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Die Wessis sind im Anmarsch

Sie steht auf thüringischem Boden, aber ist sie eine Ost-Uni? Nicht, wenn es nach der Herkunft der Studierenden geht: An der Technischen Uni (TU) Ilmenau studieren heute mehr West- als Ostdeutsche – so viele wie an keiner anderen Universität eines neuen Bundeslandes. Was zieht die West-Studis an?

Sie strömen bald wieder gen Osten. Am 1. April beginnt das neue Sommersemester. Vor allem für Studierende aus den alten Bundesländern wirkt die TU Ilmenau in Thüringen wie ein Magnet. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer scheint sie die erste echte gesamtdeutsche Universität zu werden.

Blickt man über den weitläufigen, hügeligen Campus, mag man kaum glauben, dass hier knapp 7000 Studierende ausgebildet werden. So ruhig, geradezu beschaulich geht es zu. Das Besondere ist nicht die Zahl der Studierenden selbst, sondern die Tatsache, dass 49 Prozent der derzeit 5817 deutschen Studenten aus den alten Bundesländern kommt. Von den1065 deutschen Studienanfängern des Wintersemesters 2013/14 sind es sogar 57,5 Prozent – der höchste Wert unter den ostdeutschen Universitäten.

Guten Ruf erarbeitet

Rektor Prof. Dr. Peter Scharff, der die TU Ilmenau seit rund zehn Jahren leitet und Anfang März als Rektor wiedergewählt wurde, hat ein ganzes Bündel von Antworten parat, warum seine Hochschule so anziehend für westdeutsche Studierende ist. Als erstes nennt der Chemiker das Renommee, das sich die Universität mit guten Ranking-Bewertungen mittlerweile in den alten Bundesländern erarbeitet hat. Quelle des guten Rufes sind für den TU-Chef auch die Absolventen, die in Unternehmen in den alten Bundesländern tätig sind. „Da sind Netzwerke entstanden mit Absolventen, die teilweise schon in Führungspositionen sind“, sagt Scharff. Ein Ruf sei entstanden, dass mit Absolventen aus Ilmenau etwas anzufangen ist. „Das spricht sich rum“, sagt Scharff.

„Grüppchenbildung von Ost und West gibt es auf dem Campus nicht.“

Das Image zahlt sich aus: Laut einer Befragung der Studienanfänger des Wintersemesters 2013/14 ist unabhängig von der Herkunft der gute Ruf der Universität der wichtigste Grund, sich für ein Studium in Ilmenau zu entscheiden. Ein weiterer Pluspunkt ist die Lage. Zwar zählt das beschauliche Städtchen gerade einmal 30.000 Einwohner. Doch Ilmenau liegt zentral in Deutschland, das spielt der TU in die Hände. Ein Blick in die Uni-Statistik belegt, dass 2270 Studierende aus Thüringen kommen, aber 1051 aus dem Nachbarland Bayern und 411 aus dem ebenfalls benachbarten Hessen. Doch Grüppchenbildung von Ost und West gebe es nicht, sagt Scharff, „außerdem, wer jetzt kommt, gehört zu der Generation, die die Situation vor der Vereinigung nicht mehr kennt“. Auch für ihn selbst sei die Herkunft nicht wichtig. „Ich denke darüber nicht mehr nach“, sagt Scharff, der in den 1980er-Jahren an der TU Clausthal studierte und promovierte.

Die Studierenden sehen das offenbar genauso. Jennifer Leimeister aus Würzburg ist im Wendejahr 1989 geboren. Sie hat Ilmenau ausgewählt, weil sie in ihrem Fach Medien- und Kommunikationswissenschaft hier die beste Ausbildung erwartet hat. „Ich wusste vorher gar nicht, wo Ilmenau liegt, und war mir auch nicht sicher, ob ich hier bleiben wollte“, sagt die Master-Studentin. Schon nach einer Woche war sie begeistert. Bereut habe sie ihre Entscheidung nie.  Leimeisters Kommilitonin Isabell Koch aus dem hessischen Gelnhausen schätzt an der TU Ilmenau die klaren Strukturen und das familiäre Klima. Für den Maschinenbau-Studenten Martin Zschoche aus Sachsen-Anhalt war der hervorragende Ruf der Uni einer der Hauptgründe für seine Entscheidung.

Ob aus Ost oder West: Für alle drei spiele ihre Herkunft im studentischen Alltag keine Rolle. „Die geografische Grenze, die ist weg“, sagt Leimeister, „aber es bleibt immer noch eine kulturelle Grenze.“ Die Unterschiede finden sich in Alltäglichkeiten. So wird im Osten traditionell immer noch am 1. Juni der Kindertag gefeiert. „Es gibt solche Unterschiede praktisch auf jeder Ebene. Aber das darf man auch nicht überbewerten als Ost-West-Konflikt“, sagt Leimeister.

