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Her mit neuen Gesetzen

Vor 100 Tagen hat das Bundesverfassungsgericht das Akkreditierungsverfahren für Studiengänge gekippt. Jetzt muss es neu geregelt werden.

Acht Jahre hat der Rechtsstreit gedauert. Erst beschäftigte er Verwaltungsrichter in Arnsberg, ab 2010 das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat nun einen Beschluss gefällt, der das Akkreditierungssystem von Studiengängen in Deutschland erschüttert: Die aktuellen Regelungen verstoßen gegen Grundrechte. In ungerechtfertigtem Ausmaß wird in die Wissenschaftsfreiheit eingegriffen, urteilten im März die Karlsruher Verfassungsrichter. Bis Ende 2017 müssen neue Gesetze her.

Prof. Klaus Hekking, Vorstandsvorsitzender des Verbands Privater Hochschulen (VPH), freut sich über den Richterspruch. Kein Wunder: 32 Jahre lang, bis Anfang 2015, stand er der SRH Holding vor; jener Stiftung, die Eigentümerin des SRH Konzerns ist. Dieser wiederum betreibt – unter anderen – die SRH Hochschule Hamm, die sich gegen eine Nicht-Akkreditierung gewehrt und so das Verfahren 2008 in Gang gesetzt hatte, das jetzt zur Neuregelung führt.

Nun müssten sowohl staatliche als auch private Hochschulen an der Neuregelung beteiligt werden, freut sich Hekking, anders als 2003, als die Kultusministerkonferenz (KMK) quasi im stillen Kämmerchen ihre „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“ den privaten und staatlichen Hochschulen aufgedrückt habe. Das reformierte System sei dann durch die Landesparlamente zu autorisieren, durch die Zustimmung zu einem Staatsvertrag der Länder oder durch Änderung der Landeshochschulgesetze.

„Ich will nicht verhehlen, dass dieses ‚Rechtsstaats- und Demokratie-Gap‘ im Jahre 2010 für mich auch ein sehr starkes Motiv war, den Prozess zu initiieren, der jetzt zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes geführt hat“, sagt Hekking. Er wünsche sich, dass die Politik nun die Chance für Reformen nutze, um ein einheitliches Qualitätssicherungsverfahren zu schaffen – bisher müssen private Hochschulen, anders als die staatlichen, noch eine zusätzliche Institutionelle Akkreditierung über den Wissenschaftsrat durchlaufen. Dieser allerdings hat bisher noch nichts gesagt, was auf Unterstützung einer solchen Erleichterung schließen ließe.

Seit Jahren steht das System in der Kritik

Das jetzt zur Debatte stehende System zur Akkreditierung von Studiengängen wurde in seinen Grundzügen schon im Dezember 1998 durch einen KMK-Beschluss eingeführt. Die Ziele der Akkreditierung sollten „die Gewährleistung fachlich-inhaltlicher Mindeststandards“ an deutschen Hochschulen und „die Überprüfung der Berufsrelevanz der Abschlüsse“ sein. Dahinter steckte die Absicht, eine verlässliche Orientierung über die Qualität eines Studiengangs zu bieten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der geplanten Bachelor- und Masterstudiengänge zu sichern.

Als Schlüsselgremium des Systems nahm 1999 der Akkreditierungsrat seine Arbeit auf, der seit 2005 in der Rechtsform einer Stiftung agiert. Im Rat sitzen je vier Vertreter der Hochschulen und der Länder, fünf Vertreter der Berufspraxis und je zwei Repräsentanten der Studierenden und des Auslands sowie mit beratender Stimme ein Vertreter der privaten Agenturen, die an den Hochschulen die Akkreditierungsprüfung übernehmen. Die Ratsmitglieder fassen Mehrheitsentscheidungen nach Vorgaben der KMK, die die Hochschulen erfüllen müssen, wenn ihr internes Qualitätssicherungssystem (Systemakkreditierung) oder ein Studiengang (Programmakkreditierung) geprüft werden.

