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Mit Geld-zurück-Garantie

Um angesichts wachsender Studierendenzahlen mehr Geld einzutreiben, beschritt die Freie Universität Brüssel einen ungewöhnlichen Weg: Als erste staatliche Uni Europas ist sie an die Börse gegangen. Wird das Konzept aufgehen – oder droht die Privatisierung der Bildung? Eine erste Bestandsaufnahme.

Gute Lehre und Forschung sind nicht nur im übertragenen Sinn Kapital, sondern manchmal auch sehr konkret. Diese Erfahrung machte die Freie Universität Brüssel (VUB), indem sie vor einem halben Jahr einen ungewöhnlichen Schritt unternahm. Die erfolgreiche und hochangesehene Hochschule in der europäischen Hauptstadt hatte Geldprobleme. „Die öffentlichen Mittel gehen immer weiter zurück“, erzählt Rektor Paul De Knop.

Mit den zunehmenden Studierendenzahlen jedoch stieg auch der finanzielle Bedarf der Uni kontinuierlich. „Wir brauchen Mittel, um weiterzuwachsen“, befand der Rektor. Von der belgischen Regierung hat er nichts zu erwarten: Erst im vorigen Frühjahr hatte sie drastische Sparmaßnahmen beschlossen, um eine milliardenschwere Haushaltslücke zu schließen. Weitere Zuwächse im höheren Bildungsbereich waren ausgeschlossen. Was tun? De Knop handelte wie ein Unternehmer: Er ging an die Börse.

Am 23. Oktober 2015 um Punkt 9 Uhr schlug der Rektor in der Brüsseler Börse Euronext auf den Gong. Damit war der Börsengang der staatlichen Hochschule ein Fakt. Die Pressestelle der VUB bejubelte die „west-europäische Premiere“. Doch Studentenvertreter und Kommentatoren waren weniger euphorisch: War dies nicht der Beginn des Ausverkaufs der Bildung und die entscheidende Weiche zum Renditeprinzip im Bildungssektor?

„Eine relativ sichere Geldanlage“

Diese Kritik hört Rektor De Knop gar nicht gern. Der Schlag auf den Gong sei nur ein symbolischer Akt gewesen, erklärt er und betont: „Wir sind ja nicht im klassischen Sinn an die Börse gegangen.“ Mit dem Gang zur Börse verwandelte sich die VUB nämlich nicht in ein börsennotiertes Unternehmen: Nur institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Rentenfonds können mit einem Mindesteinsatz von 250.000 Euro Obligationen, also verzinsliche Wertpapiere, kaufen. Schon am ersten Tag taten sie das erstaunlich großzügig: Die Universität bekam auf einen Schlag 61,5 Millionen Euro in die Kasse. „Das hat uns doch überrascht“, sagt De Knop.

Der Gang zur Börse war gut vorbereitet und von der belgischen Aktiengesellschaft Belfius Bank begleitet worden. „Wir bieten eine relativ sichere Geldanlage“, erklärt De Knop den Erfolg. Die Universität bestehe schließlich schon seit 180 Jahren. „Dass sie umfällt, weil die öffentlichen Mittel stoppen oder die Studenten wegbleiben, ist äußerst unwahrscheinlich“, sagt er, „außerdem stehen wir finanziell gesund da und haben ein gutes Management.“

Die Investoren – dazu gehört auch ein deutscher Anleger, dessen Namen die VUB allerdings nicht nennen will – können nach den Worten des Rektors davon ausgehen, dass sie ihr Geld zurückbekommen; und das mit einer kleinen Verzinsung.

Schon vor dem Börsengang speiste sich der Gesamthaushalt der VUB mit einem Budget von 232 Millionen Euro nur zu 40 Prozent aus belgischen Steuergeldern; zu 36 Prozent finanzierte sich die Hochschule bereits aus nicht-staatlichen Mitteln wie Stiftungen. Zusätzlich erhält die VUB etwa über Ausschreibungen Mittel für Forschung und Lehre. Die Studiengebühren von jetzt im Schnitt 940 Euro pro Jahr decken nur 3,4 Prozent des Jahreshaushaltes.

Das neue Kapital will die Universität vor allem in Steine stecken: Zurzeit werden 650 Studentenwohnungen gebaut, ein Kulturzentrum ist geplant sowie ein Zentrum für internationale Studenten. Auf der Wunschliste stehen zudem ein „Learning and Innovation Center“ für neue Unterrichtsmethoden und ein Schwimmbad.

