich nicht von oben herab verordnen; die Lehrenden sind als Basis im Sinne einer Bottom-up-Planung in den Prozess einzubeziehen.

Die digitale Entwicklung ist dynamisch und erfordert schnelle Entscheidungen. Dies ist eine Herausforderung an sich, da die Entscheidungswege in einer Hochschule lang sind. Die basisdemokratische Ausrichtung von Hochschulen gestaltet Entscheidungswege unübersichtlich und wenig effizient.
Digitale Veränderungen benötigen geschultes Personal. Finanzielle Mittel und personelle Ressourcen müssen dauerhaft zur Verfügung stehen. Dies betrifft Ausgaben für digitale Lerninhalte, Betreuung digitaler Infrastrukturen wie auch medienpädagogische Unterstützung der Lehrenden. Das Experimentieren mit digitalen Elementen ist zeitaufwendig; entsprechende Anreize wie zum Beispiel Deputatsanrechnungen sind zu entwickeln.

Auch in der Berufungspolitik muss sich laut dem Hochschulforum Digitalisierung der Einsatz innovativer Lehrformen bei der Beurteilung der Bewerber niederschlagen. Darüber hinaus ist nicht nur die Weiterentwicklung der Kompetenzen für den Einsatz digitaler Bausteine in der Lehre wichtig, sondern auch das Hinwirken auf neue Rollenverständnisse der Lehrenden eine wichtige Voraussetzung.

Neben der oftmals unzureichenden Unterstützung bestehen Hemmnisse durch rechtliche Unsicherheiten, wie beispielsweise bei Deputatsanrechnung digitaler Lehre oder urheber- und datenschutzrechtlichen Fragen. Der letzte Aspekt dürfte auch die Zusammenarbeit im Forschungsbereich behindern.
Die Realisierung der verschiedenen Schnittstellen in den Hochschulen – Bedürfnisse der Fakultäten einerseits und Applikationen der Verwaltung andererseits – ist eine große Herausforderung. Sie bedingen komplexe Projekte, um verschiedene Systeme zu integrierten Gesamtpaketen zusammenzuführen.

Fazit und Ausblick

Hochschulen haben erkannt, dass es weder angebracht ist, „der Digitalisierung in kritikloser Verzückung“ zu folgen, noch sie „als eine ganz und gar fürchterliche Entwicklung“ zu betrachten. Ihnen stellt sich jedoch die zentrale Frage, wie sinnvollerweise zu starten oder weiterzumachen ist. Dazu bietet das vorgestellte Analyseinstrument einen guten Anfang – unabhängig von dem Fortschritt im Digitalisierungsprozess der Hochschule.

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