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Elitedünkel und Ellenbogen

Schätzungsweise jeder zweite Doktorand bricht ab. Nicht nur weil das Geld fehlt. Das Wissenschaftssystem selbst trägt dazu bei – durch Konkurrenzdruck, Leistungsdenken und Elitedenken. Eine Studie beleuchtet Gründe.

Christian Fischer (Name geändert) hat Sozialwissenschaften an einer renommierten Universität studiert und mit Bestnote abgeschlossen. Bereits während des Studiums arbeitet er als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl seines späteren Doktorvaters, als Tutor unterstützt er Studierende aus unteren Semestern. Forschung und Lehre machen ihm Spaß. Er ist bereit, sich den akademischen Herausforderungen zu stellen und die von Max Weber schon 1919 benannten Hazards, das heißt die Zufälle wissenschaftlichen Arbeitens, auszuhalten. Die Promotion nach Ende des Studiums erscheint da nur folgerichtig. Auf Empfehlung seines Professors bewirbt er sich erfolgreich um ein Stipendium und beginnt wenige Monate später motiviert mit der Arbeit.

Heute ist Christian Fischer nicht mehr in der Wissenschaft tätig. Er hat seine Promotion nach vier Jahren abgebrochen. Obwohl er alle Voraussetzungen mitbrachte und damit genau zu jenen „exzellenten Nachwuchswissenschaftler/innen“ gehört, „deren überdurchschnittliche Studien- und Prüfungsleistungen eine besondere Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit erkennen lassen“, ist es ihm nicht gelungen, seine Promotion erfolgreich zu beenden. Anders herum formuliert: Der Wissenschaft ist es offenbar nicht geglückt, diesen vielversprechenden Nachwuchswissenschaftler zu halten. Doch wie konnte es dazu kommen?

Die Anzahl der in Deutschland abgeschlossenen Promotionen ist in den vergangenen 20 Jahren mit leichten Schwankungen kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2012 wurden fast 27 000 Promotionen erfolgreich verteidigt. Laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) werden in Deutschland damit nach den USA jährlich die meisten Doktorgrade verliehen. Doch keiner weiß genau, wie viele Promovierende der Wissenschaft den Rücken kehren. Schätzungen zufolge wird nur jedes zweite oder sogar nur jedes dritte Promotionsvorhaben erfolgreich abgeschlossen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und in mancher Hinsicht wenig schmeichelhaft für den Wissenschaftsbetrieb.

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Für das Forschungsprojekt „Ausstieg Promotion?“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wurden 25 Promovierende aus verschiedenen Fachrichtungen interviewt, die ein Promotionsvorhaben nicht beendet haben. Diese Ehemaligen ausfindig zu machen, war zunächst schwieriger als gedacht, denn die Hochschulen erfassen ihre Promovierenden nicht automatisch. Promotionsabbrüche werden so kaum von offizieller Stelle registriert, die tatsächliche Anzahl ist unbekannt. Nur durch die Zusammenarbeit mit mehreren Organisationen, die Promovierende bei ihrer Arbeit unterstützen, gestaltete sich die Suche nach Teilnehmerinnen und Teilnehmern erfolgreich. Die Hauptdatenerhebung erfolgte mittels problemzentrierter Interviews, die durch Frageheuristiken im Sinne eines variablen Leitfadens strukturiert wurden.

