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Integrität muss gelebt werden

Wissenschaftsethos als immanenter Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens ist bei der Leitung von Wissenschaftseinrichtungen zu verankern und hat bei Personalauswahl und Mittelvergabe eine Rolle zu spielen, fordert Stephan Rixen. Das schützt Whistleblower besser.  

Eigentlich brauchen wir Zeugenschutzprogramme für Whistleblower.“ Der Satz fiel vor Kurzem in einem Gespräch mit der Ombudsperson einer großen Universität. Eine Nachwuchswissenschaftlerin hatte auf Missstände in einer medizinischen Forschungseinrichtung hingewiesen. Die Vorwürfe klangen plausibel, doch die Wissenschaftlerin gestattete der Ombudsperson nicht, die Beschuldigten zu kontaktieren. Sie habe sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch geäußert. Da würde sie schnell in Verdacht geraten. Außerdem gehe das in der Zunft schnell herum. Sie laufe Gefahr, nirgendwo mehr eine Stelle zu bekommen.

Was tun? In Empfehlung 17 der Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ (GWP) heißt es, Hinweisgeber (Whistleblower) dürften „keine Nachteile für das eigene wissenschaftliche und berufliche Fortkommen erfahren“. Leicht gesagt, denn wie kann Whistleblower-Schutz gelingen, wenn – wie es in einem Rechtsstaat nicht anders sein kann – Vorwürfe geprüft werden müssen? Laut Denkschrift ist der Name des Hinweisgebers zu nennen, sofern sich der Beschuldigte nur so „sachgerecht verteidigen“ kann. Doch wie kann sich dann der redliche Hinweisgeber gegen unfaire Angriffe des Beschuldigten verteidigen? Und wie sieht es aus, wenn der Hinweisgeber unredlich ist? Erweisen sich Anschuldigungen im Nachhinein als falsch, kann das eklatante Folgen für die zu Unrecht Beschuldigten haben. Eine dauerhafte Rufschädigung („Da war doch mal was“) ist kaum zu vermeiden.

Eine erste unspektakuläre Forderung drängt sich auf: Whistleblower sollten ihre Identität gegenüber der Ombudsperson preisgeben, damit diese den Kontext der Vorwürfe besser einschätzen kann. So geschieht es unter Garantie strengster Vertraulichkeit meist schon jetzt. Eine weitere Forderung wäre, dass bei der Verdachtsklärung die Weitergabe des Namens des Whistleblowers an den Beschuldigten nur als Ultima Ratio in­frage kommt. Aber auch das nützt nichts, wenn der Hinweisgeber durch sein Vorverhalten wie im Beispiel oben ohnehin leicht identifiziert werden kann.

Einmal mehr zeigt sich: Die Durchsetzung der GWP-Regeln leidet daran, dass systemische Probleme zu einem kommunikativen Problem zwischen Whistleblowern und Ombudspersonen umdefiniert werden. Zu sehr hängt die Durchsetzung der GWP-Regeln von konkreten Anlässen ab. Langfristig angelegte Prävention kommt immer noch zu kurz.

Nötig ist der Aufbau sehr früh ansetzender Compliance-Strukturen. Der Sinn dafür, dass das Ethos der Wissenschaft immanenter Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens ist, muss durch adäquate Arbeitsbedingungen und Anreize gefördert werden. Das führt zu Fragen, die bislang zu wenig gestellt werden, zum Beispiel: Spielt wissenschaftliche Integrität bei der Personalauswahl als Aspekt der „Eignung“ (vgl. Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes) überhaupt eine Rolle? Sind die Indikatoren, von denen die leistungsorientierte Mittelvergabe (und die Leistungszulagen) abhängen, GWP-kompatibel? Wie lassen sich Aufbau und Pflege von Compliance-Strukturen und die in sie eingebettete Einhaltung von GWP-Regeln unbürokratisch überprüfen?

Effektive Strukturen der GWP-Compliance können nur entstehen, wenn die Leitung einer Wissenschaftseinrichtung das Thema „Wissenschaftliche Integrität“ zu ihrer Sache macht. GWP-Compliance muss selbstverständliches Element der Qualitätssicherungskultur sein. Wo sie tagtäglich gelebt wird, können Ombudspersonen besser helfen – und der Ruf nach Zeugenschutzprogrammen für Whistleblower wird hoffentlich leiser.

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