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Chefsache Gender

Im Jahr 2020 will die RWTH Aachen jede fünfte Professorenstelle mit einer Frau besetzt haben. Das ist das Ziel, das sich die Universität mit dem Exzellenz-Anspruch gesetzt hat. Wie geht sie dabei vor? Ein Werkstattbericht von Kanzler Manfred Nettekoven über Strategien und Managementprozesse im Zeichen von Gender und Diversity.

Wenn ich mich dem Themenfeld Gender und Diversity nähere, dann aus der Perspektive eines Wissenschaftsmanagers, der in der Hochschulleitung tätig ist. In dieser Aussage steckt eine Relativierung: Wenn es um fachliche Ausgewiesenheit geht, gibt es Expertinnen und Experten mit einschlägigerer Qualifikation. Ich hingegen bin lediglich Zeitzeuge einer relevanten hochschulpolitischen Veränderung auf diesem Sektor und vielleicht auch jemand, der damit beschäftigt ist, das Thema und die damit einhergehenden Aufgabenstellungen in das Gesamt-Portfolio der Beschäftigungsobjekte einer Hochschule zu integrieren und zu harmonisieren.

Rahmenbedingungen und Ausgangslage

Die politischen Zielsetzungen zur Gleichstellung sind zuletzt in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 2012 festgehalten worden. Hinsichtlich der die Empfehlung auslösenden Empirie, welche die sogenannte „leaky pipeline“, also die zahlenmäßige Abnahme von Frauen in der Phase nach der Promotion in sehr vielen Fächern beweisen, kann ich auf eine entsprechende Statistik in den Mint-Fächern meiner Hochschule verweisen. Aus dieser folgt die dringende Notwendigkeit eines abgestimmten Maßnahmenkonzeptes. Ein solches wurde mit dem ersten erfolgreichen Konzept zur Dritten Förderlinie der Exzellenzinitiative entwickelt, in der zweiten Phase wird dieses weiterentwickelt und größtenteils aus Eigenmitteln der Hochschule finanziert.

Als Akteure gemeinsam gefragt: Hochschulleitung, Begleitforschung und die Gleichstellungsbeauftragte

Die Steuerung: das Aachener Genderdreieck

Im Rahmen von Leitungsaufgaben von Hochschulen geht es in der Regel über ein gesundes Verhältnis von „bottom up“- zu „top down“-Entscheidungen. Bei Gender (und auch bei Diversity) ist aber ganz eindeutig die Hochschulleitung gefragt. Angesichts der Dimension der Aufgabenstellung und der Tatsache, dass viele Maßnahmen erst entwickelt und hinsichtlich ihrer Effizienz erst einmal verifiziert werden müssen, bedarf es aus unserer Sicht neben einer klaren Zuständigkeit im Rektorat aber auch einer entsprechenden Begleitforschung und einer Verwaltungseinheit, welche die vergleichsweise große Zahl an Maßnahmen, Handlungsfeldern und Aktivitäten koordiniert und weiterentwickelt. Wir haben uns in Aachen außerdem darauf verständigt, die Gleichstellungsbeauftragte in diese Struktur zu integrieren. Diese hat neben ihren gesetzlichen Aufgaben und Rechten auch die Funktion einer Impulsgeberin, nicht zuletzt, da sie über ein Netzwerk von Personen auf allen Ebenen der Hochschule verfügt, welches über viele Jahre gewachsen ist.

Hieraus ergab sich das sogenannte „Gender-Dreieck“ der RWTH, welches wir einige Male überarbeitet haben, das in seinem Zusammenspiel aber höchst instrumentell war, um das bisher Erreichte zu ermöglichen. Die dahinterstehende Philosophie ist eine Lebenszyklus-Betrachtung; wir sind bestrebt, unsere um die Menschen herum entwickelten Aktivitäten bereits bei (Schul- und Vorschul-)Kindern beginnen zu lassen, um sie dann über die gesamte Qualifikationsphase bis hin zu den Ehemaligen aufeinander abzustimmen und zu koordinieren. Es mag sehr schlicht klingen, aber ein großer Mehrwert der Aktivitäten der letzten Jahre lag vor allem in der Orchestrierung vorhandener, in verschiedenen Verwaltungseinheiten und Fakultäten beheimateten Aktivitäten unter Gendermainstreaming-Aspekten.

