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Wunsch und Wirklichkeit

Arbeiten in Teilzeit ist auch als Führungskraft möglich. Doch es gehört eine gehörige Portion Organisation und Abstimmung dazu, dass derartige Modelle nicht scheitern. Wie flexibles Arbeiten im Wissenschaftsbereich eingeführt und umgesetzt werden kann, erfahren Sie hier anhand einer Fünf-Phasen-Strategie.

In allen Bereichen des Arbeitslebens wird zunehmend Flexibilität gefordert. Dies gilt auch für die Gestaltung der Arbeitszeit. Es gibt eine breite Palette von ganz unterschiedlichen Arbeitszeitregelungen. Zum einen kann das im Interesse von Arbeitgebern liegen, um insbesondere Arbeitsorganisation und Arbeitsabläufe zu optimieren. Zum anderen geht aber auch von den Beschäftigten der Wunsch nach Arbeitszeitflexibilisierung aus. Besonders höherqualifizierte Beschäftigte mit eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung möchten individuelle zeitliche Dispositionsspielräume nutzen, um einerseits ihre berufliche Tätigkeit so effizient wie möglich zu gestalten, andererseits auch, um ihre verschiedenen Bereiche des Berufs- und Privatlebens besser miteinander in Einklang zu bringen.

In der praktischen Umsetzung ergeben sich gleichwohl unterschiedliche Akzentuierungen der einzelnen Interessen. Diese auszugleichen und einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen, ist eine wichtige Aufgabe von Arbeitszeitmanagement. Gelingt das heute zunehmend besser, so ist insbesondere Führung in Teilzeit (FiT) immer noch die Ausnahme. Untersuchungen zeigen aber, dass auch im Leitungsbereich immer wieder der dringende Wunsch von Führungskräften besteht, mehr Arbeitszeitflexibilität zu erleben. Neben herausfordernden Tätigkeiten und großer Verantwortung im eigenen Arbeitsbereich wird dies von Frauen wie von Männern als besonders wichtig bezeichnet.

Gefordert sind deshalb innovative und flexible Arbeitszeitmodelle im Rahmen von lebensphasenorientierter Personalpolitik – auch in Führungspositionen im Kanzleramt, bei Dezernats¬ und Abteilungsleitungen, Leitung von Sprachen- oder Medienzentren im privaten wie öffentlichen Hochschulbereich, bei Großforschungseinrichtungen wie wissenschaftlichen Stiftungen. Grundsätzlich sind sie alle teilzeitfähig. Doch FiT-Wunsch und FiT-Wirklichkeit stimmen oft nicht überein.

30 bis 40 Prozent der Männer in Führung wünschen sich flexible Arbeitszeitmodelle

Mögliche Hinderungsgründe

Warum finden sich jedoch in der Praxis nach wie vor relativ wenige Beispiele von Führen in Teilzeit – auch im Wissensbereich? Gründe gibt es viele. So wird zum Beispiel immer wieder behauptet, (männliche) Führungskräfte würden Führen in Teilzeit doch gar nicht wünschen. Anonyme Befragungen im gleichen Personenkreis ergeben jedoch, dass sich heute in der Regel 30 bis 40 Prozent der Männer flexible, vollzeitreduzierte Arbeitszeitmodelle zumindest für bestimmte Lebenssituationen und -phasen auch für sich selbst vorstellen können und wünschen. Das gilt allerdings überwiegend nur dann, wenn sie dadurch keine beruflichen Nachteile befürchten müssen.
Beliebte Modelle

Aus der Vielzahl der FiT-Arbeitszeitmodelle werden hier zwei typische dargestellt:

1. Reduzierte Tages-, Wochen-, Monats-, Jahresarbeitszeit
Im Führungsbereich ist eine klassische Halbtags-Vormittags-Arbeitszeit eine zu starre Arbeitszeitregelung und oft weniger geeignet als eine vollzeitnahe Beschäftigung, basierend auf einem achtzig- oder neunzigprozentigen Arbeitszeitbudget (Teilzeit in Form reduzierter Vollzeit, vollzeitnahe Teilzeitarbeitsplätze). Dann kann die Arbeitszeit zum Beispiel regelmäßig (Montag bis Freitag je sechs Stunden) oder unregelmäßig (unterschiedliche Arbeitszeit: Montag sechs Stunden, Dienstag sieben Stunden, Mittwoch fünf Stunden etc.) oder  als Vier-Tage-Woche vereinbart werden.

