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Ein Mantra hat sich abgeschliffen

„Andersartig, aber gleichwertig“: Die Botschaft von einst kann heute getrost vergessen werden. Just seit Bologna fällt den Fachhochschulen die Profilschärfung in Abgrenzung zu den Unis schwer. Ein historischer Abriss angesichts des bald 50-jährigen Bestehens der FHs.

Längst sind die Fachhochschulen (FHs) ein anerkannter eigenständiger Hochschultyp. Im Zuge vieler Bildungsreformen der beginnenden 70er­Jahre sind sie entstanden. Nach dem Willen damaliger Hochschulplaner sollten die FHs aufgehen in die Reform-Großbaustelle Gesamthochschule, doch die ist inzwischen völlig aus dem Blick geraten.

Ingenieurschulen mit langer Tradition

Wer in den 50er­ und 60er-­Jahren kein klassisches Abitur für ein Studium an der Universität vorweisen konnte und sich dennoch nach seiner berufs­praktischen Ausbildung weiterqualifizieren wollte, dem bot sich ein schier unübersichtliches Angebot diverser Bildungseinrichtungen unterschiedlichster Qualität; darunter einige anerkannte Ingenieurschulen mit gutem Ruf, zum Teil mit langer Tradition bis zurück ins Kaiserreich.

Sie waren, dem Standort und den regionalen Wirtschaftsbedürfnissen entsprechend, etwa auf Maschinenbau, Bergbau, Elektrotechnik, Chemie, Bauwesen oder Architektur spezialisiert. Hinzu kamen Akademien und höhere Wirtschaftsfachschulen, Werkmeisterschulen, höhere Fachschulen für Sozialarbeit und Erziehung sowie Bildungsanstalten für Frauenberufe, außerdem Werkkunstschulen für Fotografie, Design, Textil und gestaltende Kunst und vieles mehr. An ihnen lehrten Dozenten, die überwiegend ohne Universitätsabschluss und ohne Promotion waren, aber reichlich Erfahrung im Beruf gesammelt hatten.

Die Wirtschaft rief in den ausgehenden 60er­Jahren nach immer mehr und besser qualifizierten Fachkräften. Und die Politik griff die beredte Mahnung des Pädagogen Dr. Georg Picht vor einer „Bildungskatastrophe“ auf. Picht warnte, der Mangel an Bildung und fehlenden Investitionen in Schulen und Hochschulen drohe zum „dritten Zusammenbruch der deutschen Geschichte in diesem Jahrhundert“ zu führen. Zugleich gingen Studenten und Schüler auf die Straße, nicht nur, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, sondern auch mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderungen, einer Stärkung von Demokratie und dem Ausbau von Bildungschancen.

Im Bundestag gab es parteiübergreifend Überlegungen einer Grundgesetzänderung hin zu mehr gesamtstaatlicher Bildungsplanung angesichts extremster Bildungsunterschiede in den damals elf Bundesländern der föderalen Bundesrepublik. Schließlich, im Herbst 1968, unterzeichneten die Minis­terpräsidenten ein „Abkommen zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Fachhochschulwesens“. Das gilt als Geburtsstunde der FHs.
In den Folgejahren wurden in den Ländern nach und nach diverse Ingenieurschulen und andere Bildungseinrichtungen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten zu diesem neuen Hochschultypus zusammengefasst. Dies sollte eine Antwort sein auf die rasch voranschreitende Verwissenschaftlichung der Arbeitswelt mit FHs als Ausbildungsstätten hochqualifizierter Fachkräfte für die Wirtschaft.

Geringere Kosten, geringeres Image

„Hochschulen light“ sollten die Fachhochschulen nie sein, gleichzeitig ging es aber von Anfang an darum, eine für die Länder deutlich kostengünstigere Studienmöglichkeit zu etablieren. FH-Dozenten haben nach wie vor eine mehr als doppelt so hohe Lehrverpflichtung wie Universitätsprofessoren – bei deutlich geringerer Bezahlung. Das Studium sollte inklusive Praxisbezug in der Regel nicht länger als sechs Semester dauern, auch mit Blick auf den Wirtschaftsbedarf. Die politische Zielvorgabe für diesen Hochschultypus wurde als „anwendungsorientierte Ausbildung“ bezeichnet.

