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Die Funktionäre der Forschung werden von einer neuen Sorge geplagt: Ausgerechnet im Zeitalter der Kommunikation erodieren Glaubwürdigkeit und Deutungsgewalt der Wissenschaft. In den Pressestellen und bei Hochschulvermarktern beginnt die Suche nach Antworten.

Es gibt schon auch Forscher, die sich jetzt freuen dürfen. Ganz einfach, weil sie mit ihren Warnungen recht behalten: „Die Zahl der Bürger, die vor Ehrfurcht gegenüber der Autorität der Wissenschaft erstarren und wissenschaftliche Erkenntnisse unhinterfragt als Wahrheit akzeptieren, wird kleiner“, stellte Prof. Dr. Hans Peter Peters zum Beispiel im Dezember 2011 fest. War der Kommunikationswissenschaftler am Forschungszentrum Jülich und Honorarprofessor für Wissenschaftsjournalismus der Freien Universität Berlin mit seiner Expertise damals eher bei Fachkongressen gefragt, steht er heute weit stärker im Licht. Peters gehört zum Kreis der Profs, die Forschungsfunktionäre neuerdings über die Folgen einer Wissenschaftskommunikation aufklären, die so aufwendig ist wie nie – und womöglich genau deshalb unglaubwürdig. Stell dir vor, es gibt Wissenschaft und keiner merkt auf. So weit ist es längst noch nicht, aber ihre Deutungsgewalt schwindet in einem Ausmaß, das führende Forschungsfunktionäre zum Handeln treibt.

Ein Durchbruch pro Minute

Doch zunächst weg von den Ängsten, hin zu den Fakten: Eine Befragung der Europäischen Kommission von EU-Bürgern aus dem Jahr 2013 zeigt, dass Wissenschaftler an staatlichen Hochschulen und Instituten bei immerhin 66 Prozent der Befragten als am besten qualifiziert gelten, um die Auswirkungen von wissenschaftlichen Entwicklungen zu erklären. Es ist also sehr wohl noch Vertrauen zur Wissenschaft vorhanden. Das ist insofern bemerkenswert, als genau dieses Vertrauen seit Langem einem Stresstest unterliegt. Gemeint sind hier nicht einmal Erschütterungen wie Plagiatsaffären, Bestechungsskandale oder schlicht Fehlprognosen. Sie nähren natürlich Zweifel an der Integrität und Kompetenz von Wissenschaftlern. Unterhöhlt wird deren Glaubwürdigkeit aber auch durch viele kleine Unsauberkeiten, die sich in Verlautbarungen aus der Welt der Wissenschaft finden.

Die Liste reicht von Schönfärberei und Alarmismus in universitären Pressemitteilungen über die Eventisierung und Banalisierung der Wissenschaft bis zum Starkult. All das kommt nicht von ungefähr. Wie ein Forscherteam um den Münsteraner Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Marcinkowski in einer Studie herausarbeitete, wird der Wettbewerb der Hochschulen heute eben nicht nur über wissenschaftliche Kennzahlen ausgetragen, sondern auch über Public Relations und Imagepflege.

Der Preis der Promotour

Der Innovationsmotor Wissenschaft, er befindet sich auf Promotour. Und die Maschinen laufen so professionell wie nie. Hochglanz-Magazine, Familientage, Strampelanzüge. Hochschulen lassen nicht viele Gelegenheiten aus, um sich einen Namen zu machen. In welchem Ausmaß Wissenschaftseinrichtungen mittlerweile in die Öffentlichkeitsarbeit investieren, weiß keiner. Genaue Zahlen nennen sie nicht so gern.

Das Forscherteam um Marcinkowski fand vor gut einem Jahr immerhin heraus, dass an deutschen Hochschulen mittlerweile auf 20 hauptberufliche Professoren ein Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit kommt, und das nur in der Zentralverwaltung. Die Fakultäten- und Fächerebene ist da noch nicht mitgezählt. 60 Prozent der Pressestellen wurden der Studie zufolge binnen fünf Jahren personell aufgestockt, 69 Prozent haben heute mehr Geld zur Verfügung.

