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Wie Gremienarbeit gelingt

Gremien an Hochschulen werden größtenteils als wenig ergiebig, teilweise auch als überflüssig angesehen. Knackpunkte sind oft eine geringe Dialogfähigkeit der Beteiligten sowie mangelndes Vertrauen in die Mitstreiter. Wer Gremienarbeit effektiv gestalten will, sollte seinen Mustern entfliehen – und Bekanntes mit anderer Haltung tun.

Studien aus der Wirtschaft zeigen, dass heute rund 15 Prozent der Gesamtzeit eines Unternehmens in Meetings verbracht werden; Führungskräfte schätzen mehr als die Hälfte dieser Sitzungen als ineffektiv ein (siehe Fußnote 1). Zur Bewältigung von Gestaltungs- und Kontrollfunktionen werden auch im Wissenschaftsbetrieb Arbeitskreise, Kommissionen, Expertengruppen, Beiräte, Zirkel und Ausschüsse gebildet.

Der Beitrag dieser Gremien wird tendenziell kritisch beurteilt, und Kommentare wie die folgenden werden laut: „Sitzungen mutieren zu einem Schaulaufen der Belanglosigkeiten“, „Sie werden zur Befriedigung des eigenen Egos missbraucht“ oder „Machtspiele verhindern die konstruktive Lösungsfindung“. Meine Erfahrungen mit Gremien-Coachings zeigen aber, dass eine Schuldzuweisung auf die Sitzungsleitung oder das Kritisieren von Einzelpersonen zu kurz greifen. Die Ursachen des Unmuts über Gremien liegen tiefer, und sie folgen einer Logik.

Akzeptanz der Überforderung

Leitungsgremien an Hochschulen sind mit paradoxen Herausforderungen konfrontiert wie etwa dem Planen des Unplanbaren, dem Steuern des Nicht-Steuerbaren oder dem Kontrollieren des Nicht-Kontrollierbaren. Die Reaktion auf diese Herausforderungen besteht oft darin, die Gremienarbeit zu professionalisieren.
Ausgehend von der irrigen Annahme, dass sie der zunehmenden Ungewissheit mit Zahlen und Fakten begegnen können, unterlegen die Mitglieder der Leitungsgremien gerne einzelne Themen mit zusätzlichen Daten und organisieren Sitzungen straffer. Das Leben in und mit Paradoxien aber bedingt nicht ein Mehr an Professionalität dieser Art; es bedingt eine andere Haltung. Das Eingeständnis der Überforderung bildet dazu die Basis. Realismus und Bescheidenheit sind angesagt, und wir müssen die überhöhten Erwartungen an Leitungsgremien korrigieren.

Konturen einer „anderen“ Gremienarbeit

Gelingende Gremienarbeit setzt bei der Haltung an, die auf verschiedenen Ebenen vorhanden sein muss: auf der Anspruchs-, Prozess- und Verhaltensebene. Illustriert an den obersten Führungsgremien einer Hochschule, der Hochschulleitung, dem Senat oder Hochschulrat, lässt sich die andere Haltung wie folgt erläutern.

Anspruchsebene

Zwei grundsätzlich unterschiedliche Formen, wie Leitungsgremien gestalten können, sind denkbar. Die erste Möglichkeit ist: Dem Primat der Kontrolle folgend, nimmt das Gremium in einer direkten Form über konkrete Zielvorgaben oder die Gestaltung von Hochschulstrukturen Einfluss. Es arbeitet innerhalb des Systems. Um die Komplexität zu reduzieren, setzt das Gremium Instrumente wie zum Beispiel Reglemente, Richtlinien, Planungs­ und Controllingtools ein.

Der zweite Schwerpunkt besteht in der Arbeit am System. Hier vertrauen Gremien primär Menschen. Sie setzen ihre Zeit und Energie dafür ein, dass die in der Hochschule vorhandenen Potenziale entfaltet und die Intelligenz im Kollektiv genutzt werden kann. Sie begegnen der Ungewissheit, indem sie die Handlungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter der Organisation erweitern.

Die Komplexitätsforschung zeigt, dass Komplexität vergleichbar ist mit Wasser. Sie lässt sich nicht komprimieren. Bereits 1956 hat der britische Psychiater William Ross Ashby das Gesetz der erforderlichen Varietät formuliert. Es besagt, dass der zunehmenden Außenvarietät eines Systems nur mit einer adäquaten Binnenvarietät zu begegnen ist (2).

