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Wenn es nach Alkohol riecht

Was tun, wenn ein Mitarbeiter morgens mit Fahne zur Arbeit kommt, seine Pflichten schleifen lässt, unentschuldigt fehlt? Der Lebenswandel der Beschäftigten geht den Chef aus gutem Grund nichts an. Wenn unter dem Alkoholkonsum aber die Arbeit leidet, muss er handeln. Dabei sollte er durchdacht und in mehreren Schritten vorgehen.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Arne S. war vor sechs Jahren nach dem Masterabschluss in sein erstes Forschungsprojekt eingestiegen. Mit viel Engagement in der Laborarbeit hatte er wesentlich dazu beigetragen, dass ein fünfjähriges Anschlussprojekt genehmigt wurde. Hier setzte er seine Arbeit auf einer Promotionsstelle fort und veröffentlichte drei bedeutsame Artikel. Seit circa einem Jahr allerdings macht seine Arbeit kaum noch Fortschritte. Wichtige Deadlines hat er versäumt, im Labor unterliefen ihm schwere Fehler und im Team sowie bei den Projektpartnern stieg die Unzufriedenheit. Arne S. fehlt in der letzten Zeit häufiger unentschuldigt und wirkt zunehmend verschlossen, müde, deprimiert. Die Kollegen haben eine starke Alkoholfahne gerochen.

Der Projektleiter und der direkte Vorgesetzte müssen handeln. Erstens zeigt Arne S. eine Veränderung, die Anlass zur Sorge und damit für ein fürsorgliches Gespräch bietet: Er könnte ein Alkoholproblem haben. Zum Zweiten liegen Verfehlungen vor, die ein Kritik- und Klärungsgespräch verlangen. Und drittens stellt sich die Frage, ob die Arbeitssicherheit gewährleistet ist bei einem Mitarbeiter, der möglicherweise ein Alkoholproblem hat.

Für den Arbeitgeber geht es nicht darum, eine Diagnose zu stellen. Die Frage einer Suchterkrankung ist zunächst einmal Privatsache. Der Arbeitgeber hat kein Anrecht, über Krankheitsdiagnosen informiert zu werden. Anlass zur Intervention bildet also nicht eine mögliche Alkoholabhängigkeit. Erforderlich wird die Intervention wegen der Fehler und Verhaltensauffälligkeiten während der Arbeit. Dabei lassen sich drei Formen der Intervention unterscheiden:

  • 1. Intervention bei Gefährdungen der Arbeitssicherheit
  • 2. Frühintervention
  • 3. gestufte Intervention bei suchtbedingten Verhaltensauffälligkeiten.

1. Gefährdung der Arbeitssicherheit

Beschäftigte dürfen sich „durch den Konsum von Alkohol, Drogen oder anderen berauschenden Mitteln nicht in einen Zustand versetzen, durch den sie sich oder andere gefährden können“. Das schreiben die Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (BGV) in Paragraf 15 vor. Das gilt explizit auch für Medikamente. In Ergänzung hierzu dürfen Unternehmer Beschäftigte, „die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen“ (BGV A1 §7).

Wenn Arne S. mit einer Alkoholfahne ins Labor kommt, müsste der Projektleiter also entscheiden, ob die Arbeitsfähigkeit in einem sicherheitsrelevanten Maße eingeschränkt ist – auch wenn keine direkten Ausfallerscheinungen festzustellen sind. Falls der Projektleiter dieses bejaht, darf Arne S. nicht weiterarbeiten. Der Projektleiter ist dabei nicht verpflichtet, dies in irgendeiner Art und Weise zu beweisen. Laut gängiger Rechtsprechung genügt der sogenannte „Beweis des ersten Anscheins“. Betrieblich sollte der Ablauf als Handlungsrichtlinie für die Führungskräfte mit den folgenden Schritten schriftlich fixiert sein:

Bei Verdacht hat die Führungs kraft zu entscheiden, ob der Mitarbeiter arbeitsfähig ist.
Die Führungskraft hat auch Hinweisen aus dem Kreis der anderen Beschäftigten nachzugehen.
Kriterium für die Entscheidung zur Frage der Arbeitsfähigkeit sind die allgemeine Lebenserfahrung und der Beweis des ersten Anscheins.
Die Führungskraft sollte mindestens eine Person als Beweishilfe hinzuziehen.
Der betroffene Beschäftigte hat die Möglichkeit, einen ärztlichen „Gegenbeweis“ hinsichtlich der Frage seiner Arbeitsfähigkeit einzuholen.
Wird der Beschäftigte nach Hause geschickt, trägt der Arbeitgeber die Verantwortung für einen sicheren Heimweg.
Die Kosten für den Heimtransport hat der betroffene Beschäftigte zu zahlen.
Wegen des Verstoßes gegen die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen wird für diesen Tag kein Arbeitsentgelt bezahlt.

