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Tristesse in Ungarn

Mit ihrem Angriff auf die Central European University (CEU) des US-Milliardärs George Soros hat die ungarische Regierung heftige Proteste im Land hervorgerufen. Denn die Hochschullandschaft Ungarns bietet kaum vergleichbare Perspektiven – Ministerpräsident Viktor Orbáns Bildungspolitik zeitigt wenig Erfolge.

Mitte April verabschiedete die Regierung Orbán das Gesetz, nach dem ausländische Universitäten nur noch Abschlüsse vergeben können, wenn sie in ihrem Herkunftsland einen Lehrbetrieb haben. Die EU-Kommission leitete Ende April ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Orbán sagte Korrekturen zu, nahm sie anschließend jedoch wieder zurück. Ob und was geändert wird, war bis Mitte Mai ungewiss. Seine nationalistische Politik rief auch im Inland Protest hervor. Zehntausende Ungarn gingen gegen das Hochschulgesetz auf die Straße, denn die CEU sucht ihresgleichen im Land.

Alles für die Anwendung

Die Regierung Orbán, seit 2010 im Amt, betreibt seit 2013 einen Umbau der Hochschullandschaft gleichzeitig mit der Innovationsstrategie „Investition in die Zukunft“: Die Ingenieur- und Informatikfakultäten sowie Biotechnologie, Pharmazie, Chemie und Medizin werden bevorzugt, andere Fächer müssen zurückstecken. Forschung und Ausbildung sollen stärker auf Anwendung und den Arbeitsmarkt ausgerichtet werden. Ziel der Regierung ist, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von derzeit 1,38 auf 1,8 Prozent im Jahr 2020 zu steigern.

Bislang haben die Maßnahmen allerdings nicht gegriffen. Im Gegenteil, die Innovationskraft des Landes sinkt. Das zeigt unter anderem der Innovationsindikator der deutschen Institute Fraunhofer ISI, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech). Er vergleicht 35 Länder weltweit, und Ungarn führt seit 2000 unverändert das untere Drittel an.

Weniger Geld, weniger Studierende

In den ersten Jahren ihrer Amtszeit hat die Regierung Orbán die Ausgaben für die ungarischen Hochschulen gekürzt. Spezielle Fortbildungen für den Zugang zur Hochschulreife wurden abgeschafft, Universitätsinstitute geschlossen, Studienplätze abgebaut. Mit dem Umbau-Programm seit 2013 erhöhte sie zwar die Ausgaben. 2016 lagen sie jedoch noch um 6,9 Prozent unter den Ausgaben des Jahres 2010. Außerdem ist Studieren in Ungarn teuer. Viele Studierende und Universitätsabsolventen gehen ins Ausland, auch, weil es in Ungarn an adäquaten Jobperspektiven mangelt. 2016 lag die Zahl der Studierenden erstmals seit 1999 wieder unter 300 000. Immerhin stiegen die Gehälter der Wissenschaftler in den vergangenen Jahren um rund ein Drittel. Im europäischen Raum sind sie allerdings noch lange nicht wettbewerbsfähig.

Am Gängelband

Formal entscheiden die ungarischen Hochschulen weitgehend autonom über Curricula und Personalfragen, doch wird der Kanzler vom Ministerium für Humanressourcen bestimmt. Dieses segnet seit 2016 auch die Besetzungen der fünfköpfigen Konsistorien ab, die an den Hochschulen für langfristige strategische Planungen und Budgetfragen zuständig sind.

Ungarische Hochschulen sind irritiert

Ungarn ist formal voll in den europäischen Forschungs- und Hochschulraum integriert. Seine Wissenschaftler sind Mitglieder in europäischen Fachorganisationen, im Land sind internationale Wissenschaftseinrichtungen wie das British Council, der Campus France oder eben die CEU vertreten. Deutschland pflegt rund 300 Kooperationen. Umso mehr hat die Gesetzesnovelle über die internationalen Kooperationen gerade die ungarischen Hochschulen überrascht und irritiert.

