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Höhenflug vor Bauchlandung

Die französische Regierung will die Hochschulen stärken. Dafür verordnete sie Zusammenschlüsse und hat die Entwicklung einer Bildungsstrategie in Auftrag gegeben. Die liegt jetzt vor und formuliert große Ziele. Dabei klagen die Hochschulen schon jetzt über fehlende Mittel.

Bloß nicht abhängen lassen, international konkurrenzfähig bleiben: Diese in vielen Ländern verbreitete Sorge treibt auch die Bildungspolitik in Frankreich an. Es müssen Akademiker her – so steht es in der Hochschulstrategie, die Anfang September an Präsident François Hollande übergeben wurde. Dem Hochschulgesetz von 2013 entsprechend haben 25 Professoren, Studierende, Verwaltungsmitarbeiter, Vertreter der Hochschulverbände und Akteure aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft zwei Jahre lang erarbeitet, wohin und wie sich die Bildungslandschaft Frankreichs entwickeln soll.

Die Ergebnisse stellen auf die „lernende Gesellschaft“ ab: Mehr junge Menschen eines Jahrgangs sollen einen Hochschulabschluss erwerben und promovieren, und der Anteil der Arbeiterkinder mit höherer Bildung soll steigen. Die Kommission mahnt moderne Unterrichtsmethoden und häufigeren Einsatz digitaler Technologien an, und sie kritisiert, dass die Studienbedingungen von der Finanzierung bis zur Flexibilität der Angebote weder den Bedürfnissen der Studierenden noch denen weiterbildungswilliger Berufstätiger entsprächen. Gefördert werden soll der internationale Austausch, vor allem innerhalb der EU; die Hochschulen sollen attraktiver werden für ausländische Studierende. 

Dass solche Ziele Kosten nach sich ziehen, ist den Verfassern der Bildungsstrategie klar. Deshalb beinhalten ihre Vorschläge, dass das Budget für Hochschulbildung und Forschung bis 2025 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwächst. Und tatsächlich könnte man meinen, dass dieses Ansinnen bei der Regierung auf offene Ohren stößt: Das Budget für Hochschulen und Forschung steigt 2016 um 347 Millionen Euro auf 23,25 Milliarden Euro an, wurde im Oktober gemeldet. Die Mehrausgaben kommen zum großen Teil den Hochschulen zugute, denen noch im vergangenen Jahr 100 Millionen Euro aus dem Etat gestrichen und durch Mittel aus ihren Rücklagen ersetzt wurden

„Dieselbe katastrophale Politik wie vorher“

Macht Präsident Hollande jetzt endlich wahr, worauf die Universitäten, die in Frankreich traditionell politisch eher links stehen, beim Machtwechsel 2012 gesetzt hatten? Sie hofften auf mehr Geld und Verständnis für ihre Anliegen – und wurden enttäuscht. „Die linke Regierung führt dieselbe katastrophale Politik wie vorher die rechtskonservative“, klagt Dr. Hervé Christofol, Generalsekretär der größten Gewerkschaft für Lehrende und Forschende, Snesup.

So wurde zwei Jahre nach der Wahl das Amt der Ministerin für Hochschulbildung und Forschung zum Amt einer Staatssekretärin umgewandelt und dem Bildungs- und Erziehungsministerium zugeordnet. Die betroffene Ministerin Geneviève Fioraso trat im März dieses Jahres zurück, vorgeblich aus gesundheitlichen Gründen. Das Amt blieb monatelang vakant, bis am 17. Juni Thierry Mandon neuer Staatssekretär für Hochschule und Forschung wurde.

