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Mensch, ärgere dich!

Selig sind die Friedfertigen. Tatsächlich? Manchmal ist es besser, Dampf anzulassen und sich nach Herzenslust zu ärgern. Forscher ergründen, woher das Gefühl kommt, was es mit uns macht – und warum wir ihm im Job durchaus manchmal mehr Raum geben sollten.

Paradoxerweise ist gerade in der besinnlichen Adventszeit der Ärger auch im Hochschulalltag häufiger präsent. Viele fühlen sich im Stress, weil der Arbeitsanfall vor Weihnachten größer ist als sonst: Abgabetermine, Klausuren, Anträge und dann streikt auch noch die Technik im Hörsaal. Steigt das Stressempfinden, dann ist bei vielen die Zündschnur kürzer als sonst und sie explodieren schon bei geringem Anlass. Doch was ist besser: Dampf ablassen, sich ärgern nach Herzenslust oder beherrscht bleiben? Psychologen kommen hier zu ganz unterschiedlichen Antworten.

„Grundsätzlich ist Ärger ein gesundes Gefühl“, sagt Prof. Dr. Verena Kast, ehemalige Psychologie-Professorin an der Universität Zürich und heutige Präsidentin des C. G. Jung-Instituts in Zürich. „Ärger entsteht, wenn jemand über meine Grenzen geht oder nicht zulässt, dass ich meine eigenen Grenzen erweitere“, definiert die Wissenschaftlerin, „Ärger lässt sich gut nutzen, um zu erkennen, was falsch läuft. Man spürt Energien, um etwas zu verändern.“

Frisst man den Unmut ständig in sich hinein und unterdrückt ihn, werden Stresshormone und Neurotransmitter ausgeschüttet, die nicht gleich wieder abgebaut werden. „Die Folge ist eine anhaltende Aktivität im limbischen System im Gehirn, speziell in der Amygdala, wo es die meisten Rezeptoren für Stresshormone gibt“, sagt der Hirnforscher Prof. Dr. Hans Markowitsch von der Universität Bielefeld, „dies kann wiederum zu chronischen Veränderungen auf Hirn¬ und Verhaltensebenen führen.“ Depressionen und andere psychische Erkrankungen drohen.

Lässt man seinem Verdruss allerdings  freien Lauf, ist es auch nicht gesund. Die damit verbundene körperliche Stressreaktion lässt den Blutdruck und die Pulsfrequenz hochschnellen. Die körperliche Antwort auf eine Notfallsituation hat durchaus einen Sinn, wenn es ums Überleben geht und alle physiologischen Ressourcen für einen Kampf oder eine Flucht mobilisiert werden. Aber: Geht es immer nur um kleinere Ärgernisse, in die wir uns hineinsteigern, wie schmutzige Kaffeetassen der Kollegen in der Spüle der Büroküche, kann dies das Risiko von Herzkreislaufproblemen steigern. „Es gibt viele Untersuchungen, die belegen, wie toxisch Ärgergefühle für das Herz und die ganzen inneren Organe sind“, sagt Dr. Georg Eifert, ehemaliger Direktor der Abteilung für Psychologie an der Chapman University in Kalifornien.

Doch nicht das Ärgergefühl an sich sei das Problem, sondern der Umgang damit. Dazu hat Georg Eifert eine Akzeptanz- und Commitment-Therapie entwickelt. Sein Rat: Die Empörung nicht unterdrücken, sondern zulassen und nichts tun, außer die eigenen negativen Bewertungen zu beobachten – und somit eine gewisse innere Distanz zu ihnen aufbauen. „Der bewertende Gedanke, der den Ärger auslöst, gehört zwar zu mir. Ich muss aber nicht total mit ihm verschmelzen und gewissermaßen zu ihm werden“, sagt Eifert, „eigentlich muss man das Gegenteil dessen tun, was einem das Ärgergefühl sagt.“ Die Katharsis-Funktion des Auslebens dieser Gefühle sei ein Mythos und die Ratschläge, die man in den 1970er-Jahren erteilte, etwa auf ein Kissen einzuschlagen, seien Unsinn. „Solange Sie sich ärgerlich verhalten, führen Sie Ihrem Körper den ganzen biochemischen Unrat zu“, sagt Eifert.