Dieses System steht schon seit Jahren in der Kritik. Die Universitäten könnten für die Qualität ihrer Studiengänge sehr gut selbst sorgen, sagt der Deutsche Hochschulverband seit Langem. Die Akkreditierungsagenturen sollten den Hochschulen nur beratend zur Seite stehen. Landesrechnungshöfe bewerteten das Akkreditierungswesen als teuer, bürokratisch und uneffektiv. Juristen warfen ihm bereits Verfassungswidrigkeit vor, als der Arnsberger Prozess noch gar nicht begonnen hatte.

Nach dem jetzigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten im Mai 30 Heidelberger Professoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Aufruf an die Politik, das „Akkreditierungsmonstrum“ ganz abzuschaffen. „Schon wegen der Kosten“, sagt Prof. Dr. Ute Mager, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Heidelberg, die zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehört. „Zur Legitimation des Akkreditierungsrats bedarf es meines Erachtens eines Staatsvertrags“, so Mager.

Doch aus den Hochschulen sind auch andere Ideen zu hören. Prof. Dr. Frank Slomka etwa ist gegen eine komplette Abschaffung. Der Direktor des Instituts für Eingebettete Systeme/Echtzeitsysteme an der Universität Ulm hat 2012 maßgeblich die Akkreditierung von zehn Studiengängen der Bereiche Ingenieurwissenschaften und Informatik begleitet. Er weiß, dass großer Aufwand dahintersteckt. 20.000 Seiten, 30 Kilo schwer, schickten er und seine Kollegen am Ende in zwei Umzugskartons zur Agentur. 30.000 Euro mussten sie ihr zahlen, die Gesamtkosten des Verfahrens, inklusive Personalaufwand, schätzte Slomka auf bis zu 400.000 Euro.

Heute, vier Jahre später, sagt Slomka, die intensive Beschäftigung mit den Studiengängen sei durchaus hilfreich gewesen: „Von den zuständigen Mitarbeitern im Studierendensekretariat bekomme ich noch immer Lob, wie strukturiert der Informatik-Studiengang inzwischen ist.“

Der Akkreditierungsrat gibt sich reformbereit

Slomka hat in den vergangenen Jahren selbst als Gutachter an vier weiteren Akkreditierungsverfahren im In- und Ausland teilgenommen. Vieles sei hinsichtlich der Begutachtung zu ungenau geregelt, sagt er. „So haben wir an der Hochschule Nordhausen etwas bemängelt, was eine vorherige Gutachtergruppe explizit so wollte.“ Er vermisst einheitliche Qualitätsstandards, die insbesondere die Freiheit von Forschung und Lehre berücksichtigen. „Vielleicht könnte man die Fakultätentage besser in den Akkreditierungsprozess einbinden. Über diese informellen Gremien wurden ja früher die Standards für die unterschiedlichen Studiengänge gesetzt“, sagt Frank Slomka.

Der Akkreditierungsrat, dessen Vorsitzender Professor Reinhold Grimm den Gerichtsbeschluss begrüßt, gibt sich ebenfalls reformbereit. Schon in den vergangenen Jahren hat der Rat versucht, die Akkreditierung einfacher zu gestalten. Ein Fortschritt war die erste Systemakkreditierung, also die Akkreditierung einer gesamten Hochschule, an der Universität Mainz im Jahr 2011. Auch die Universität Potsdam wählte dieses Verfahren und erhielt den positiven Bescheid ein Jahr später.

Die Kosten der Systemakkreditierung seien zwar nach ersten Erfahrungen an den Brandenburger Hochschulen nicht wesentlich geringer als an Hochschulen, die sich für die Programmakkreditierung entschieden haben, sagt Sylvi Mauermeister, Leiterin des Bereichs Evaluation, Akkreditierung und Hochschulforschung am Zentrum für Qualitätsentwicklung in Lehre und Studium der Universität, „die Wirksamkeit des Systems ist mit Blick auf die Studiengangs- und Organisationsentwicklung aber deutlich höher einzuschätzen“. Aus Potsdamer Sicht muss infolge des Karlsruher Beschlusses die Stimme der Wissenschaft im Akkreditierungsrat maßgeblich und in den Agenturen stärker werden.