Sehr häufig ist es Führungskräften aber nicht möglich, die Aufgaben – selbst bei großzügiger Gleitzeitregelung – immer in diesem fest vorgegebenen Zeitraster zu erfüllen. Insofern wird hier große Flexibilität im Rahmen einer weitestgehend selbstbestimmten Vertrauensarbeitszeit abverlangt. Außerdem wird oft die Forderung nach grundsätzlicher Erreichbarkeit via Handy und E-Mail zu erfüllen sein. Realistisch gesehen sollte man sich auf eine grundsätzliche Regelung mit bedarfsorientierter Flexibilität verständigen. In der Praxis eröffnet den größten Flexibilitätsspielraum eine Festlegung auf ein bestimmtes Arbeitszeitbudget in Kombination von fester und flexibler Teilzeit, auch mit Bürozeiten und Home-Office-/Telearbeitszeitregelungen. Die Führungskräfte setzen diese Konzepte eigenverantwortlich und in Abstimmung mit Vorgesetzten und Kollegen bedarfsorientiert um.

2. Job-Sharing
In diesem FiT-Teilzeitmodell teilen sich in der Regel zwei Führungskräfte als Gemeinschaft eine Führungsposition. Die Verteilung der Arbeitszeit zwischen beiden kann starr oder flexibel gehandhabt werden. Die Zeitanteile müssen auch nicht gleich groß sein. Intensive Abstimmungen erfordern auch stundenweise gemeinsame Präsenz und grundsätzliche Erreichbarkeit in dringenden Fällen sowie flexible Abweichung von der Grundsatzregelung bei Bedarf.

Phasen der Umsetzung zur Führung in Teilzeit

Der Erfolg von Teilzeitregelungen im Führungsbereich hängt wesentlich davon ab, wie fundiert der gesamte Prozess gestaltet wird. Es empfiehlt sich, den typischen Phasen eines Projektmanagements Schritt für Schritt zu folgen. Hier ist zu unterscheiden zwischen einer umfassenden zeitgemäßen FiT-Einführung und -Integration in die Personalpolitik und einem individuellen Einzelvorhaben. Bei einer umfassenden projektorientierten FiT-Einführung sollte wie folgt vorgegangen werden.

Phase 1: Information, Diskussion, Entscheidung
•Ankündigung des FiT-Projekts durch Dienststellenleitung
•generelle Informations- und Diskussions veranstaltungen zum FiT-Projekt. Teilnehmer sind Dienststellenleitung, Personalbereich,  Führungskräfte, Personalrat, Organisationsbereich, Gleichstellungsbeauftragte
•Themen: Ziele des FiT-Projekts, relevante  Zielgruppen, Vielfalt von Teilzeit-Modellen,  bisherige Erfahrungen, Chancen und Risiken,  praktische Vorgehensweisen
•Integration der Thematik in Fach- und  Führungsseminare
•Erhebung der Nachfrage und eventueller  Angebote
•Entscheidung für die Beteiligten am FiT-Pro jekt und Bekanntgabe durch Leitung
•Entwicklung einer FiT-Koordinationsstelle
•FiT-Weiterbildung

Phase 2: Situationsanalyse
•Benennung eines FiT-Projektteams und Start  des FiT-Projekts
• Festlegung von FiT-Position, Zielen,  Beteiligten
• Analyse bestehender Rahmenbedingungen  für den speziellen FiT-Einsatz (Gesetze, Verordnungen, Vereinbarungen, Personalrat,  Arbeitszeitregelungen, Zeiterfassung, Organisationskultur, Stellenplan, Personalstruktur,  Stellenvertretungsregelungen)
• vorhandene personalwirtschaftliche Instru mente einbeziehen (Auswahl, Beurteilung, Stellenbesetzung, Aus- und Weiterbildung,  Budgetgestaltung und -verwaltung)
• bisherige Teilzeit-Erfahrungen, generell und  speziell im Führungsbereich, im gewählten FiT-Projektbereich begutachten
• EDV-Check für den Einsatz von Informati onstechnologien, Vernetzung, Arbeitsort-Flexibilität (Home-Office, virtuelles Büro)
• Vorauswahl relevanter FiT-Modelle

Phase 3: Konzeption
• Diskussion über Anforderungsprofile, Aufga benverteilung und Federführung, Stellenbewertung, neue Organisationsstruktur, neue  Prozessabläufe, Zeitmanagement, Stellenvertretung, Schnittstellen, Konflikthandhabung,  Kommunikation und Abstimmungsmöglichkeiten
• Kompatibilitäts-Check der ausgewählten  relevanten FiT-Modelle
• Abwägung Kosten-Nutzen/Nutzwertanalyse,  Grenzen/Möglichkeiten, Chancen/Risiken
• Ranking der relevanten FiT-Modelle
• FiT-Aktionsplan für konkrete Umsetzung  (wer was wie übernimmt)
• Abstimmung mit Leitung, Personal- und Or ganisationsbereich, Arbeitnehmervertretung
• FiT-Vertragsgestaltung (Inhalt, Laufzeit,  Arbeitszeitregelungen, Veränderungsmöglichkeiten, Vergütung, Urlaubsregelungen, Rück kehrmodalitäten zur Vollzeit)