2. Frühintervention

In einer frühzeitigen Intervention kann der Vorgesetzte verdeutlichen, dass Auffälligkeiten wie Terminversäumnisse, Laborfehler, unentschuldigtes Fehlen oder Veränderungen im persönlichen Verhalten ernstgenommen werden und Fehlverhalten nicht bagatellisiert wird. Zu einem frühen Zeitpunkt kann der jeweilige Mitarbeiter sein Verhalten noch ohne Gesichtsverlust korrigieren und verändern. Anlässe zur Frühintervention ergeben sich im betrieblichen Alltag unter anderem in folgenden Fällen:

  • Verstöße gegen betriebliche Regelungen (zum Beispiel gegen das Alkoholverbot)
  • akute Gefährdung der Arbeitssicherheit
  • Störungen am Arbeitsplatz und im Betriebsablauf
  • Konflikte und Störungen im kollegialen Miteinander
  • Auffälligkeiten im Arbeits- und Leistungsverhalten
  • Auffälligkeiten im Erscheinungsbild und Auftreten.

Solche Auffälligkeiten können verschiedene Ursachen haben: Befindlichkeitsstörungen, persönliche Lebenskrisen, Medikamentengebrauch, Konflikte am Arbeitsplatz, ein riskanter Drogenkonsum.

Bei frühem Eingreifen ist es für die Vorgesetzten oftmals noch nicht erkennbar, was die wirklichen Ursachen sind. Sie zu erkennen, ist auch nicht erforderlich, weil es zunächst nur darum geht, die konkreten Auffälligkeiten anzusprechen und Hilfe anzubieten.

Die „Qualitätsstandards zur betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (Wienemann, Elisabeth / Schumann, Günter. 2011. 2. aktual. + erw. Aufl. www.sucht-am-arbeitsplatz.de) zeigen auf, wie eine frühzeitige Ansprache möglich ist, selbst wenn noch kein konkretes Fehlverhalten vorliegt. Dabei wird differenziert zwischen Fürsorgegespräch und Klärungsgespräch.

Fürsorgegespräch
Eine Führungskraft kann ein Fürsorgegespräch führen, wenn sie ein verändertes Verhalten bei einem Mitarbeitet beobachtet und fürchtet, dass er deswegen in Zukunft seine arbeitsvertraglichen oder dienstrechtlichen Pflichten vernachlässigen könnte. Das Fürsorgegespräch hätte bei Arne S. in einem Stadium geführt werden können, als bereits erste Veränderungen in seinem Arbeitsverhalten und seinem Erscheinungsbild auffällig wurden. Das Fürsorgegespräch vermeidet jeden disziplinarischen Charakter. In einem solchen Gespräch werden die Veränderungen konkret angesprochen. Die Führungskraft fragt nach, ob sie mit der Arbeitssituation zusammenhängen und ob der Mitarbeiter Unterstützung wünscht.

Klärungsgespräch
Anders ist die Ausgangssituation im sogenannten Klärungsgespräch. Hier liegen eindeutige Pflichtvernachlässigungen vor. Das sind bei Arne S. zum Beispiel die Terminversäumnisse, die Fehler in der Laborarbeit, das unentschuldigte Fehlen. Diese Verfehlungen anzusprechen soll zum einen sicherstellen, dass der Mitarbeiter künftig seine Pflichten erfüllt. Insoweit ist das Klärungsgespräch einem Kritik¬ oder Personalgespräch ähnlich.

Darüber hinaus dient das Gespräch der Artikulation von Sorge über die Veränderung, dem Versuch der Klärung des Grundes und dem Hinweis auf mögliche Hilfe¬ und Unterstützungs-angebote. Im Klärungsgespräch formuliert die Führungskraft die zukünftigen Erwartungen, konkrete Schritte werden vereinbart, ein Rückmeldegespräch wird festgelegt. Auch der Hinweis auf Sanktionen sollte nicht fehlen.