Doch leichter gesagt als getan, wenn das rumstehende Dreck-Geschirr der Kollegen einem einfach immer wieder ein Dorn im Auge ist. Für den Psychologen und Karriereberater Christoph Burger ist dies ein gutes Beispiel, um darüber nachzudenken, was hinter dem Ärger über das ungespülte Geschirr stecken könne. Sein Ansatz ist es, Ärger und Wut in positive Energien umzuwandeln und am Arbeitsplatz für sich zu nutzen: „Vielleicht sagt mir die Kaffeetasse, dass ich mich im Team nicht wertgeschätzt fühle und nur den Dreck für andere wegräume.“ Der Ärger sei hier durchaus ein Hinweisgeber für die eigenen Bedürfnisse, die man dann konstruktiv angehen könne. Wenn es tatsächlich um die schmutzige Tasse gehe, könne ein nicht-aggressives Feedback, sprich ermahnende Worte an den Kollegen, seine Tasse zu spülen, hilfreich sein. Formuliert man seinen Unmut anderen gegenüber, sollte man sich nicht beschwichtigen lassen nach dem Motto: „So schlimm ist es doch gar nicht“. Zu schnell sollte man seine eigene Position nicht verlassen. „Wir haben ein Recht auf eigene Emotionen und Wahrnehmungen“, sagt Burger. Aber: „Ein klärendes Gewitter kann auch mal gut sein“, sagt Verena Kast. Jedoch: „Wenn es uns gelingt, den Ärger menschlich zu formulieren, dann haben wir die größte Chance, dass man miteinander ins Gespräch kommt und nicht den Eindruck bekommt, man würde sich am liebsten duellieren“, sagt sie.

Wo Wut und Ärger geäußert werden dürfen, arbeiten die kreativeren Teams, ist Christoph Burger überzeugt, während Harmoniesucht dazu führe, dass man sich nicht um die besseren Lösungen streitet. Oftmals weisen die Querulanten auf blinde Flecken im Unternehmen hin. Wut führt hier zu positiven Veränderungen. Wer durch eine emotionale Krise geht, in der sich Wut und Verzweiflungsphasen abwechseln, kommt oft auf neue Ideen, sagt Burger. Ein Konzept funktioniert nicht und wird zerrissen – dann folgt der Neubeginn. Möglicherweise sind so die größten Entdeckungen in der Wissenschaft entstanden.

Die Persönlichkeit, ob sich jemand schnell aufregt oder eher gelassen bleibt, spielt in jedem Fall eine wichtige Rolle. Wieviel davon angeboren ist und wieviel anerzogen, lässt sich dabei schwer trennen. Die emotionale Impulskontrolle und auch das individuelle Gerechtigkeitsempfinden sind entscheidend. „Wie in jeder Familie gibt es auch Teams, wo man den Ärger kaum formuliert, und andere Teams, wo schnell einmal jemand platzt“, sagt Verena Kast.

Das Problem unter Forschern ist meist ein anderes. „Die Berufskrankheit vieler Wissenschaftler ist, dass sie ein riesiges Ego haben“, sagt Eifert. Wenn man sich mit der eigenen Rolle, die man an der Universität spielt, vollkommen identifiziere, scheint man zu dem Titel, den man trägt, zu werden. Eine gesunde Distanz zu sich selbst und allen Titeln sowie eine gute Portion Humor seien oft der wahrhaftige Ärger-Killer. „Man kann die negativen Gedanken ja haben. Sie lassen sich auch zumeist nicht vermeiden. Aber wir brauchen nicht alles, was wir denken, auch wirklich zu glauben und entsprechend zu handeln“, sagt Eifert.

Wer schnell innerlich die Messer wetzt, kann versuchen, seine Aufregung zu mindern, indem er sich der Motive des Gegenübers bewusst wird. Ist er oder sie gerade in einer kreativen Ideenfindungsphase und vergisst deshalb die Kaffeetassen um sich herum? Wer weiß, dass dies eine vorrübergehende Phase der Person ist, kann nachsichtiger sein und der Ärger verfliegt schneller wieder. Sobald wir aber annehmen, dass der Andere aus böser Absicht handelt, ist der Groll intensiver. Jedoch unterstellen wir manchmal auch vorzeitig andern etwas, ohne zu überlegen, ob es vielleicht noch ganz andere Motive gibt.

Literatur-Tipps

Literatur-Tipps

Dr. Verena Kast beschreibt in ihrem tiefenpsychologischen Buch, wie der Ärger in eine produktive Auseinandersetzung führen kann:
„Vom Sinn des Ärgers“
Anreiz zur Selbstbehauptung und Selbstentfaltung. Verlag Herder, Freiburg 2012, 256 S., 9,99 Euro

Wie man Ärger am Arbeitsplatz in positive Energien und konstruktives Engagement umwandeln kann, erklärt Berater Christoph Burger kurz und kompakt:
„Change – Wut in positive Energie umwandeln“
Verlag C.H.Beck, München 2009, 256 S., 6,80 Euro

Wutanfälle sind oft überflüssig und für alle Beteiligten peinlich, sagt Wissenschaftler Georg Eifert. Er empfiehlt in seinem Buch, mit Ärgergefühlen umgehen zu lernen:
„Mit Ärger und Wut umgehen“
Der achtsame Weg in ein friedliches Leben mit Akzeptanz- und Commitmenttherapie. Verlag Hans Huber, Bern 2013, 248 S., 22,95 Euro

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