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Und bist Du nicht willig, so brauch ich die Quote

Der Ruf nach einer Quote für Frauen in der Wissenschaft wird immer lauter. Um sie jedoch zu erreichen, fordern Experten Sanktionsmöglichkeiten über die Drittmittelvergabe. Die Blicke richten sich auf die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Manchmal sitzt Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner in seinem Büro über der Bilanz seiner gleichstellungspolitischen Bemühungen. Und ist ernüchtert. Trotz eines ganzen Katalogs von Maßnahmen stagniert der Anteil weiblicher Führungskräfte im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn seit Jahren bei etwa 14 Prozent. 2012 sank er sogar um 0,8 Prozentpunkte. Dabei ist von den 7000 Beschäftigten im DLR fast ein Drittel weiblich.

Familienfreundlichkeit hilft nicht viel

Wie die meisten wissenschaftlichen Einrichtungen hat das DLR Chancengleichheit in seine Leitlinien geschrieben. Es wurde für seine Frauenförderung und seine Familienfreundlichkeit ausgezeichnet. Doch der Anteil von Frauen in Führungspositionen stieg kaum an. War das denn alles umsonst? Wörner fragt sich: „Brauchen wir eine Quotenregelung?“ Einige Experten sagten in einer Anhörung des Forschungsausschusses des Bundestages im Juni: „Ja“. So vertrat Prof. Dr. Wolfgang Marquardt vor den Abgeordneten den Standpunkt des Wissenschaftsrates (WR), Zielquoten einzuführen, die sich am sogenannten Kaskadenmodell orientieren. Dieses besagt, dass der Frauenanteil auf einer Qualifikationsstufe mindestens so hoch sein sollte wie der Anteil auf der jeweils niedrigeren Stufe.

Damit hat sich nach der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) auch der WR für die Einführung von Quoten ausgesprochen. „Quasi ein Paradigmenwechsel“, nennt das Dr. Dagmar Simon vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), die ebenfalls als Expertin vom Ausschuss angehört wurde. Auch wenn die Forderung nach einer Quote nun im Wissenschaftsbetrieb ganz oben auf der Agenda steht, ist das bei Weitem kein Durchbruch. Quotenforderungen sind meist Ausdruck von Hilflosigkeit. Was soll man noch tun, wenn man alles versucht hat? Diese Frage beschäftigt Johann-Dietrich Wörner oft.

Er möchte, dass möglichst viele Frauen den Weg gehen können, den seine Mutter bereits Ende der 1930er-Jahre ging. Damals studierte sie als einzige Frau an der Technischen Universität München Architektur, übernahm anschließend das Büro seines Großvaters und ermöglichte beiden Söhnen ein erfolgreiches Studium. Bis heute ist das kein Normalzustand. Die Quotenforderungen, die jetzt im Raum stehen, werden die Entscheider im Wissenschaftsbetrieb allerdings vermutlich auch nicht davon abbringen, es bei Sonntagsreden zu belassen und es für ausreichend zu halten, wenn Frauenbeauftragte einen Pflicht-Sitz in Berufungskommissionen haben. Pseudo-Quoten gibt es bereits seit 20 Jahren. So lange sind Hochschulen gesetzlich verpflichtet, in ihren Gleichstellungsplänen konkrete Zielvorgaben für die Erhöhung des Frauenanteils zu setzen.

Gebracht haben sie bislang wenig. Deutlichere Impulse kamen aus der ersten Runde der Exzellenzinitiative, bei der ausländische Gutachter mangelnde Gleichstellungskonzepte bei den Antragstellern monierten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) reagierte darauf mit den 2008 eingeführten forschungsorientierten Gleichstellungsstandards und dem Kaskadenmodell.

Zeitfenster schließt sich bis 2019

Seitdem ist einiges passiert, aber es ist zu wenig. Der Frauenanteil an den C3-/W2-Professuren ist von 16 Prozent im Jahr 2006 auf 20 Prozent im Jahr 2010 gestiegen. Bei den C4-/W3-Professuren ging der Anteil von elf Prozent 2006 auf 14 Prozent 2010 nach oben. Das stellt sich bei Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen ganz unterschiedlich dar. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft oder der Helmholtz-Gemeinschaft, wo viele Naturwissenschaftler arbeiten, ist der Frauenanteil fächerbedingt geringer als etwa an Max-Planck-Instituten. Im Europäischen Vergleich liegt Deutschland insgesamt unter dem Durchschnitt.