Über LIVIU MATEI, Kanzler der Central European University (CEU)

Liviu Matei, Ph.D.

ist seit 2008 Professor für Hochschulbildungspolitik an der Central European University (CEU) in Budapest und seit 2014 ihr Kanzler und Prorektor. Er studierte Philosophie, Psychologie und Soziologie in Rumänien und promovierte an der Universität Bukarest. Matei lehrte an rumänischen, ungarischen und US-amerikanischen Hochschulen und hat internationale Organisationen beraten, unter anderem die Weltbank und die EU-Kommission.

Internet: https://people.ceu.edu/liviu_matei

LIVIU MATEI über die Folgen des neuen Hochschulgesetzes in Ungarn

„Orbán sagte einfach: ‚Na und?‘“

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán stellte auf Druck der EU zwar Änderungen am umstrittenen Hochschulgesetz in Aussicht. Doch ob und wann sie kommen, ist ungewiss. Der Central European University (CEU) droht die Zeit davonzulaufen. Zum kommenden Jahr könne sie keine neuen Studierenden aufnehmen, sagt ihr Kanzler Liviu Matei.

duz: Wie geht es Ihnen und den Kollegen an der CEU momentan?

Matei: Es ist ganz schön stressig. Jeden Tag kommen neue Entwicklungen: mal gute, die Hoffnung machen, und am nächsten Tag wieder schlechte. Beispielsweise als die Europäische Kommission mitteilte, dass sie Einspruch gegen die Gesetzesnovelle erhebt. Das war großartig. Aber am nächsten Tag war Viktor Orbán zurück in Ungarn und hat einfach „Na und?“ gesagt. Das war furchtbar.

duz: Und wie ist die Stimmung an den ungarischen Unis?

Matei: Beeindruckend. Im Wesentlichen haben sich alle Universitäten auf unsere Seite gestellt. Die Rektorenkonferenz und die Akademie der Wissenschaften waren empört, dass man sie nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, konsultiert hat. Es ist ja nicht nur die Gesetzesnovelle, die alle vor den Kopf stößt. Die Regierung hat zwischen 2008 und 2014 die Mittel für die Universitäten um 40 Prozent gekürzt, und sie hat das Recht der Universitäten auf Autonomie aus der Verfassung gestrichen. Selbst Orbán-Anhänger waren empört. In der ganzen Gesellschaft ist eine ablehnende Haltung gegenüber der Regierung entstanden.

duz: Hat Orbán vielleicht recht? Was hat das Land denn von der CEU?

Matei: Ungarn profitiert auf vielerlei Weise. Nehmen wir den wirtschaftlichen Aspekt: Die meisten unserer Mittel kommen von unserer Stiftung oder von der EU. Wir sind einer der größten Steuerzahler in Budapest. Bei uns sind rund 4000 Menschen, die konsumieren, Wohnungen mieten, bei der nationalen Wirtschaft einkaufen. Das intellektuelle Leben zumindest in Budapest hat sich durch uns verändert. Wir veranstalten regelmäßige kostenlose öffentliche Events mit führenden Persönlichkeiten wie Orhan Pamuk, Mario Vargas Llosa oder zuletzt im Mai mit Ihrem Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck. All das können die hiesigen Hochschulen nicht leisten, weil die Regierung sie nicht entsprechend ausstattet.

duz: Profitieren die inländischen Hochschulen von der CEU?

Matei: Die Zusammenarbeit mit den nationalen Hochschulen spielt eine ganz wichtige Rolle für uns. Aufgrund unserer Fächerstruktur pflegen wir natürlich einen besonders engen Kontakt mit den ungarischen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten. Sie können unsere sozialwissenschaftliche Bibliothek, die wohl beste in diesem Teil Europas, kostenlos nutzen. Wir haben dort doppelt so viele externe Benutzer wie interne, denn es gibt sonst keinen Zugang zu dieser Literatur in Ungarn. Das ist ja ein Grund, warum uns so viele Kollegen aus den ungarischen Universitäten unterstützen. Und schließlich: Unser Studienangebot ist ausdrücklich komplementär und nicht konkurrierend zu den ungarischen Hochschulen angelegt. Wir bieten nicht nationale, sondern vergleichende Staatswissenschaften oder vergleichende Geschichtswissenschaften an.

duz: Verstärken Sie nicht den Braindrain, indem Sie den nationalen Universitäten die Studierenden abjagen?