Hochschulleitungen investieren aber nicht einfach nur mehr in die Öffentlichkeitsarbeit, sie richten bisweilen auch ihre Entscheidungen danach aus, was Medien berichten. Genau das scheinen mittlerweile selbst Wissenschaftler zu tun. Den Verdacht zumindest hegen die beiden Forscherinnen Dr. Martina Franzen und Dr. Simone Rödder. Sie mahnen dementsprechend Studien an, in denen geklärt werden könnte, ob und in welchem Ausmaß Wissenschaftler schon bei der Themenwahl nach massenmedialen Erfolgskriterien vorgehen.

Die Wurzel der Vewirrung

Wie konnte es so weit kommen? Prof. Dr. Reinhard Hüttl, Präsident der nationalen Akademie Acatech, sieht in der Ökonomisierung einen maßgeblichen Treiber der Entwicklung. Forschungseinrichtungen müssten sich durch interessante Informationen auf dem Medienmarkt behaupten. Dabei liefen sie „Gefahr, durch Zuspitzungen Ergebnisse zu überhöhen: Übertreibungen sind programmiert, neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden schnell zu nobelpreiswürdigen, revolutionären Änderungen des Weltbilds vergrößert“, erklärte Hüttl zu Jahresbeginn im Vorgriff auf ein Positionspapier, das eine Projektgruppe unter dem Dach der Acatech, der Leopoldina und Union der Deutschen Akademien der  Wissenschaften erarbeitete.

Ein Engel für die Sauberuni

Mitte Juni wurde das Ergebnis der zweijährigen Überlegungen in Berlin präsentiert. Ein Vorschlag darin: Zusammen mit Journalisten sollen Standards zur Wissenschaftskommunikation erarbeitet und ein Label für vertrauenswürdige Pressearbeit geschaffen werden. Ein Medienengel als Skepsistöter? Die Idee wirkt so hilflos, wie Wissenschaftsorganisationen in dem Spiel tatsächlich sind. Denn es lässt sich nun einmal nicht beherrschen, geschweige denn regulieren. Zu komplex sind die Mechanismen, zu vielfältig und zahlreich die Akteure und zu widerstreitend ihre Interessen.

Der Dissens beginnt schon in der Wissenschaft. Warum zum Beispiel sollten Rektoren nicht die ganze Klaviatur des Medienmarkts bedienen, wenn es ihren Zielen dient? Lobbyismus gehört zum Geschäft und Klappern auch. Dass die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt von einer winzigen Zuspitzung in einer Pressemitteilung abhängen soll, ist schwer vermittelbar. Und doch ist es genau so, meinen Praktiker und Theoretiker der Wissenschaftskommunikation. Wie jedes einzelne Plagiat, so schade jede Übertreibung der Reputation der Wissenschaft insgesamt. Jeder einzelne Fall ist zuviel, finden die Akademien und werben dafür, Übertreibungen gegenüber Medien als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis zu sanktionieren. So soll das Prinzip der Redlichkeit bei denen durchgedrückt werden, die über Web 2.0 zunehmend selbst aktiv an die Öffentlichkeit gehen: den Forscherinnen und Forschern (siehe duz MAGAZIN 07/2014, S. 29).

Auf dem Weg zur Charta

Es ist noch nicht ausgemacht, ob eine Mehrheit in der Wissenschaft solch ein Sanktionsinstrument gut findet. Eine nächste Hürde könnte der Vorstoß Ende Juni/Anfang Juli bei einem Workshop der Volkswagenstiftung nehmen. Rund 60 geladene Teilnehmer versuchen dabei, eine Charta Wissenschaftskommunikation zu entwerfen.

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