Es wird Zeit, das zu ändern. In einem Fenster, das bereits seit 2010 geöffnet ist und sich 2019 wieder schließen wird, werden voraussichtlich über 11 000 Professorinnen und Professoren im Alter von 65 Jahren ausscheiden. Diese Zeitspanne muss nach Ansicht der Experten genutzt werden, um einen Anteil von 30 bis 40 Prozent Frauen auf allen Ebenen zu erreichen. Denn erst diese kritische Masse erlaube es, die Organisationskultur in den Wissenschaftsorganisationen so zu verändern, dass automatisch mehr Frauen folgen.

Unis sollen sich endlich kümmern

Angesichts dieser Aufgabe hat auch der Wissenschaftsrat die Geduld verloren und sich zur Quotenforderung durchgerungen. Vor dem Bundestagsausschuss forderten einige Fachleute, den Druck zu erhöhen, indem man Sanktionsmöglichkeiten über die Vergabe der Drittmittel einführt. Nach dem Motto „Wer nicht hören will, muss fühlen“ sollen es Hochschulen und Forschungseinrichtungen nun finanziell zu spüren bekommen, wenn sie Nachwuchswissenschaftlerinnen keinen roten Teppich auslegen. Dazu sollen die Geldgeber ins Boot geholt werden.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die DFG. Zwar berücksichtigt sie die Gleichstellungsbemühungen von Forschungsverbünden, die Geld beantragen, indem die besten Konzepte für die Frauenförderung bei zwei wissenschaftlich gleichwertigen Projektanträgen den Ausschlag geben. Dies geht vielen aber nicht weit genug. „Wenn ein Forschungsverbund keine vernünftigen Gleichstellungsstrategien hat oder keine Maßnahmen ergreift, müsste so ein Antrag eigentlich zunächst abgelehnt werden“, sagt Dr. Dagmar Simon, die in der Arbeitsgruppe Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards der DFG sitzt.

„Hervorragende Gleichstellungspolitik kann mittelmäßige Forschung nicht ersetzen.“

Auch DFG-Präsident Prof. Dr. Matthias Kleiner ist inzwischen „innerlich ungeduldig“. Die Gleichstellung bei der Vergabe von Forschungsgeldern besonders zu berücksichtigen, davon hält er nichts: „Eine hervorragende Gleichstellungspolitik kann eine mittelmäßige Forschung nicht ersetzen“, sagt er. Langfristig sollten die Hochschulen – etwa über die Hochschulrektorenkonferenz – das Thema selbst in die Hand nehmen.

Private Stifter geben sich ebenfalls zurückhaltend gegenüber der Forderung, die Quote über Sanktionen bei der Geldvergabe zu erzwingen: „Das wäre Gängelung der Forscherinnen und Forscher“, sagt der Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung Dr. Wilhelm Krull. „Wir können nicht bei jedem einzelnen Projekt, das aus Drittmitteln gefördert wird, die Gleichstellung prüfen.“
Als Projektträger verteilt auch das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum in Bonn Geld. Vorstandschef Johann-Dietrich Wörner würde es begrüßen, wenn Gleichstellungsbemühungen der Antragsteller belohnt werden. Er ist aber an die Vorgaben seiner öffentlichen Auftraggeber gebunden: „Zielquoten als Kriterium für mehr Frauen sind dabei meiner Kenntnis nach, jedenfalls bisher, nicht vorgesehen“, sagt er.

Sanktionen können natürlich auch über die reguläre Mittelvergabe von Bund und Ländern verhängt werden. So haben die Oppositionsfraktionen SPD, Linke und Grüne im Juni in einem Antrag vorgeschlagen, ab 2013 einen Teil der Mittel des Pakts für Forschung und Innovationen an die Erfüllung quantifizierter gleichstellungspolitischer Ziele zu binden. Aber das Bundesforschungsministerium denkt darüber derzeit noch nicht nach. Es hofft darauf, dass die außeruniversitären Forschungseinrichtungen den lang erhofften Kulturwandel anstoßen.