Ist klar, dass der Mitarbeiter trinkt? Dann sollte es eine gestufte Intervention geben

Weder Fürsorgegespräch noch Klärungsgespräch sind Teile des Interventionsstufenplanes. Sie können diesem vorgeschaltet sein.

3. Die gestufte Intervention

Ein Interventionsstufenplan ist immer dann nötig, wenn Auffälligkeiten am Arbeitsplatz oder die Verletzung arbeitsvertraglicher oder dienstrechtlicher Pflichten mit Substanzgebrauch oder mit suchtbedingtem Verhalten zusammenhängen. Er setzt eine Pflichtenverletzung und/oder die Störung des Arbeitsklimas voraus sowie konkrete Hinweise oder einen begründeten Verdacht auf ein Suchtproblem.

Bei Arne S. zum Beispiel liegen eindeutig Pflichtverstöße vor. Außerdem gibt es Veränderungen auf der Ebene des persönlichen und gesundheitsbezogenen Verhaltens, die Anlass zur Sorge geben. Hinzu kommt die Alkoholfahne. All dies deutet auf ein Alkoholproblem hin. Ohne diesen Sachverhalt diagnostizieren zu wollen oder absolute Klarheit zu haben, sollte die Problematik in der ersten Stufe durch den Projektleiter angesprochen werden.

Die Intervention soll dazu dienen, dass der Mitarbeiter seine Pflichten wieder erfüllt und sein Suchtverhalten ändert, um langfristig die Arbeitskraft zu erhalten. Die Gespräche im Rahmen der gestuften Intervention sind also geprägt durch Sanktionen, aber auch durch eindringlich dargebotene Hilfeangebote.

Wichtig dabei ist, dass der Arbeitgeber kein Anrecht hat auf abstinent lebende Beschäftigte, sondern nur auf das aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschuldete Verhalten. Auch die Hilfeangebote sind nur und ausschließlich Angebote. Der Arbeitgeber hat kein Anrecht darauf, dass ein Beschäftigter eine Beratungsstelle aufsucht oder eine Therapie macht. Verweigert der Mitarbeiter solche Hilfsangebote, darf das keine weiteren arbeitsrechtlichen Schritte zur Folge haben. Eine Ausnahme bilden hier die Beamten mit ihrem besonderen Treueverhältnis gegenüber ihrem Dienstherrn.

Würde es bereits nach einem ersten Vieraugengespräch des Projektleiters mit Arne S. zu keinen weiteren Pflichtverletzungen kommen, wäre eine weitere Intervention hinfällig. Andernfalls würde es in die zweite Gesprächsstufe gehen. Der Stufenplan sollte zwischen Arbeitgeber und Personalvertretung für das Vorgehen in den einzelnen Stufen konkret festgelegt werden, möglichst im Rahmen einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung.

Falls sich das Alkoholproblem von Arne S. bestätigt, könnte ihn der Projektleiter in einem frühen Stadium ermutigen, sich über Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Gemeinsam könnten sie überlegen, welche Unterstützung oder auch Entlastung Arne S. benötigt, um die Projektarbeit weiterzuführen.

Letztlich könnte auf diesem Wege eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten entstehen, in der Arne S. sein Alkoholproblem angeht und das Projekt erfolgreich abgeschlossen wird.

Literaturtipp und Fazit

Literatur
Ute Pegel-Rimpl, Substanzbezogene Störungen am Arbeitsplatz – eine Praxishilfe für Personalverantwortliche (Hrsg. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen; neueste Fassung Frühjahr 2011).
Online unter: http://tinyurl.com/k3wehdf

Fazit
Eine betriebliche Intervention ergibt sich ausschließlich aus Fürsorgegesichtspunkten oder wegen Pflichtverletzungen. Der Stufenplan ist ein Instrument, das auf der einen Seite betroffenen Beschäftigten einen größtmöglichen Freiraum für Verände-rungen, andererseits einen formaljuristisch korrekten Rahmen bieten soll. Ziel ist es, den Beschäftigten zu Veränderungen zu bewegen, die seine Arbeitskraft erhalten.

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