Die Koordination: Stabsstelle im Rektorat

Diese Gesamtsteuerung und Koordination obliegt einer Stabsstelle für Integration, Gender und Diversity unter Leitung der Prorektorin für Personal und Wissenschaftlichen Nachwuchs.Viele hochschulpolitisch relevanten Strategien fingen zunächst einmal mit einer disparaten, auf mehreren Ebenen disjunkt voneinander entwickelten Aktivitätenvielfalt an. Das gilt übrigens auch für andere „Novitäten“, etwa für Internationalisierung und die Entwicklung neuer Lehrformate. Es wird daher häufig ein hoch probates Mittel sein, diese Aktivitäten erst einmal „einzusammeln“, in eine Gesamtsteuerung zu integrieren und dafür zu sorgen, dass die Agierenden voneinander wissen und ihre Aktivitäten abstimmen. Das ist jedenfalls notwendig, wenn auch nicht hinreichend. Das Thema „leaky pipeline“ braucht sicherlich darüber hinaus eine permanente Vergewisserung über die Wirkung der Aktivitäten und in den besonders betroffenen Fächern einen regelrechten Kulturwandel, um  den Erfolg einer halbwegs gleichmäßigen Repräsentanz beider Geschlechter auf allen Ebenen zu gewährleisten.

Die Anreize: externe und interne Faktoren

Für einen solchen Wandel braucht es einen Auslöser, und ich verhehle nicht, dass es ohne die Einbeziehung wettbewerblicher Verfahren in der Wissenschaft, insbesondere der Exzellenzinitiative, aber auch der Verfahren zur Unterstützung konsortialer Forschungsvorhaben durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vielleicht nicht, jedenfalls aber später zu einer Veränderung gekommen wäre. Die Dritte Förderlinie hat uns zusätzlich zu den vor dem Wettbewerb vorhandenen Aktivitäten eine ganze Anzahl neuer Maßnahmen beschert.

Besonders relevant ist aber die Entscheidung, 30 Prozent aller Fördermittel der Dritten Linie an Antragstellerinnen zu distribuieren. Diese Mittel werden gepoolt, sofern sie in den einzelnen Aktivitäten nicht bewilligt werden können, und dann auf zentraler Ebene für Gendermaßnahmen, insbesondere der Berufung und Ausstattung von Wissenschaftlerinnen, eingesetzt. Ein klares Signal, dass die Hochschule es diesmal ernst meint. Zumal der Antrag in den wesentlichen Einzelheiten mit einer Vielzahl von Agierenden auf allen Ebenen abgestimmt war.

Neben den vielen Förder- und Weiterbildungsangeboten auf allen Ebenen sind vor allem zwei Faktoren im Genderkontext besonders relevant und wahrscheinlich auch ein Thema strategischer Aktivitäten: die Veränderung der bestehenden Rekrutierungspolitik und ein Personalentwicklungskonzept, das die Karriere aller Forschenden, vor allem aber für Nachwuchswissenschaftlerinnen, planbarer macht.

Schlüsselfrage eins: Personalauswahl

Bei der Rekrutierungspolitik geht es um alle Aspekte des Funktionierens eines solchen Auswahlgremiums und seiner Rahmenbedingungen. Das fängt schon mit der Denomination der Stelle im Moment der Freigabe an, beinhaltet Themen wie die Zusammensetzung des Gremiums und der Bewertung von akademischen Leistungen von Personen mit großen biographischen Unterschiedlichkeiten und hat letztlich auch die Frage des Zustandekommens des Bewerber(-innen)-Pools zum Inhalt. Alle diese Aspekte beinhalten „Stellschrauben“.

Eine ganz wesentliche Rolle spielt aber auch die Methode der aktiven Suche nach geeigneten Personen über eine intensive Recherche, die möglicherweise auch durch entsprechende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung unterstützt wird. In vielen Branchen ist Headhunting die Antwort auf einen Mangel geeigneter oder spezifischer Arbeitskräfte. Im akademischen Bereich muss dies mit den Vorgaben einer Listenerstellung oder Berufung einhergehen, aber dies ist nach meiner Meinung ein Thema der Kompatibilisierung, kein Denkverbot oder „show stopper“.

Es liegt auf der Hand, dass die Kommission in ihren Rechten nicht eingeschränkt werden darf, dass es sich um unterstützende Aktivitäten handeln muss, um ein Angebot. Angesichts der Tatsache, dass es geeignete Wissenschaftlerinnen in den in dieser Hinsicht problematischen Fächern in Deutschland nicht gibt und eine grenzüberschreitende Rekrutierung in den letzten Jahren zwar häufiger vorkommt, aber längst nicht der Regelfall ist, sehe ich zu einem Ausbau dieses Handlungsfeldes keine Alternative.

Schlüsselfrage zwei: Personalentwicklung

Auch dieses Thema geht mit der Gewinnung von Neuland einher, ich sehe da in den nächsten Jahren ein großes Wachstum und eine große politische Aufmerksamkeit voraus. Als jemand, der vergleichsweise viele Berufungsverhandlungen in allen wissenschaftlichen Gebieten geführt hat, kann ich von einer fast schon erstaunlichen Naivität im Blick auf die für die eigene Karriere relevanten Faktoren berichten. Dies hat in den letzten Jahren abgenommen, ist aber immer noch ein Thema, an dem man mit Recht und der Erwartung von Erfolg arbeiten kann.