Diese wurden von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern im vergangenen November aufgefordert, Zielquoten zu definieren und Pläne zu entwickeln, wie sie dies erreichen wollen. Erste Ergebnisse finden sich im Monitoring-Bericht, der im Juni von der GWK verabschiedet wurde. Johann-Dietrich Wörner muss sich darum auch kümmern. Mitte Juni beschloss der DLR-Vorstand, in allen Kommissionen, die mit der Personalauswahl zu tun haben, künftig für einen ausgewogenen Anteil von Frauen und Männern zu sorgen. Zudem soll eine Wissenschaftlerin eingestellt werden, deren Hauptaufgabe es ist, junge Frauen bei ihrer Karriere zu unterstützen: „Wir wollen auf den Einzelfall schauen“, sagt Wörner, „auf die bisherige Biografie einer jungen Frau, auf ihre familiäre Situation und ihre beruflichen Ziele.“ Dazu will er auch in Führungsverantwortung Teilzeitarbeit zulassen.
Viel Arbeit kommt auf die Chefs zu

Zielquoten sind dabei eher das letzte Mittel, mit dem der frühere Präsident der TU Darmstadt arbeiten möchte. Und im Kaskadenmodell, das von der DFG und dem Wissenschaftsrat favorisiert wird, sieht er Schlupflöcher: „Es können Hemmungen entstehen, auf den unteren Ebenen viele Frauen einzustellen, weil die Hürde auf den oberen Ebenen dann zu hoch wird.“
Die geforderten Sanktionsmöglichkeiten über den Weg der Drittmittelvergabe stehen zwar im Raum. Ob sie politisch durchgesetzt werden, scheint jedoch fraglich. Auf jeden Fall kommt auf die Hochschulchefs, Fakultäts- und Abteilungsleiter und die Berufungskommissionen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen viel Arbeit zu. Sie sollen nach den Empfehlungen des WR ihre Beschäftigtenstruktur analysieren und realistische, besser noch ambitionierte Zielquoten für einen höheren Frauenanteil festlegen.

Wie man aktiv nach Frauen sucht

Wie man aktiv nach Frauen sucht

Einige Hochschulen kümmern sich zunehmend darum, Frauen direkt anzusprechen, statt nur zu warten, dass sie sich bewerben.

  • Die Technische Universität Dresden hat eine Stelle für die aktive Rekrutierung von Professorinnen eingerichtet, deren Aufgabe es ist, gezielt Frauen anzusprechen, die gerade habilitiert wurden. Die Ausschreibungstexte werden so verfasst, dass Frauen sich klar angesprochen fühlen. Die Stellen werden in Frauennetzwerken bekannt gemacht.
  • Die Universität Gießen erwartet von den Fachbereichen, dass sie bei der Ausschreibung für neue Professorenstellen gegenüber den Berufungskommissionen darlegen, wie sie gezielt Frauen, die als Kandidaten in Frage kommen, ansprechen wollen. Darüber hinaus nimmt die Uni an der hessischen Initiative ProProfessur teil, mit der hoch qualifizierte Forscherinnen auf ihrem Weg in die Professur über 18 Monate auf Forschungs-, Führungs- und Managementaufgaben vorbereitet werden.
  • Die Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) informiert jedes Jahr über Wege zur Fachhochschulprofessur für Frauen. Die FH sendet Ausschreibungen an Universitäten, um dortige Wissenschaftlerinnen über freie Professorenstellen zu informieren und Kontakt zu möglichen Bewerberinnen aufzubauen.
  • Die Universität Mainz hat Stellen nur für Frauen eingerichtet. Es handelt sich dabei um derzeit sieben Juniorprofessuren und 2,75 Postdoktorandenstellen, letztere mit einer Laufzeit von zwei Jahren. Darüber hinaus hat die Uni einen Preis für besonders qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Künstlerinnen ausgelobt. Die Siegerinnen bekommen eine halbe Stelle für die Dauer eines Jahres zur Vorbereitung auf die Promotion. Neben einem aktiven Rekrutierungsprogramm hat die Uni ein Projekt für Frauen in Führungspositionen eingerichtet, das Fachbereiche berät, wie sie die Karrieremöglichkeiten von Frauen verbessern können.
  • Die Universität Oldenburg bezahlt mehrere Gleichstellungsbeauftragte, anstatt sie nur ehrenamtlich einzustellen. Sie prüfen auf mehreren Ebenen, ob alle Maßnahmen für einen höheren Anteil von Frauen eingehalten werden. In einem Graduiertenkolleg des Fachs Theoretische Physik hat die Uni die Frauenbeauftragten an der Konzeption des Kollegs beteiligt. Die Leitung besteht aus einem Mann und einer Frau und auch die Hälfte der Dozenten ist weiblich. Das ist für ein männerdominiertes Fach vorbildlich.
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