Nehmen Führungsgremien diese Erkenntnisse ernst, müssen sie sich von der Illusion einer mechanistischen Beherrschbarkeit verabschieden und den Fokus ihrer Tätigkeit auf die Arbeit am System legen. Bei ihrer Gestaltungsaufgabe sind Gremien also gut beraten, Schlüsselpersonen miteinzubeziehen und ihnen etwas zuzutrauen. Nach dem Soziologen Niklas Luhmann ist Vertrauen die einzige Möglichkeit im Umgang mit Komplexität. Wie aber lässt sich dieses Vertrauen legitimieren? Ein wirksames Mittel dafür ist gemeinsam verbrachte Zeit, in der die Gremienmitglieder die Führungspersonen mit ihren Denk- und Handlungsmustern erleben. Diese Eindrücke können eine verlässliche Grundlage zur Einschätzung von Vertrauenswürdigkeit bilden. Sie helfen, Vertrauen in das Vertrauen zu entwickeln.

Prozessebene

Einen sinnvollen Beitrag leisten Gremien, wenn die geführten Diskussionen zu tragfähigen Ergebnissen führen. Das ist der Fall, wenn es gelingt, Wissens-, Erfahrungs- und Interessensvielfalt in einem dialogisch geführten Diskurs zu einer qualitativ besseren Lösung zu verdichten. Vielfalt ohne Dialoge oder Dialoge ohne Vielfalt führen zu keinem Ergebnis.

Gerade an Universitäten verfügen wir in den Gremien oft über ein breites Wissen verschiedener Disziplinen. Der Knackpunkt liegt in der oft nicht vorhandenen Dialogfähigkeit. Ausgebildet in der zweiwertigen aristotelischen Logik, die uns lehrt, dass im Falle zweier einander widersprechender Aussagen mindestens eine falsch sein muss, und geschult in einer abgrenzenden und wenig integrativen Haltung, fällt es Verantwortungsträgern in Hochschulen schwer, echte Dialoge zu führen. Immer wieder erlebe ich in Gremiensitzungen, wie sich Monologe an Monologe reihen.

Überzeugt von der eigenen Kompetenz, verkünden Gremienmitglieder persönliche Gewissheiten, und jeder erklärt seine Welt. In diesem Modus ist das Finden besserer Lösungen nicht möglich. Die dialogische Diskurs-Kultur basiert auf einer fundamental anderen Haltung. Es geht nicht mehr darum, den anderen argumentativ zu überzeugen, sondern aus der Vielfalt etwas Größeres entstehen zu lassen. Der Quantenphysiker David Bohm unterscheidet unter anderem die folgenden Voraussetzungen für einen gelingenden Dialog (3):

  • Zuhören bedeutet, aus einem bewussten inneren Schweigen heraus Drittmeinungen auf sich wirken zu lassen.
  • Partizipieren Höre ich zu, so kann ich teilhaben. Aus der Teilhabe an den Gedanken Dritter heraus können wir in einen inspirierenden Austausch eintreten, aus dem wiederum etwas Größeres, Neues entstehen kann,
  • Respektieren bedeutet, auf Bewertung und Kritik zu verzichten. Jede Ansicht und Äußerung ist genauso wertvoll wie die eigene Überzeugung.
  • Artikulieren Drückt das authentische An­ und Aussprechen der eigenen Empfindungen aus. Wir sprechen über das, was uns bewegt.
  • Suspendieren Eigene Gedanken und Meinungen werden weder unterdrückt noch missionarisch vertreten, sondern so vorgetragen, dass andere sie wahrnehmen und begreifen können.
  • Das Denken beobachten Hier geht es um das Erkennen, wie das eigene Denken funktioniert, und welche mentalen Modelle, Vorurteile und Überzeugungen dabei leitend sind.

Dialoge verändern die Atmosphäre: Gremienmitglieder beginnen, gemeinsam zu denken, statt verfestigte Ideen und Argumente gegeneinander abzuwägen. Oft entsteht daraus etwas, das über das individuell Angedachte hinausgeht. Für eine gelingende Gremientätigkeit ist es wichtiger, dass die Mitglieder dialogfähig sind und nicht nur fachlich kompetent. Die Basis dazu sind ein plurales Wirklichkeitsverständnis und die Akzeptanz, dass jeder in seiner Welt recht hat. Unterscheidungen wie wahr/ falsch werden obsolet. Erst die Dialogfähigkeit erschließt den Mehrwert von Vielfalt. Der renommierte Familientherapeut Jesper Juul warnt nicht zu Unrecht vor einer möglichen Gefahr: „In echten Dialogen muss ich mich dem Risiko aussetzen, klüger zu werden.“ (4)

Verhaltensebene

Gremienmitglieder sehen ihren Beitrag vornehmlich darin, Expertise und Fachwissen einzubringen. Dabei überschätzen sich viele, und nicht selten wird diese Selbstüberschätzung sogar als Selbstbewusstsein gedeutet: Experten attestieren wir, dass sie die Bedeutungszusammenhänge besser einschätzen und ein fundiertes Urteil fällen können. Studien zeigen jedoch, dass immer dann, wenn es um Vorhersage der Zukunft geht, Experten regelmäßig versagen (5). Das Problem ist, dass auch sie nicht wissen können, was sie nicht wissen. Gerade bei Führungsfragen und im Umgang mit Ungewissheit gibt es offensichtlich eine große Diskrepanz zwischen dem, was wir zu wissen glauben, und dem, was wir wirklich wissen.

