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Frischlinge im Labor

Sie unterstützen Wissenschaftler und schnuppern Universitätsluft: 78 Abiturienten leisten an der Medizinischen Hochschule Hannover ein freiwilliges wissenschaftliches Jahr. Ein Konzept, das bundesweit Schule machen könnte – und aus Fehlern lernt.

Wenn Andreas Haberer morgens seine Arbeit antritt, dann zieht der 20-Jährige einen weißen Kittel und blaue Handschuhe an, manchmal auch einen Mundschutz – und geht ins Forschungslabor. Haberer ist kein Student. Er absolviert nach dem Abitur ein sogenanntes freiwilliges wissenschaftliches Jahr (FWJ) – seit drei Jahren ein Modellprojekt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und ihren kooperierenden Forschungsinstituten.

Interessant daran: Was in Hannover auf Landesebene zu funktionieren scheint, ist in ähnlicher Form bundesweit gefloppt. Mit millionenschwerem Werbeaufwand hatte die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan ab dem Jahr 2009 versucht, junge Erwachsene für ein freiwilliges technisches Jahr zu gewinnen. Vergebens. Schavans Technikum blieb ein Ladenhüter und wurde von der sozialdemokratischen Opposition als teuerster Praktikumsplatz der Welt verhöhnt.

Nun soll es eine rot-grüne Neuauflage geben. Das FWJ, beflügelt durch die Hannoveraner Erfahrungen, soll gleichberechtigt neben anderen Diensten wie dem freiwilligen sozialen Jahr gelten. Die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen hat sich dafür Mitte Juni im Bundesrat mit einer Initiative stark gemacht. „Es ist wünschenswert, dass viel mehr Interessierte die Chance bekommen, in ein wissenschaftliches Berufsfeld zu schnuppern“, begründet Dr. Margit Kautenburger, zweite Pressesprecherin des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur den Vorstoß im Bundesrat (siehe Infokasten).

Allerdings soll aus Fehlern gelernt werden. Für das freiwillige wissenschaftliche Jahr sei nicht das Konzept von Schavan Vorbild, sagt Kautenburger, sondern die Jugendfreiwilligendienste. Schavan wollte damals Praktikumsplätze in Unternehmen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen fördern, Hochschulen war lediglich die Rolle als Kooperationspartnerinnen zugedacht. Außerdem neu: Mit der Änderung des Bundesgesetzes für Jugendfreiwilligendienste müsste nicht mehr jedes Bundesland Zulassungen erteilen, der bürokratische Aufwand würde also geringer, sagt Kautenburger.

Das Interesse scheint groß. „Einige Hochschulen sitzen schon in den Startlöchern und rufen bei uns an, um sich nach unseren Erfahrungen zu erkundigen“, sagt die Leiterin der Freiwilligendienste an der MHH, Nadine Dunker. „Hamburg startet bereits in diesem Jahr mit zwei FWJ-Plätzen.“ Der Präsident der Hochschulkonferenz, Prof. Dr. Horst Hippler, sieht das FWJ als gute Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, erste Einblicke in die Wissenschaft zu bekommen und mehr über die eigenen Neigungen und Fähigkeiten in Bezug auf das wissenschaftliche Arbeiten zu erfahren. Aber: „Die Länder müssen für den zusätzlichen Betreuungsaufwand aufkommen“, sagt Hippler. In Hannover übernimmt die Kosten der jeweilige Fachbereich, das sind pro Person zwischen 5000 und 6000 Euro im Jahr. Teilnehmer Haberer finanziert sich damit vor allem seine Miete, den Rest schießen seine Eltern zu.

Andreas Haberer ist einer von 78 Abiturienten, die an der Medizinischen Hochschule ein wissenschaftliches Jahr ableisten. Seit dem Start haben sich 200 Abiturienten aus ganz Deutschland beworben. Präsident Prof. Dr. Christopher Baum initiierte das Konzept 2011, um den auf einen Studienplatz wartenden Abiturienten des Doppeljahrgangs eine weitere Möglichkeit zur Überbrückung der Wartezeit zu bieten. Dabei war die jahrelange Erfahrung mit dem freiwilligen sozialen Jahr an den Kliniken hilfreich, und das Land erteilte die Zulassung. „Unsere Kernaufgabe ist, Bildung zu vermitteln und wissenschaftsbasiert auszubilden“, sagt Baum. Junge Leute, die sich etwa für ein Biochemie-Studium interessierten, erhielten so praktische Einblicke in ein spannendes Berufsbild.

