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Die Vermessung des Glücks

Der Mensch muss sich vergleichen können. Wer im Wettbewerb besser abschneidet, zieht daraus Glück. Dieser Mechanismus nutzt der Marktwirtschaft. Privater Wohlstand sorgt aber auch für soziale Sicherheit und mehr Bildung für die gesamte Gesellschaft. Eine These.

Für Ökonomen hat sich die Frage nach dem Glück lange Zeit überhaupt nicht gestellt. Und das aus gutem Grund. Wir leben in einer Welt mit knappen Ressourcen, in der in der Regel weder der Einzelne noch die Gesellschaft als Ganzes alle Bedürfnisse stillen können. Den Mangel zu verringern, ist daher das Ziel, und das bedeutet für Ökonomen, die von Knappheit geprägte Welt ein klein wenig besser zu machen. Und wenn man sich umschaut, dann ist offensichtlich mehr besser als weniger. Studierende lernen, um später bessere Möglichkeiten zu haben, viele Menschen arbeiten bis zum Umfallen und Gewerkschaften kämpfen für höhere Löhne. Für sie alle ist mehr besser als weniger, denn mit höherem Einkommen hat man mehr Wahlmöglichkeiten. Mit mehr Geld kann man öfter in den Urlaub fahren oder öfter gut essen gehen. Es ist angenehm, am Ende des Monats nicht aufs Geld schauen zu müssen und zu wissen, dass man für den Notfall etwas zurückgelegt hat. Doch es sind nicht nur die rein materiellen Dinge, die wir uns mit mehr Geld gönnen können. Ein höheres Einkommen erlaubt es auch, öfter mal mit Freunden etwas zu unternehmen, sich gesünder zu ernähren oder sich mehr Zeit zu nehmen – zum Beispiel durch ein unbezahltes Sabbatical oder einen frühen Ruhestand. Und wer gerne anderen hilft, der kann mit mehr Geld auch mehr für karitative Zwecke spenden.

Der Streber Aus welchen Gründen auch immer – wer nach mehr Geld strebt, wird schon wissen, wofür er es später verwenden wird, und er wird nur dann danach streben, wenn er sich davon verspricht, sich besserzustellen, zufriedener zu werden oder glücklicher. Diese Schlussfolgerung treffen Ökonomen ohne zu wissen, was genau Menschen glücklich macht – und das ist der Grund, warum sich ihnen die Frage nach dem Wesen des Glücks lange Zeit überhaupt nicht gestellt hat.

Das Paradoxon Das hat sich grundlegend geändert – aufgrund einer bahnbrechenden Beobachtung: So zeigte sich in Umfragen, dass Menschen in der Regel zufriedener werden, wenn ihr Einkommen steigt, und dass reichere Menschen im Vergleich zu ärmeren Menschen zufriedener sind. Das ist für Ökonomen nicht überraschend. Überraschend war jedoch, dass wir als Gesellschaft trotz immer weiter anwachsenden Wohlstandes im Durchschnitt nicht zufriedener geworden sind. Dieser Widerspruch wird nach dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Richard Easterlin als Easterlin-Paradoxon bezeichnet. Um dieses Paradoxon aufzulösen, ist es notwendig geworden, sich einmal genauer anzuschauen, was den Menschen zufriedener macht.

Geld macht den glücklich, der sich fair behandelt fühlt

Der Vergleich Die Tatsache, dass wir uns gerne vergleichen, kann das Paradoxon erklären. So könnte es ja gut sein, dass Geld uns insbesondere dann glücklich macht, wenn wir mehr Geld haben als unsere Kollegen oder Nachbarn. Man stelle sich nur einmal vor, der Chef lobt die hervorragende Arbeit und als Krönung gewährt er eine außerordentliche Gehaltserhöhung von fünf Prozent. Wer würde da das Büro des Chefs nicht bestens gelaunt verlassen? Doch wie wird es einem ergehen, wenn man kurz darauf erfährt, dass ein Kollege gerade eine zehnprozentige Lohnerhöhung erhalten hat? Wahrscheinlich hat der Chef mit der fünfprozentigen Lohnerhöhung letztlich niemanden glücklicher gemacht und dem Kollegen hätte eine kleinere Lohnerhöhung auch genügt, um sich besser zu fühlen.

Die Perspektive Wenn ausschließlich der Vergleich zählt, dann müsste die traditionelle Sicht der Wirtschaftswissenschaft und damit die gesamte Wirtschaftspolitik radikal infrage gestellt werden. Denn wenn es im Wettbewerb nur darum geht, besser zu sein als andere, dann können Wettbewerb und steigender Wohlstand nicht glücklicher machen. Im Gegenteil: Dann ist Wettbewerb schädlich und Wirtschaftswachstum sinnlos. Um herauszufinden, ob diese These stimmt oder nicht, mussten Ökonomen sich auf einmal mit der Vermessung des Glücks befassen, und in der Tat haben sie unter tatkräftiger Mithilfe von Psychologen in den vergangenen Jahren viele wichtige Erkenntnisse gewonnen.