Persönlichkeitsentwicklung, Potenzialanalyse und Coaching: Hilfe auf breiter Front ist angezeigt

Rezepte sind hier die aktive Vernetzung von jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in gezielten, auch hochschulpolitischen Weiterbildungsangeboten. Dazu gehören auch Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung, Potenzial-Analyse, Coaching, didaktische Konzepte, das volle Programm. Schwieriger wird es beim Tenure Track. Das ist ein hochschulpolitisches Alien in Deutschland, kommt natürlich aus den USA und trifft hier auf zunächst einmal feindliche Rahmenbedingungen. Diese lauten, dass die Stellen für Professorinnen und Professoren den Fakultäten „gehören“ und es eine größere planerische Leistung ist, das Wachstum von einer W1- auf eine W2-Stelle oder einer W2 auf eine W3 über eine Entwicklungsphase sicherzustellen und die entsprechenden Parameter für eine Bewährung auf diesem Weg festzulegen. Hinzu kommt das in allen Bundesländern gegebene Hausberufungsverbot. Es kann daher nötig sein, eine Karriereplanung über mehrere Institutionen und über Ländergrenzen hinweg zu ermöglichen.

Der Bremsklotz: Finanzierung

Hier werden wir, wenn wir das ernst nehmen, an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit kommen. An der RWTH haben wir Tenure-Track-Professuren auf der Ebene von W1 auf W2 über die Zukunftskonzepte der Exzellenzinitiative eingeworben, was eine wichtige Hilfestellung bei der Einrichtung der ersten Tenure-Verfahren war. Unabhängig davon haben Fakultäten im Rahmen der Rufabwehr immer wieder höherwertige Stellen bereitgestellt. Ich räume ein, das ist kein Tenure Track, im Zuge der zunehmenden Profilierung und Konkurrenz unter den deutschen Hochschulen aber eben auch ein erster Schritt. Nicht alle Professorinnen und Professoren in den USA haben einen Tenure Track. Ich sehe voraus, dass das in Zukunft in Deutschland mehr werden wird, aber vielleicht nicht der Regelfall. Erkennbar ist aber eine Tendenz zur Planbarkeit in Gestalt von Weiterbildung und Coaching, im Genderkontext aber auch verstärkt einer Förderung über Grenzen hinweg, vielleicht sogar in einem internationalen Pool, wie ihn das Eurotech-Netzwerk in Europa betreibt.

Das Ziel: Frauenquote 20 Prozent

Wir glauben in Aachen an Ziel- und Leistungsvereinbarungen, dies vor allem bei der internen Steuerung, sowohl mit neu berufenen Professorinnen und Professoren als auch im Kontext von Rektorat und Fakultäten. Ich weiß, dass dies sehr unterschiedlich gesehen wird, im Gender- und Diversity-Kontext bin ich aber in einer so dramatischen Situation wie der unseren von der Notwendigkeit der Vereinbarung klarer Ziele überzeugt. Wir haben den Gutachterinnen und Gutachtern unseres Zukunftskonzeptes zugesagt, bis 2020 einen Professorinnenanteil von 20 Prozent zu haben (angesichts unserer Ausgangslage ist das in Aachen ein sportliches Ziel). Würden wir uns da nicht vergewissern, mit welchen Vakanzen in den einzelnen Fakultäten gerechnet wird und welche Rekrutierungen von Frauen in der Folge angesichts des gegebenen Versprechens nötig sind, wäre die Inaussichtstellung schlicht weniger wert. Vor diesem Hintergrund haben wir die angestrebte Quote mit in die Vereinbarung und das Controlling aufgenommen.

Gewusst wie

Gewusst wie

  • Wichtig: In Deutschland ist Diversität ein wichtiges Kulturthema: Es muss zu unserem ureigenen Selbstverständnis gehören, Menschen unterschiedlicher Herkunft, sexueller Orientierung oder körperlicher Belastbarkeit gleichermaßen zu fördern und mit den Angeboten der Hochschule zu erreichen. Aber auch diese Programmatik muss auf sinnvolle und effiziente Maßnahmen heruntergebrochen werden.
  • Fazit: Es gibt viel zu tun, und es wird daran gearbeitet. Entscheidend ist, dass auch jenseits des Wettbewerbsdrucks die Hochschulen diese Aufgabe als eigene annehmen. Dabei geht es nicht nur darum, Geld „anzufassen“, sondern auch darum, Kreativität zu zeigen, um diese wichtige Programmatik zu bewegen. Die Orientierung an internationalen Standards und Rezepten kann hier nur helfen.
  • Download: Wissenschaftsrat, 2012: Fünf Jahre Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – Bestandsaufnahme und Empfehlungen: http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2218-12.pdf
  • Weitere Informationen: Stabsstelle Integration - Human Resources, Gender and Diversity Management (IGaD) der RWTH Aachen: http://www.igad.rwth-aachen.de/
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