Matei: Ganz im Gegenteil. Einerseits bringen wir außergewöhnliche Wissenschaftler aus aller Welt ins Land, darunter auch viele Ungarn, die von den besten Unis der Welt zurückkommen. Das tun sie zunächst, weil sie bei uns gute Bedingungen vorfinden. Manche bleiben dann und gehen an eine ungarische Hochschule. Und unsere ungarischen Studierenden sind mit 20 Prozent die größte Gruppe. Sie sagen ganz klar, dass sie ohne die CEU im Ausland studieren würden.

duz: Ungarns Regierung will die Innovationskraft verbessern. Gelingt das?

Matei: Die Regierung hat ein Innovationsprogramm gestartet und sagt gleichzeitig: Wir brauchen weniger Studierende und mehr Handwerker. Doch jeder weiß, dass Innovationen nur möglich sind, wenn man gute Wissenschaft hat. Und die wiederum entsteht, wenn Autonomie, finanzielle Ausstattung und exzellente Wissenschaftler zusammenkommen. Ungarn hat sehr gute Wissenschaftler, aber seine Institutionen sind unterfinanziert und ihre Autonomie schwindet. Durch die neue Gesetzgebung wird Ungarn weiter zurückfallen und stünde ohne die CEU noch schlechter da, denn fast alle ERC-Grants in Ungarn für Sozial- und Geisteswissenschaften haben CEU-Forscher eingeworben. Unsere Wissenschaftler publizieren im Vergleich zu anderen Hochschulen überdurchschnittlich häufig in den hochrangigen Journalen wie Nature und Science. Es ist alles so absurd.

duz: Welche Kompromisse wären für Sie akzeptabel?

Matei: Die Regierung bietet gar keine Kompromisse an, sondern wiegelt nur ab. Beispiel Vertrag mit den USA: Die Regierung meint, man könne doch einen Vertrag mit einem US-Staat machen. Viele US-amerikanische Universitäten haben uns ihren Campus angeboten, aber abgesehen davon, dass wir dort keine Briefkasten-Uni haben wollen, fehlt der Bundesregierung in den USA die Rechtshoheit, einen solchen internationalen Bildungsvertrag abzuschließen. Das ist zeitlich in dem vorgegebenen halben Jahr nicht realisierbar. Beispiel Abschluss: Die Novelle verbietet den Doppelabschluss. Das ist aber gerade das Attraktive an der CEU. Allein wegen eines ungarischen Abschlusses kommt keiner zu uns. Das alles bedeutet, dass wir zum neuen Studienjahr keine neuen Studierenden aufnehmen können. Etliche Interessenten haben schon jetzt ihre Immatrikulation zurückgezogen, weil sie keine Planungssicherheit mehr haben. Die Zeit läuft uns also davon.

duz: Wie geht es jetzt weiter?

Matei: Wir diskutieren gerade noch eine europäische Lösung. Wir könnten eine Akkreditierung möglichst vieler Kurse in anderen EU-Ländern versuchen, weil die dann automatisch in Ungarn anerkannt würden. Aber wir müssten auch dort einen Campus haben. Es gibt zwar schon viele Angebote, auch von zwei Berliner Universitäten, aber das ist alles nur Flickwerk. Ende April wurde in Ungarn eine interministerielle Gruppe beauftragt, aber wir sind skeptisch, ob man wirklich an einer Lösung interessiert ist. Eines ist sicher: Wir werden auf keinen Fall schließen. Wir wollen Ungarn nicht verlassen, aber vielleicht ist ein Standortwechsel der letzte Ausweg.

Das Interview führte Dr. Angela Lindner.

Über die CEU

Die CEU...

... wurde 1991 gegründet. Hauptförderer ist der in Budapest geborene US-Milliardär George Soros, der sein Vermögen unter anderem mit Währungsspekulation erwarb. Die Studierenden kommen aus 100 Ländern. 2015/16 waren 1440 Studierende eingeschrieben und das Budget lag bei 66 Millionen Euro.

Internet: www.ceu.edu

Quellen: Wikipedia / CEU

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