Mandon gilt als pragmatisch und loy¬al gegenüber Präsident Hollande, ist allerdings kein ausgewiesener Experte für Hochschulpolitik. Die Frage ist, wie viel Gewicht er einbringen und wie viele eigene Akzente er in seinem Amt setzen kann – ihm bleiben schließlich nur noch eineinhalb Jahre. Hoch angerechnet in der Hochschulwelt wird ihm die Ankündigung, dass er das „außerordentliche Potenzial“ der Universitäten fördern wolle, die „in Frankreich nicht das Ansehen genießen, das ihnen gebührt“. Er hat erklärt, dem „demografischen Schock“ mit jährlich 30 000 bis 50 000 zusätzlichen Studenten begegnen zu wollen. Zur heiklen Frage der Finanzierung erklärte er, eine Verringerung des Budgets sei „weder wünschenswert noch vorstellbar“. Nun liegt auf ihm die Hoffnung der Forschenden und Lehrenden, dass er sich mit dieser Haltung bis zum Ende der Legislaturperiode durchsetzen kann.

Hauptproblem sei nämlich die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, sagt der Gewerkschafter Christofol. Notwendige Gebäudereparaturen würden aufgeschoben, Arbeitsverträge befristet und frei werdende Stellen blieben unbesetzt. Hollandes Versprechen, pro Jahr tausend neue Stellen an den Hochschulen zu finanzieren, ist Christofol zufolge wirkungslos geblieben, da gleichzeitig andere Stellen nicht neu besetzt werden konnten. „Zwischen 2012 und 2014 haben die Hochschulen 688 Vollzeitstellen verloren, während die Zahl der Studenten jährlich um mindestens 25 000 steigt“, so Christofol. Für die prekäre Lage wird vor allem die 2007 unter Sarkozy durchgeführte Autonomie-Reform verantwortlich gemacht.

Kompensationen bleiben aus

Die Hochschulen können seither zwar selbstständig über ihr Budget und Personal bestimmen. Zugleich klagen sie aber über unzureichende Mittel vom Staat, der steigende Kosten nicht kompensiere. „Man verlangt von uns, auf immer neue Herausforderungen zu antworten, wie die Aufnahme sozial schwacher Studenten, Kampf gegen Studienabbruch oder Forschung mit Unternehmen – ohne all die unvorhergesehenen Zusatzausgaben einzuberechnen, die vor allem mit den verstärkten Sicherheitsvorkehrungen aufgrund der Terrorgefahr zusammenhängen“, sagt Professor Dr. Jean-Loup Salzmann, Vorsitzender der Konferenz der Hochschulpräsidenten, „aber man gibt uns nicht genug Mittel dafür.“

Mit ähnlichen Argumenten reagierten die Hochschulgewerkschaften auf den Haushalt für 2016: Die Regierung solle die Infrastrukturmittel erhöhen, anstatt Projekte auszuschreiben. Es fehle eine Milliarde Euro, um die Einsparungen der vergangenen Jahre und die steigenden Studierendenzahlen auszugleichen. Die Kritik richtet sich gegen die neue Runde des Programms PIA – Programme d’investissement d’avenir, das 2016 mit zehn Milliarden Euro neu aufgelegt wird, aus deren Zinserträgen Projekte in der Bildung sowie in Forschung und Innovation ausgeschrieben werden sollen. Präsident Hollande begründete die Wiederauflage des Programms mit dem Ziel, Frankreich durch starke Hochschulen international wettbewerbsfähig machen zu wollen.

Konkurrenzfähige Einheiten

Dabei geht es um weitaus mehr als Etatfragen – die Regierung will die gesamte Hochschullandschaft umstrukturieren. Aus den kleinen, spezialisierten und ehemals von Paris aus gesteuerten Einrichtungen sollen große Einheiten werden, die auf dem globalen Bildungsmarkt konkurrieren und Partnerschaften mit ausländischen Universitäten schließen können. 2013 verpflichtete die Regierung deshalb die Universitäten, sich zu Verbünden zusammenzuschließen oder zu fusionieren. Sie hoffte auf Synergien und bessere Platzierungen bei internationalen Rankings.