„Der Praktikant wird voll ins Team integriert“

Dieses Ziel hatte auch Haberer: „Ich wollte nach dem Abi noch etwas Zeit haben, um die Praxis kennenzulernen.“ Nach einem Vorstellungsgespräch bekam er einen Platz am Twincore, einer gemeinsamen Einrichtung der MHH und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung. Nun arbeitet er in der Abteilung Gen- und Zelltherapie, wo Therapien gegen Krankheiten erforscht werden. Er putzt das Labor, bestellt und katalogisiert Reagenzien, pipettiert auch, kümmert sich um Vorrat an Zellen und versorgt diese mit Nährlösungen. „Der Praktikant wird voll ins Team integriert und übernimmt je nach Begabung auch kleinere Experimente“, erklärt sein Betreuer Prof. Dr. Michael Ott, Leiter der Abteilung. „Mir ist es wichtig, dass die FWJler im Labor auch Methoden lernen und nicht ausschließlich Hilfsarbeiten ausführen.“

Während Haberer Feuer für die Forschung gefangen hat, sieht ein anderer Teilnehmer die Arbeit im Labor eher ernüchternd. 201 Mal hat er denselben Versuch durchgeführt. „Es klappt sehr häufig nichts. Die Versuche müssen sehr oft wiederholt werden, um ein Resultat zu erhalten“, sagt Vincent Franke. Nach dem Jahr will er doch lieber direkt in der Klinik mit Patienten arbeiten und Medizin, vielleicht aber auch Architektur studieren. „Frustrationstoleranz und Ausdauer braucht man in der Forschung“, sagt Michael Ott. Somit erfülle das Jahr auch den Zweck, eine falsche Studienwahl zu verhindern.

Und so beschränkt sich die Gesetzesinitiative im Bundesrat nicht auf naturwissenschaftliche Fächer. „Denkbar sind auch Praktika in den Ingenieurwissenschaften, Sozial- oder Geisteswissenschaften“, sagt Baum.
Zwar begrüßen viele Stimmen den Vorstoß Niedersachsens im Bundesrat, jedoch nicht alle ohne Vorbehalt. „Es darf nicht dazu kommen, dass die zukünftigen FWJler als billige Arbeitskräfte zum Kopieren, Kaffee kochen und für Botendienste eingesetzt werden“, warnt etwa der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) der Universität Göttingen. Außerdem: FWJler dürften nicht die Aufgaben von regulär angestellten Hilfskräften und Mitarbeitern übernehmen. Auch sollten Kapazitäten aus den Studiengängen nicht für die Betreuung des Praktikanten abgezogen werden und damit Studienplätze verloren gehen oder sich die Betreuungssituation verschlechtern, wird gewarnt. Von solchen negativen Entwicklungen durch das freiwillige wissenschaftliche Jahr allerdings habe man in Hannover noch nichts gehört, sagt der dortige AStAVorsitzende David Beverungen.

Für Andreas Haberer hat sich das freiwillige wissenschaftliche Jahr jedenfalls gelohnt. Er hat sich definitiv für ein Biochemie-Studium entschlossen. Und er hat  ein Netzwerk knüpfen können, das er auch nach der Zeit in Hannover pflegen möchte. „Die Erfahrung im FWJ wird mir im Studium helfen“, sagt er.

Der Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf

  • Die Initiative sieht einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendfreiwilligendienstgesetzes“ vor. Das freiwillige wissenschaftliche Jahr (FWJ) soll als weitere Säule verankert werden in gemeinwohlorientierten Einrichtungen wie Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Es soll pädagogisch begleitet werden mit Seminaren, die soziale, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen vermitteln. Zugelassen werden alle Personen, die die Vollzeitschulpflicht erfüllt und das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
  • Der Antrag ist Mitte Juni vom Bundesrat zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen worden. Wann er wieder auf der Tagesordnung steht, ist offen. Sobald der Bundesrat dann eine Empfehlung abgegeben hat, leitet er den Antrag dem Bundestag zur Entscheidung weiter.
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