Trotzdem lassen wir uns bei anstehenden Sach-Entscheiden von der Vorstellung leiten, es gebe stets richtige Entschlüsse und beste Lösungen. Gerade im akademischen Kontext fällt es schwer, Unwissenheit oder die Vorläufigkeit des Wissens zu akzeptieren. Doch das einzelne Gremienmitglied stiftet keinen echten Mehrwert, wenn es nur im „Antwortmodus“ funktioniert und immer recht haben muss. Mehrwerte entstehen über das Stellen intelligenter Fragen, denn Fragen sind oft die besseren Antworten. Sie laden ein, fördern den Dialog und nutzen die Intelligenz im Kollektiv. Fragen, die im Gremium Impulse anstoßen, kennzeichnen sich wohl am ehesten dadurch, dass sie nicht unmittelbar beantwortbar sind und zum echten Nachdenken einladen. Intelligentes Fragen ist anspruchsvoll und setzt nebst Fachkenntnissen auch ausgeprägte Sozialkompetenzen voraus. Ein wichtiger Beitrag besteht zudem in der Fähigkeit, als Beobachter die Gremienarbeit stets kritisch zu reflektieren sowie energiefressende Rollenspiele zu erkennen und zu durchbrechen.

Gelebte Bescheidenheit als Professionalisierung

Ausgehend von der Einsicht, dass die Überforderung von Führungsgremien die Regel und nicht die Ausnahme ist, gilt es:

  • den Mythos der Beherrschbarkeit abzulegen und zu akzeptieren, dass auch für Leitungsgremien im Wissenschaftsbetrieb das Vertrauen die einzige Möglichkeit im Umgang mit Unsicherheit ist und dass sich dieses primär über Beziehungszeit einstellt.
  • die Güte der eigenen Gremienarbeit konsequent am Erreichen einer höheren Qualität der Lösung zu orientieren. Dabei sind die Disziplinen­ und Erfahrungsvielfalt der Mitglieder bewusst zu nutzen und deren Dialogfähigkeit konsequent zu entwickeln.
  • sich nicht im Einbringen von Fachexpertise, sondern im Stellen intelligenter Fragen in der Pflicht zu sehen.

______________
Fußnoten:
1) Vgl. Mankins, M./Brahm, Ch./Caimi, G.: So managen Sie Ihr knappstes Gut, in: Harvard Business Manager, Oktober 2014, S. 21-29, S. 23 f.
2) Ashby, W. R.: An introduction to Cybernetics, New York 1956.
3) Bohm, David, Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussion, Stuttgart 1998; Herausgegeben von Lee Nichol und aus dem Englischen übersetzt von Anke Grube (Original: On Dialogue), vgl. auch: http://www.loser-kalbermatten.ch/dialog.html (letzter Aufruf: 18.12.15).
4) Juul, J.: Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht, 6. Aufl., München 2011, S. 2.
5) Vgl. Tetlock, Ph.: Expert Political Judgment: How Good Is It?, zitiert in: Kahnemann, D.: Schnelles Denken, langsames Denken, 15. Aufl., München 2011, S. 270 f.

Tipps und Fazit

Literatur
Der nachfolgende Text basiert auf dem vom Autor in der Zeitschrift Organisator publizierten Artikel:
Wüthrich, H. A.: Führungsgremien zwischen Schein und Sein, in: Organisator, Ausgabe 1|2-2015, Seite 22-24.

Handlungstipp
Weg vom akademischen Tunnelblick: Bei der Arbeit in Gremien ist nicht die fachliche Expertise wichtig, sondern das Stellen intelligenter Fragen sowie das Erkennen von eingefahrenen Rollenmustern.

Fazit
Wer bereit ist, seine Haltung zu überdenken oder zu ändern, muss auf der Suche nach einer Lösung auch mal die Vorläufigkeit des Wissens akzeptieren. Daraus leitet sich die Notwendigkeit ab, Führungsexperimente zuzulassen und dadurch neue Erlebniswelten zu kreieren.

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