Phase 4: Umsetzung
• endgültige Entscheidung über FiT-Modell und  Bekanntgabe im Team
• Detailinformation über gewähltes Modell,  Aktionsplan zur Einführung
• FiT-Schulung des Teams
• Start und Moderation der FiT-Einführung
• Qualifikationsmaßnahmen (bei Delegation  von Aufgaben)
• Führen eines FiT-Tagebuchs für den Fall von  Konflikten
• Diskussion kritischer Ereignisse und über Ziel erreichung und eventuell Anpassungen der Einführungs- und Umsetzungsschritte
• FiT-Beratung, -Coaching, -Prozessbeglei tung

Phase 5: Evaluierung
• mitlaufendes Monitoring der Projektumset zung sechs bis zwölf Monate nach dem Start
• Diskussion der Ergebnisse und Ereignisse mit  Planung/Realisierung eventuell erforderlicher Anpassungsmaßnahmen
• Erfahrungsbericht/Good Practices Pool
• Transfer guter Erfahrungen zu anderen FiT- Projekten
• Empfehlungen für Vorgehen bei eventueller  Rückkehr zur Vollzeit, für Wechsel der Job-Sharing-Personen, für Konfliktmanagement,  für Nutzung von Informationstechnologien, für Wege zur Veränderung von Rahmenbedingungen

Dieser Maßnahmenplan bezieht sich – wie eingangs erwähnt – auf umfassende FiT-Einführungen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Großforschungseinrichtung mit 30-40 regional verstreuten Instituten FiT einführen will. Der Aufwand mag als sehr umfangreich erscheinen. Im konkreten Fall ist sicherlich aus der umfassenden Tätigkeitsliste eine Auswahl zu treffen. Andererseits zeigt die Praxis, dass der Grund für ein Scheitern oft im unsachgemäßen Umgang mit dem Thema zu finden ist. Handelt es sich um Einzelfälle, ist der Aufwand erheblich geringer. Er konzentriert sich hauptsächlich auf Aktivitäten der dritten bis fünften Phase und die relevante Teilzeitfamilie. Ein Rundum-Check ist aber immer unabdingbar. Erfahrungen zeigen, dass hier in zwei bis drei Arbeitssitzungen das geeignete FiT-Modell abgesprochen werden kann.

Chancen und Risiken

Bei der Einführung von Führen in Teilzeit sind im Einzelfall Chancen und Risiken zu beachten und abzuwägen. Treffen sie tatsächlich zu und in welchem Umfang? Sie sind im konkreten Fall hauptsächlich Anlass für weitere Überlegungen, Feineinstellungen und Verbesserungen. Hier ist ein Monitoring des jeweiligen FiT-Modells (unmittelbare systematische Erfassung, Beobachtung und Überwachung des gesamten FiT-Prozesses) von besonderer Bedeutung, da nicht alle Risiken schon bei der Konzeption und beim Start des FiT-Modells vorhanden und/oder erkennbar sind.

Fazit

Die Flexibilisierung der Arbeitswelt auch im wissenschaftlichen Bereich ist unbestritten eine Strategie, die sowohl wirtschaftliche als auch soziale Ziele erreichen lässt. Sie kann dabei alle Beteiligten zu einer Win-win-Situation führen. Hierzu muss sich jedoch besonders die obere Führungsebene den Herausforderungen engagiert und vorurteilsfrei stellen.

Es wird ohne eine Offenheit für eine flexible und selbstverantwortliche Führungskultur keine nachhaltigen Erfolge geben. Führungskräfte sind also in einer Doppelrolle angesprochen: als Promotoren von Führen in Teilzeit und/oder als Nachfragende von Führen in Teilzeit für die eigene Person.

Die Autoren:

Prof. Dr. Désirée H. Ladwig
vertritt Personalführung und Internationales Management an der FH Lübeck und leitet dort zusätzlich das Career Development Center (CDC).
Internet: www.fh-luebeck.de

 

 

 

 

Prof. Dr. Michel E. Domsch
arbeitet am Institut für Personal und Arbeit an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und leitet dort das  Management Development Center (MDC).
Internet: www.hsu-hh.de/domsch

 

 

 

 

 

Literaturtipps

Literaturtipps

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.): Teilzeit für Fach- und Führungskräfte. Handbuch für Personalverantwortliche und Führungskräfte. Stuttgart 1999

Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen des Landes Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Führen in Teilzeit – und es geht doch. Mainz 2011

BMFSFJ (Hrsg.): Führungskräfte und Familie. Wie Unternehmen Work-Life-Balance fördern können. Ein Leitfaden für die Praxis. Berlin 2008

Hipp, Lena; Stuth, Stefan: Management und Teilzeit? Eine empirische Analyse zur Verbreitung von Teilzeitarbeit unter Managerinnen und Managern in Europa. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 2013, Vol. 65 Issue 1, S. 101-128

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