Seit März unterstützt der Akkreditierungsrat vier Projekte, in denen Hochschulen neue Wege in der Qualitätsüberprüfung von Studium und Lehre ausprobieren. Eines dieser Experimente läuft an der Hochschule Pforzheim. „Programmakkreditierung im Fakultätsreview“ heißt das Modell. Die Fakultät für Wirtschaft und Recht der Hochschule Pforzheim hat es mit der Akkreditierungsagentur AQAS entwickelt. Es basiert auf der Programmakkreditierung, umfasst jedoch mehrere Studiengänge. Es legt den Fokus stärker auf die übergeordnete Fakultätsebene und fragt, wie sich die Fakultät weiterentwickeln will. Externe Gutachter kommen zu einer mehrtägigen Prüfung und beziehen die Wissenschaftler vor Ort intensiv ein.

Später ergebe sich die Möglichkeit der Reakkreditierung aller Studiengänge der Fakultät in einem einzigen Verfahren, sagt Matthias Kropp, Leiter des Fachgebiets Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule. Das traditionelle Modell habe beim Personal zu „Ermüdungserscheinungen geführt, da in acht Verfahren zu über 50 Prozent identische Sachverhalte zu berichten waren“, so Kropp. Andere Formen der Akkreditierung würden zu viele personelle Ressourcen fordern und langfristig an sich binden. Da der Karlsruher Beschluss vor allem die mangelnde Rechtsgrundlage und die fehlende maßgebliche Beteiligung der Wissenschaft an der Festlegung der Beurteilungskriterien kritisiere, spricht aus Kropps Sicht nichts dagegen, den Pforzheimer Weg weiterzuverfolgen.

Bloß keine Insellösungen

Darauf weist auch Professor Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), hin: „Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die externe Begutachtung von Studiengängen als verfassungswidrig bezeichnet.“ Die Hochschulleitungen, so Hippler, hätten in der HRK-Mitgliederversammlung im Mai bekräftigt, dass das Konzept eines „Institutionellen Qualitätsaudits“ (IQA) zukunftsfähig ist, das die HRK bereits 2012 vorgelegt hat.

Dieses Qualitätsaudit würde zwischen einer Hochschule und einem Qualitätsrat vereinbart werden, der an den heutigen Akkreditierungsrat anknüpfen und mit Experten aus der Wissenschaft besetzt würde. Dieser Qualitätsrat sollte in Abstimmung mit der Hochschule die Auditoren-Gruppe benennen, die dann das hochschulinterne Qualitätsmanagement der ganzen Hochschule oder auch nur einer Fakultät begutachten würde. Im Erfolgsfall bekäme die Hochschule ein Qualitätssiegel. Auch Programmakkreditierungen in diesem von der HRK vorgeschlagenen System wären weiter möglich. Die Agenturen könnten allerdings nur noch Beratung anbieten.

Die HRK erwartet von der Politik als Reaktion die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nun keine „Insellösungen“ durch verschiedene Gesetzesinitiativen in einzelnen Ländern, „sondern eine wohlbedachte Reform“, erklärte sie im Mai. Dazu werde sie, so ihr Präsident, mit der KMK eingehend sprechen. „Bis zum November werden wir einen Vorschlag erarbeiten, wie die Balance im System hergestellt werden kann“, kündigt Hippler an.

Das Urteil

Das Urteil

Vorgeschichte
2008 wehrte sich die private SRH Hochschule Hamm gegen eine Entscheidung der Akkreditierungsagentur ASIIN, die zwei Studiengängen die Akkreditierung versagt hatte. Das Verwaltungsgericht Arnsberg urteilte, dass die zugrundeliegenden Regelungen des Landes Nordrhein-Westfalen für die Akkreditierung verfassungswidrig seien.

Beschluss
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 2016 diese Einschätzung und erklärte: „Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG steht zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegen. Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung darf der Gesetzgeber jedoch nicht weitgehend anderen Akteuren überlassen, sondern muss sie unter Beachtung der Eigenrationalität der Wissenschaft selbst treffen.“

Interpretation
Das Bundesverfassungsgericht habe den Landesgesetzgebern aufgegeben, „in allen Hochschulgesetzen Regelungen zur Ausgestaltung der externen oder sonstigen Evaluierung von Studiengängen auszugestalten“, sagt Professor Klaus Herrmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Potsdam. Das Gericht fordere eine maßgebliche Beteiligung der Wissenschaft auf allen Ebenen der Akkreditierung.

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