Abbrüche kommen in allen Fachrichtungen vor

Der schiefe Elfenbeinturm

Promotionsabbrüche kommen in allen Fachrichtungen vor. Ob in einem Beschäftigungsverhältnis an einer Universität oder einem außeruniversitären Forschungsinstitut, in einem Promotionsstudiengang oder einer Graduiertenschule, mit einem Stipendium, haupt- oder nebenberuflich: Unabhängig von der Organisationsform werden Promotionsvorhaben überall in der Wissenschaft hoffnungsfroh begonnen und dann eher sang- und klanglos begraben. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, die in unterschiedlicher Weise zusammenwirken. Der eine Grund existiert offenbar nicht. Ebenso wenig lässt sich seriös ein Ereignis bestimmen, das ganz sicher zu einem Abbruch führen würde. Probleme, die nicht direkt zu einem Ausstieg führen, können weitere hervorrufen, die den Abbruch letztlich begünstigen. Nicht unerwartet spielen neben unzureichender Finanzierung, unsicheren beruflichen Perspektiven, mangelnder Betreuung und Problemen mit der Doktormutter oder dem Doktorvater auch die Unwägbarkeiten wissenschaftlichen Arbeitens, wie zum Beispiel eine dürftige Datenlage oder wenig beziehungsweise gar keine Ergebnisse eine Rolle bei vielen Promotionsabbrüchen. Daneben ist die mit der Doppel- oder sogar Dreifachbelastung aus Arbeitsverhältnis, wissenschaftlicher Qualifizierung und Kinderbetreuung einhergehende Überarbeitung nicht zu unterschätzen.

Im Zwiespalt von Ideal und Realität

Doch auch die Tätigkeit und die Zwänge in der Wissenschaft selbst und der Widerspruch zur „inneren Berufung“ und der damit verbundenen idealistischen Vorstellung von Wissenschaft scheinen Promovierenden Schwierigkeiten zu bereiten. Das Ideal, der reinen Sache, das heißt der Schaffung neuen Wissens im Weber´schen Sinne um des Wissens selbst willen dienen zu wollen oder die Leidenschaft für ein neues Forschungsthema oder eine interessante Forschungsfrage trägt viele Promovierende in die Wissenschaft. Dort treffen sie auf Strukturen, die diesen Ansprüchen nicht gerecht werden oder ganz und gar widersprechen, aber genauso zum Wissenschaftsalltag gehören: Konkurrenzdruck und Leistungsdenken, spitze Ellenbogen von Kolleginnen und Kollegen, fehlende Freiheit bei Fragen- und Methodenwahl, die Abhängigkeit von Karriereoptionen und Geldgebern, Elitedünkel, das Aussortieren unbequemer Resultate, „Datenbeschönigungen“ oder das Aufbauschen bescheidener Forschungsergebnisse.

„Wissenschaft ist leider doch viel Lärm um wenig Inhalt“

Treffen an der Sache selbst interessierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf Effizienz- und Output-Orientierung in einer Wissenschaftswelt, die wie ein Industriebetrieb geführt wird, geraten sie in einen Zwiespalt: Unterwerfen sie sich dem Druck oder bleiben sie ihrem Ideal treu? Sie laufen Gefahr, in diesem System einfach unterzugehen, da sie zum Beispiel zu langsam arbeiten oder keine oder zu wenige publikationsfähige Ergebnisse produzieren. Die große Diskrepanz zwischen den Vorstellungen von Wissenschaft und der dann vorgefundenen Realität führt zu Frustration und Enttäuschung. Damit ist das Wissenschaftssystem selbst keineswegs unbeteiligt an Promotionsabbrüchen.

Die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler machen sich den Abschied dennoch nicht leicht. Zwischen Beginn der Promotion, den ersten Abbruchgedanken und dem tatsächlichen Ausstieg können mehrere Jahre des Abwägens und Haderns liegen. Einen genauen Zeitpunkt kann fast niemand benennen.

Es bleibt die Ernüchterung

Auch Christian Fischer überlegte lange, bevor er sich zum endgültigen Ausstieg entschied. Letztendlich hat jedoch die Enttäuschung über das System überwogen. So ist auch sein Resümee, nachdem er außerhalb der akademischen Welt Karriere gemacht hat: „Ich dachte immer, es geht darum, Wissen zu sammeln und neues Wissen zu schaffen, neue Perspektiven zu eröffnen“, sagt er, „doch nach dem Beginn der Promotion voller Interesse und Neugierde war da ganz schnell die Ernüchterung. Wissenschaft ist alles in allem dann leider doch viel Lärm um wenig Inhalt.“

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