Mit Vorurteilen und Vorbehalten habe es die Studentin eher in ihrem Freundes¬ und Bekanntenkreis zu tun. Von den 80 Absolventen ihres Abi-Jahrgangs studierten nur drei in den neuen Ländern. Viele Mitschüler hätten bei der Uni-Wahl den Osten ganz ausgelassen. Und es gebe die Einflüsse der älteren Generationen, die von den Erfahrungen im geteilten Deutschland geprägt seien. „Das überträgt sich auf die Jugend“, sagt Leimeister. Die Folgen seien spürbar: Mancher, den sie nach Ilmenau eingeladen habe, sei nicht gekommen. „Viele haben einfach keine Lust, sich zu öffnen“, sagt sie.

Ost-West auf Campus kein Thema

Im Programm des Studentenradios hsf schlagen sich etwaige Unterschiede zwischen Ost und West nicht nieder. „Vieles spielt sich auf dem Campus ab, da ist Ost-West kein Thema“, sagt Chefredakteur Philipp Ludwig. Er kommt aus Schweinfurt, studiert Medientechnologie und will in Ilmenau seinen Master machen. Der 1950 gegründete Hochschulfunk gilt als das älteste Studentenradio in Deutschland. Seit 1991 wird es von einem Verein getragen. Ein Großteil des Programms befasst sich mit hochschulpolitischen und kulturellen Themen.  „Wir versuchen, ein ausgewogenes Programm sowohl für die Ilmenauer als auch für die Studenten zu machen“, sagt Philipp Ludwig.

Die Technische Universität, sagt der Ilmenauer Oberbürgermeister Gerd-Michael Seeber, hat die Stadt seit ihrer Gründung geprägt. Die vielen Studenten und sehr früh auch schon viele Studenten aus dem Ausland hätten die Einstellung der Ilmenauer zu Fremden beeinflusst: „Die Ilmenauer sind sehr liberal“, sagt Seeber. Deshalb sieht auch er keine Konflikte, die aus dem großen Anteil westdeutscher Studenten in der Stadt entstehen könnten: „Es ist ein Thema, dass das überhaupt ein Thema ist. Seit der Wende ist eine Generation vergangen.“ Dass Ilmenau unter Studierenden aus den alten Bundesländern so beliebt ist, wundert Seeber nicht. Die Stadt liegt geografisch günstig und ist infrastrukturell über die Autobahn gut angebunden. Allerdings: „Viele kommen mit dem Gedanken, Ilmenau nur als Durchgangsstation zu betrachten und spätestens nach zwei Semestern wieder weg zu sein“, sagt er, „aber sie merken schnell, dass sie hier vieles selbst bewegen können.“

Viele der anfangs skeptischen Studienanfänger schließen ihr Studium in Ilmenau ab. Allerdings bleiben nicht viele Absolventen in Thüringen. Rektor Scharff hat dafür keine belastbaren Zahlen, aber viel Verständnis. Die Absolventen würden schon frühzeitig aktiv von den Unternehmen angeworben, zum Beispiel bei den jährlichen, stark besuchten Kontaktmessen. „Da sitzen dann die Herren im feinen Zwirn abends in der Kneipe zusammen mit den Studenten und die unterschreiben was auch immer“, sagt Peter Scharff etwas ironisch.

Scharff gewinnt der Abwanderung von Absolventen sogar einen positiven Aspekt ab. „Es ist nicht im Interesse Thüringens, trotz des Fachkräftemangels, dass alle hier bleiben. Wir müssen die Studenten auch in die Welt hinausschicken, wo sie Erfahrungen sammeln, Netzwerke aufbauen und Kontakte in die Wirtschaft knüpfen, die für Thüringen wichtig sind“, sagt er. Und für die TU Ilmenau.

Die Fakten

Die Fakten

  • Studierende Im Wintersemester 2013/2014 studierten 6692 Personen (Haupthörer), davon 875 (13,1 Prozent) ausländische Studierende an der TU Ilmenau. Von den 5817 Studierenden aus Deutschland kommen 49 Prozent aus den alten, 51 Prozent aus den neuen Bundesländern. Von den 1342 Studienanfängern im WS 2013/14 sind 1065 deutsche Studierende. Davon sind 612 (57,5 Prozent) aus den alten Bundesländern.
  • Personal 849 wissenschaftliche Mitarbeiter sind an der TU Ilmenau beschäftigt, davon sind104 Professoren, sowie 634 Personen nichtwissenschaftliches Personal.
  • Betreuungsverhältnis Jeder Professor betreut durchschnittlich 73,4 Studierende, wissenschaftliches Personal je 14 Studierende.
  • Drittmittel Im Jahr 2012 wurden 44,7 Millionen Euro Drittmittel eingeworben, 2013 waren es 43,8 Millionen.
  • Studiengänge 20 Bachelor- und 26 Master-Studiengänge an fünf Fakultäten.
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