25 Verbünde namens ComUE (Communautés d`universités et d`établissements) unterschiedlicher Struktur, Größe und Leistungsfähigkeit sind so entstanden. Ob sie die betreffenden Hochschulen stärken, ist umstritten. „Die Reform droht eher die bestehenden Ungleichgewichte zwischen den Einrichtungen zu vergrößern“, urteilt Christiane Schmeken, Leiterin der DAAD-Außenstelle in Paris. Die Bündelung veranschauliche allerdings, wie politisches Handeln in Frankreich funktioniere, so Schmeken: „Es handelt sich um ein sehr dirigistisches Vorgehen mit einer eher ordnungspolitischen Zielrichtung statt dem Effekt, Wettbewerb und Exzellenz zu fördern.“ In einer Umfrage des Barometers EducPros2015 begrüßte nur ein Drittel der befragten Hochschul-Angestellten die Reform. Eine Mehrheit beurteilte sie mit Skepsis.

Doch es gibt auch positive Stimmen. So sieht der Präsident der Universität Straßburg, Professor Alain Beretz, viele Vorteile in dem Zusammenschluss mit anderen Hoch¬ und Ingenieurschulen zu einer großen Volluniversität, an der nun 46.000 Studierende eingeschrieben sind. „Unsere Zusammenlegung vereinfachte die Verwaltung“, erklärt Beretz, „und sie ermöglicht eine klar definierte Identität vor allem gegenüber dem Ausland: Dass es vorher drei Straßburger Universitäten gab, war dort schlicht unbegreiflich.“

Schon unter Präsident Sarkozy hatte die Konzentration begonnen. Aus seinem Programm „Zukunftsinvestitionen“ entstand unter anderem die Exzellenzinitiative „Idex“ (Initiative d`excellence), mit der interdisziplinäre Forschungskooperationen an Universitäten gefördert wurden. Die jetzige Regierung führt das Programm weiter, derzeit läuft die Ausschreibung für die zweite Runde. Weiterhin können sich, ganz im Sinne der Strukturreform, ausschließlich Zusammenschlüsse bewerben. Zusammen mit dem zweiten Exzellenzlabel „Isite“ (Initiative science, innovation, territoires, économie) für Projekte mit wissenschaftlichen Schwerpunkten und Wirtschaftskooperationen stehen insgesamt die Zinserträge aus 3,1 Milliarden Euro Kapitalanlagen für die Hochschulförderung zur Verfügung.

Für den Verbund Sorbonne Universités, der zu den acht Hochschulverbünden der ersten Runde der Exzellenzinitiative gehört, scheint die Rechnung aufzugehen. Sorbonne Universités ist ein forschungsstarker Zusammenschluss von elf Institutionen im Großraum Paris, darunter drei Unis. Die zehnjährige Förderung in Höhe von jährlich rund 30 Millionen Euro erlaube es, die Interdisziplinarität noch auszubauen, erklärt Cornelia Marin, Direktorin für Internationales bei Sorbonne Universités. Eingesetzt würden die Mittel für neue Studiengänge, Forscherteams und die Infrastruktur. Marin sagt, der Zusammenschluss mache aus Sorbonne Universités eine international wettbewerbsfähige Volluniversität, die alle Fachrichtungen abdecke. „Eine multidisziplinäre Herangehensweise kann Studenten und Forscher besser auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme vorbereiten“, sagt Marin, „und sie ist auch eine angemessene Antwort auf die Erwartungen der Studenten, die von einspurigen Arbeitsweisen weggehen wollen.“

Eckpunkte der Bildungsstrategie

Eckpunkte der Bildungsstrategie

Mehr Absolventen
2025 sollen 60 Prozent eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss erwerben. Zurzeit sind es 44 Prozent.

Mehr Arbeiterkinder
2025 sollen ebenso viele Arbeiterkinder eine akademische Ausbildung erhalten wie Kinder von höheren Angestellten.

Mehr Promotionen
Derzeit gibt es knapp15 000 Promotionen pro Jahr; bis 2025 soll diese Zahl auf 20 000
steigen.

Mehr internationaler Austausch
Mit verbessertem Sprachunterricht soll die Zahl der Studierenden steigen, die Auslandssemester einlegen. Die Zahl ausländischer Studierender in Frankreich soll verdoppelt werden.

Mehr Geld
2025 soll das Budget für Hochschulbildung und Forschung auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Zurzeit liegt es bei 1,5 Prozent.

Internet: www.kooperation-international.de/detail/info/frankreich-nationale-hochschulstrategie-veroeffentlicht.html

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