Illusionär bleiben bis heute jedoch die Vorstellungen der Hochschulplaner, wie sich die Anteile der Studierenden zwischen FHs und Unis entwickeln sollen. Ende der 60er­Jahre schwebte dem Wissenschaftsrat noch vor, auf einen Uni­ sollten künftig zwei FH-Studenten kommen. Anfang der 80er­Jahre wurde diese Zahl weit heruntergeschraubt. Doch selbst die damals propagierte Zielmarke, mindestens 40 Prozent aller Studierenden an FHs auszubilden, ist bis heute nicht erreicht. Der Anteil liegt aktuell je nach Berechnungsart bei gut 35 Prozent.
Künftig ist jedoch mehr Dynamik zu erwarten angesichts diverser Hochschulpakte, über die Bund und Länder in den vergangenen Jahren vor allem die kostengünstigeren FH-Studiengänge ausgebaut haben. Die Politik reagiert damit auf die Tatsache, dass immer mehr Schulabgänger heute einen akademischen Abschluss anstreben, aber nicht unbedingt daran anknüpfend eine wissenschaftliche Karriere.

Und doch richtet sich der Blick von Abi­turienten meist auf die Unis, häufig aus Statusdenken, insbesondere dann, wenn deren Eltern selbst studiert haben. Viele Bildungsexperten jedoch sind der Ansicht, dass Studienberechtigte, die ein konkretes berufs­praktisches Ziel vor Augen haben, an den FHs häufig besser aufgehoben wären.
Was bleibt, ist ein Imageproblem. Das hängt auch damit zusammen, dass das Studium für die privilegiertesten deutschen Berufe, Jurist und Arzt, nach wie vor ausschließlich an Unis angeboten wird. Doch sollten angehende Mediziner und Rechtsanwälte nicht auch „anwendungsorientiert“ ausgebildet werden?

Ein wesentlicher Nachteil der FHs ist zudem das nach wie vor geringere Berufseinkommen ihrer Absolventen. Zwar hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der Wirtschaft das frühere starke Gehaltsgefälle zwischen Uni­ und FH-Absolventen schon beim Berufsstart deutlich verringert. Doch gibt der öffentliche Dienst, der nach wie vor der größte deutsche Arbeitgeber ist, mit seinen fest zementierten Gehaltsstrukturen weiterhin den Takt vor. So ist auch Abiturienten schon bekannt, dass FH-Absolventen zu Beginn ihrer Laufbahn, gleich ob beim Bund, in den Ländern oder in den Kommunen, zwei bis vier Gehaltsstufen niedriger eingruppiert werden als Uni-Absolventen. Und selbst nach Jahren im Beruf und bei guten Leistungen wird FH-Absolventen der Zugang zum höheren Dienst erschwert. Seit Anfang der 70er­Jahre scheiterte noch jeder bildungspolitische Anlauf einer grundlegenden Reform des Laufbahnrechtes. Die Innen­ und Justizminister von Bund und Ländern machten Ende 2015 mit einem Beschluss erneut deutlich, dass sie den höheren Dienst für Bachelor-Absolventen nur in Ausnahmefällen nach Weiterqualifizierung gewähren wollen.

Der Wissenschaftsrat hat seit Gründung der Fachhochschulen im Zehnjahresrhythmus versucht, deren Rolle im Wissenschaftssystem zu bestimmen, auch im Verhältnis zu den Unis. Bis Anfang der 90er­Jahre wurde der Slogan „Andersartig, aber gleichwertig“ von Politikern und Hochschulplanern wie ein Mantra gebraucht, schreibt der Soziologe und Hochschulforscher Dr. Ulrich Schreiterer vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Dies lässt denn auch genügend Spielraum für Interpretationen. So ist weder bei der Stellenausstattung noch bei den Grundmitteln jemals von „Gleichwertigkeit“ die Rede gewesen. Und das „Andersartige“ hat sich mit den Jahren auch abgeschliffen – nicht nur, weil die FHs aus Imagegründen vielfach den Unis nacheiferten und zum Teil bewährte Praxisanteile in den Studienordnungen zugunsten von mehr Theorie abbauten.

Dreh­ und Angelpunkt der fortschreitenden Angleichung beider Hochschultypen ist der vor gut eineinhalb Jahrzehnten eingeläutete Bologna-Prozess sowie die Entscheidung der Politik, Fachhochschulen und Universitäten gleichermaßen das Recht zuzugestehen, neben Bachelor­ auch Mas­terabschlüsse anzubieten – sehr zum Verdruss mancher Universität. Doch hat sich mit der Umstellung auf die neuen Studienabschlüsse auch das Universitätsstudium verändert. Allenfalls im Masterstudium wie auch in Weiterbildungsstudiengängen sehen die meisten Unis und FHs heute noch eine Möglichkeit, das Spezielle ihres Hochschultyps herauszuarbeiten; und sowohl FH­ als auch Uni-Studenten klagen inzwischen über eine zunehmende Verschulung der Studiengänge.