Der Einzelne Die Diskussion um das Easterlin-Paradoxon hat deutlich gemacht, wie bedeutsam relative soziale und ökonomische Positionen der Gesellschaft sind. Das alleine genügt jedoch nicht, um daraus eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum zu rechtfertigen. Zunächst einmal widerlegen neuere Erhebungen das Easterlin-Paradoxon. Sie zeigen, dass es durchaus einen deutlich positiven Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und dem Sozialprodukt gibt. Reichere Gesellschaften sind anscheinend doch zufriedener als ärmere Gesellschaften, wenngleich der Zuwachs an Lebenszufriedenheit mit steigendem Wohlstand immer kleiner wird. Darüber hinaus sollten wir vorsichtig sein, wenn wir die Antworten auf die Lebenszufriedenheitsfrage in unterschiedlichen Jahren miteinander vergleichen. So werden wir beispielsweise in den meisten Befragungen zur Lebenszufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn gebeten anzugeben, wie zufrieden wir mit unserem Leben, insgesamt betrachtet, sind. Offen bleibt dabei, was für uns null definiert und was zehn und inwieweit sich dieser Referenzrahmen im Zeitablauf ändert. Wenn sich im Zeitablauf unser Bild eines vollkommen zufriedenen Lebens ändert, dann hat sich vermutlich auch unser Referenzrahmen verschoben, und wir können dann nicht mehr viel darüber sagen, was es bedeutet, wenn wir auf einer Skala von null bis zehn vor zwanzig Jahren und heute immer acht angekreuzt haben. Drittens klammern die klassischen Studien zur Lebenszufriedenheit einen wichtigen Faktor des Wirtschaftswachstums aus, denn der Ausweis der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit einer Bevölkerung sagt uns ja nichts darüber, wie lange jeder einzelne zufrieden war.

Der Glücksjahre-Index Der niederländische Glücksforscher Ruut Veenhoven entwickelte daher einen Glücksindex, der Lebenszufriedenheit und Lebenserwartung kombiniert. Wer ein vollkommen glückliches Lebensjahr zusätzlich genießt, dessen Glücksjahre-Index steigt um einen Punkt, und wer für ein zusätzliches Jahr auf einer Skala von null bis zehn sieben angekreuzt hat, für den erhöht sich der Index entsprechend um 0,7 Punkte. Unser wachsender Wohlstand lässt uns immer älter werden, und die durch unseren Reichtum finanzierte bessere Gesundheitsversorgung hat es möglich gemacht, dass wir diese zusätzliche Zeit auch zu genießen wissen. Das zeigt sich in dem Glücksjahre-Index, der in den vergangenen dreißig Jahren für Europa einen Zuwachs von mehr als sechs Glücksjahren ausweist.

Der gesellschaftliche Nutzen Selbst die Erkenntnis der Glücksforschung, dass der Vergleich mit anderen für die Lebenszufriedenheit von großer Bedeutung ist, rechtfertigt noch keine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik. Wenn der Statuswettbewerb über Einkommen behindert würde, etwa durch hohe Steuern auf höhere Einkommen oder striktere Arbeitszeitregelungen, dann spricht vieles dafür, dass sich die Menschen ein neues Feld suchen werden, auf dem sie sich vergleichen, sei es im Wettbewerb um die meisten Freunde bei Facebook, sei es durch das Wetteifern um die besten Marathonlaufzeiten. Wenn sich der Statuswettbewerb nicht vermeiden lässt – und dafür spricht vieles –, dann sollten wir denjenigen Statuswettbewerb nicht unterdrücken, der die meisten positiven Nebeneffekte mit sich bringt. Es ist doch gerade die Dynamik der Marktwirtschaft, die sich aus dem Streben nach Reichtum speist, für privaten Wohlstand, Sicherheit, Gesundheit und eine höhere Lebenserwartung für den Einzelnen sorgt, und es einer Gesellschaft ermöglicht, für mehr soziale Sicherheit und mehr Bildung für mehr Menschen zu sorgen. In diesem Sinne bleibt das Credo der Ökonomen „Mehr ist besser als weniger“ weiterhin gültig. Entscheidend ist aber, was man aus den mit dem Mehr verbundenen Chancen macht.

Buchtipp

Buchtipp

Nach Ansicht der Autoren des Buchs „Measuring Happiness“ schafft das ökonomische Wachstum die Voraussetzung für den Ausbau des Sozialstaats. Damit widersprechen sie vielen der aus der Glücksforschung abgeleiteten wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen.

Joachim Weimann, Andreas Knabe, Ronnie Schöb: Measuring Happiness. The Economics Of Well-Being. MIT Press, Cambridge 2015, 224 Seiten, ca. 27 Euro

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