Kein Konzept für deutsche Unis

Was nach der Verwirklichung paradiesischer Zustände klingt, konnte zunächst bei den Studierenden keine Begeisterungsstürme hervorrufen. Sollte Studieren nur noch nach finanziellem Ertrag knallhart abgerechnet werden?, fragte etwa Olivier Goessens, Vorsitzender der jungen Sozialdemokraten und Studentenvertreter im VUB-Vorstand  in einem flammenden Appell in der belgischen Wochenzeitung Knack: „Wird der Börsenkurs bald entscheiden, wie viele Profs wir anstellen können, aus wie vielen Studienfächern wir wählen und wie viele Buden gebaut werden können?“

Die Bedenken sind vorerst ausgeräumt, sagt die Vorsitzende des Studentenrates Isabeau Hufkens, denn: „Die Investoren haben keinerlei Mitspracherecht.“ Außerdem sei die private Finanzierung vorab demokratisch beschlossen worden. Und, nicht ganz unwichtig: Das Geld kommt den Studierenden zugute. „In Brüssel gibt es einen großen Mangel an bezahlbaren Zimmern für Studenten“, sagt Hufkens. Die Uni hatte keine Wahl, findet die Studentenvertreterin: Der Staat muss sparen, über herkömmliches Fundraising komme nicht genug in die Kassen, und eine Erhöhung der Studiengebühren lehnt die Studentenvertretung ab.

Wäre das Brüsseler Finanzierungsmodell auch etwas für Deutschland? Ulrich Müller, der die Abteilung für politische Analysen am Centrum für Hochschulentwicklung leitet, bezweifelt das. Schon rein rechtlich ist ein Gang an die Börse für staatliche Universitäten nicht möglich. „Zur Zeit gestatten nur vier der 16 Landeshochschulgesetze explizit solche privaten Finanzierungen“, sagt Müller. Anders sieht es für die privaten Hochschulen aus. So hatte die private Uni Witten/Herdecke bereits 2014 an der Düsseldorfer Börse eine Studierendenanleihe ausgegeben und damit die Studierenden zu Gesellschaftern gemacht.

Doch auch eine Änderung der Gesetze würde nicht viel bewirken, erklärt der Experte: „Die deutschen Hochschulen verfügen nicht über genügend eigene Einnahmen, um Verzinsungen zu garantieren.“ Studiengebühren können sie nur im Weiterbildungsbereich erheben. Doch als finanzielle Sicherheit für Kreditgeber würde das nicht ausreichen. „Es ist schade, dass wir die Studiengebühren nicht mehr haben“, bedauert Müller, „die Hochschulen sollten die Möglichkeit haben, Kredite und Anleihen aufzunehmen“.

Studentenvertreter warnen

Für ihn ist Mischfinanzierung aus öffentlichen und privaten Mitteln angesichts der weiterhin knappen staatlichen Kassen ein Modell mit Zukunft: „Bedingung ist aber, dass Investoren nicht von außen mitentscheiden können.“ Das Interesse von Geldgebern, auch in Bildung zu investieren, wird weiter zunehmen. „Das ist sicher auch eine Folge der Kreditkrise“, meint Müller, „Anleger wollen zunehmend in sinnvolle und ethisch saubere Projekte investieren“.

Eine Win-win-Situation für Hochschulen und Anleger also? Rentenfonds oder Versicherungen sind keine Idealisten. Sie wollen und müssen auch Geld verdienen. Ob die VUB tatsächlich in der Lage ist, Kapital mit Zinsen zurückzuzahlen, muss sich noch zeigen. Die Wertpapiere haben eine Laufzeit von 15 und 20 Jahren. Kritiker wie etwa Studentenvertreter Goessens warnen davor, dass die Rechnung später nicht den Studierenden präsentiert werden darf, wenn die Einkünfte am Ende doch niedriger ausfallen.

Und dann ist da noch der Kernkonflikt: Eine Universität dient der Gesellschaft, ein Unternehmen seinen Aktionären – und die wollen Gewinn. Das Brüsseler Modell hat Grenzen, warnt Studentenvertreterin Hufkens: „Bildung ist im Prinzip Aufgabe des Staates und darf nicht zum Spielball gewinn­orientierter Unternehmen werden.“

Im Überblick

Die Brüsseler Uni im Überblick

Geschichte
Die Vrije Universiteit Brussel (VUB) wurde 1834 in der belgischen Hauptstadt gegründet. 1969 spaltete sie sich auf in eine französischsprachige und in eine flämischsprachige Hochschule.

Zahlen
Rund 14.000 Studierende zählt die Freie Uni Brüssel. 21 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland.

Studiengänge
Die VUB bietet 29 Bachelor- und 76 Masterstudiengänge an, unter anderem Medizin, Soziologie und Ingenieurwissenschaften.

Budget
Die Universität verfügt über einen Gesamthaushalt von 232 Millionen Euro pro Jahr.

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