Zurück zu den Fachhochschulen. Ihr gewaltiger Wandel kommt in vielen weiteren inneren wie äußeren Veränderungen zum Ausdruck:

Beispiel Studium
Bis Ende der 80er­Jahre hatte der überwiegende Teil der Studierenden an Fachhochschulen zuvor eine betriebliche Lehre absolviert, Berufspraxis und nicht selten schon einen Meistertitel. Hingegen nehmen heute je nach Studiengang bis zu 80 Prozent der Studenten und Studentinnen an Fachhochschulen direkt nach dem Abitur oder der Fachhochschulreife ihr FH-Studium auf.

Beispiel Forschung
Im FH-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen von 1975 wurde den FHs allenfalls das Recht eingeräumt, „eigene Untersuchungen“ im Rahmen ihres Bildungsauftrages durchzuführen. Doch mit jedem neuen FH-Gesetz wurde dieser Forschungsauftrag erweitert – auch in den Hochschulgesetzen der anderen Länder. Es sind heute nicht mehr allein rein auftragsbezogene Entwicklungsprojekte, für die von den FHs Drittmittel von Unternehmen eingeworben werden. Die Grenzen zwischen anwendungsorientierter und Grundlagen-Forschung sind fließender geworden. Es gibt diverse Landesprogramme zur Förderung der FH-Forschung und seit Ende der 90er­Jahre auch ein Bundesprogramm, dessen Etat zwischen 2005 und 2017 von 10,5 Millionen Euro auf 55 Millionen geklettert ist, aber gleichwohl bescheiden anmutet angesichts der Milliarden für universitäre und außeruniversitäre Forschung.

 
Langsam, aber stetig entdecken die FHs auch die Fördertöpfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Im vorigen Jahr stellten sie 263 Anträge bei der DFG, von denen 98 positiv entschieden wurden. Das macht zwar immer noch nur gut ein Prozent aller DFG­Bewilligungen aus, ist aber schon fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Zugleich hat die DFG die Fördermöglichkeiten für FH-Wissenschaftler erweitert. Sie können sich an Graduiertenkollegs beteiligen und über Projektakademien etwa Lehrvertretungen beantragen, um sich auf ihre Forschung zu konzentrieren.

Wankas FH-Programm bislang nur Papiertiger

Beispiel Lehre
Der Typus des nicht­promovierten Fachschuldozenten aus der Gründerzeit ist längst pensioniert. Der überwiegende Teil heutiger Fachhochschul-Professoren hat an der Uni studiert, dort promoviert und dann Berufs­praxis in Unternehmen gesammelt. Doch die Fachhochschulen leiden unter erheblichen Nachwuchs­problemen, weil sie bei ihrer Personalgewinnung, zumal in den Mint-Fächern, insbesondere den Ingenieurwissenschaften, mit der Wirtschaft konkurrieren.

Diesen Missstand griff der Wissenschaftsrat im vorigen Herbst unter anderem mit der Empfehlung auf, über eine öffentliche Anschubfinanzierung Tandem-Programme einzurichten für FH-Nachwuchswissenschaftler, die einen Teil ihrer Arbeitszeit im Unternehmen verbringen, den anderen Teil an der Fachhochschule.

Ein paar Monate zuvor schon, im Mai, hatte Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) ein Bund-Länder-Programm zur Nachwuchsförderung an den Universitäten aufgelegt, das 1000 zusätzliche Tenure-Track-Stellen von 2017 an fördern soll. Kurz darauf versprach sie dann im Sommer eilig, auch „ein eigenes, speziell auf die Bedürfnisse der Fachhochschulen zugeschnittenes Programm“ initiieren zu wollen (duz MAGAZIN 08/2016, S. 20f.). Doch dessen Modalitäten und seine Finanzierung sind bis heute völlig offen – und die Länder äußerst zurückhaltend. Bislang hat es das Thema noch nicht einmal auf die Tagesordnung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz geschafft

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Angela Borgwardt: Zwischen Forschung und Praxis – Die Rolle der Fachhochschulen im Wissenschaftssystem. Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung 2016
Download: https://tinyurl.com/jzuxgh3

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