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Nachruf auf die Juniorprofessur

Vor zehn Jahren hat Deutschland der Habilitation den Kampf angesagt und einen neuen Weg zum Lehrstuhl geschaffen: die Juniorprofessur. Dafür gab die damalige Bundesregierung nahezu 100 Millionen Euro aus. Hat sich der Aufwand gelohnt? Eine Stimme aus den Geisteswissenschaften.

Bis Ende November 2010 war ich Juniorprofessor für Digitale Medien/Kunst an der Universität Konstanz. Berufen wurde ich im Wintersemester 2003/04 mit dem Auftrag, den Studiengang Literatur-Kunst-Medien inhaltlich zu gestalten und organisatorisch auszubauen. Ich war für drei Semester beurlaubt, während derer ich an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Professur vertreten und an der Universität Wien eine Gastprofessur wahrgenommen habe – daher auch die verlängerte Laufzeit meiner Stelle.

Ich war überzeugt davon, dass diese neue Form der Hochschullehrerkarriere zukunftsweisend sei.

Ich war ein enthusiastischer Juniorprofessor, Kalifornien-Heimkehrer (für meine Juniorprofessur habe ich ein Feodor Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung abgebrochen), überzeugt davon, dass diese neue Form der Hochschullehrerkarriere zukunftsweisend sei. Überzeugt davon, dass „training on the job“ mit Evaluation des Geleisteten, die den Nachweis der Professorabilität bringen sollte, ein gegenüber dem langwierigen Prozedere der – und nun muss ich für meine Fachrichtung sprechen – geisteswissenschaftlichen Habilitation weit überlegeneres Modell sei: Junge Forschende sollten nach der Promotion nicht weiterhin an der kurzen Leine von Assistenzen gehalten und auf die Abfassung eines weiteren, möglichst dickbäuchigen Textes verpflichtet werden, sondern ihre Arbeitsgruppen selbst gestalten, ihre Forschung und Lehre eigenständig organisieren – in meinem Fall hieß das zum Beispiel das Medium Ausstellung als ein wesentliches Instrument meiner Forschung und Lehre zu entwickeln – und ihr Engagement für die Studiengangsplanung und akademische Selbstverwaltung freiwillig und nach eigenem Ermessen dosieren.

Mir schien es völlig plausibel, diesen jungen Menschen, zu denen ich auch einmal gehört habe, diese Leistungen zuzutrauen und ihnen zu vertrauen. Hoch unwahrscheinlich erschien mir jedoch, dass die deutschen akademischen Strukturen – und auch hier spreche ich ausschließlich für die Geisteswissenschaften – allen Ernstes willig waren, diesen Machtverlust hinzunehmen, diese fröhliche Wissenschaft zuzulassen. Und das Geschrei war ja auch groß – ich erinnere an das Stichwort vom „McDonald’s-Professor“, das der Kanzler der Universität Bonn ausgab. Darüber konnten meine Kollegen und ich in Konstanz nur lachen.

Konstanz gehörte – neben der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Bremen und der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld, wo ja auch der Verein zur Förderung der Juniorprofessur (Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur) gegründet wurde – zu den vier deutschen Hochschulen, die das Modell Juniorprofessur nicht zähneknirschend zuließen, sondern deutlich unterstützten. Man hatte im Unterschied zu anderen Hochschulen die Juniorprofessur nicht als interne Weiterbeschäftigungsmaschine missbraucht, sondern explizit darauf geachtet, in aufwändigen und sauberen Berufungsverfahren neue Leute zu gewinnen.

Es war schön, Juniorprofessor an der Universität Konstanz zu sein. Die Investitionsmittel des Bundes – 60.000 Euro in meinem Fall –, die mir im Unterschied zu Juniorprofessoren an anderen Universitäten tatsächlich im vollen Umfang zur freien Verfügung standen, ermöglichten mir einen schnellen und unproblematischen Einstieg in meine Aufgaben als Professor. Das hieß in meinem Fall vor allem die Schaffung einer medialen Infrastruktur: Ich kaufte Server, installierte darauf Wiki-Systeme, Ordner für die Studiengangs- sowie Projektwebseiten, investierte in die Basisausstattung zur Neugestaltung des studentischen Hochschulfernsehens Campus-TV, stattete Seminarräume so aus, dass für eine moderne Lehre auch moderne Lehrmedien zur Verfügung standen und initiierte Forschungskooperationen mit der Hochschule Konstanz. Ich genoss den Respekt und die Kooperationswilligkeit der Kollegen sowie diverser Einrichtungen der Universität – der Medientechnik und der wissenschaftlichen Werkstätten, um nur zwei zu nennen.

Fächerübergreifend arbeiteten die Konstanzer Juniorprofessoren zusammen, veröffentlichten gemeinsam Texte zur Ausgestaltung der Juniorprofessur in den Medien, darunter dem duz Magazin und Spiegel Online, veranstalteten Workshops und gaben unter dem Titel „Die Juniorprofessoren stellen sich vor“ sogar eine gemeinsame Ringvorlesung. Die Juniorprofessur hatte in uns allen unglaubliche Energien freigesetzt: Die meisten meiner Kollegen hatten wie ich auch schnell Drittmittelprojekte beantragt und waren auch erfolgreich damit. Alles hätte so schön sein können.

Inzwischen rate ich Freunden und Bekannten ab, eine Juniorprofessur anzutreten.

Mittlerweile rate ich Freundinnen, Freunden und Bekannten davon ab, eine Juniorprofessur anzutreten, wenn sie über eine Alternative verfügen. Seit dem Karlsruher Urteil von 2004 sind die Investitionsmittel des Bundes, die schnelle Unabhängigkeit sicherten, weggefallen. Die Habilitation erfreut sich nicht nur fröhlicher Urständ, sondern ist in den Geisteswissenschaften deutlich gestärkt gegenüber der Juniorprofessur, die nur dann irgendeine Bewerbungsqualität aufweist, wenn sie mit einer Habilitation verbunden ist oder aber genau die gleiche Leistung erbracht wurde, die für eine Habilitation notwendig ist. Sie erinnern sich: In den Geisteswissenschaften ist dies das dicke Buch bei klarer Abwertung aller anderen Publikationsformen, unabhängig von ihrer Qualität, Innovativität und übrigens auch Quantität. Auch andere mediale Formate – insbesondere in und mittels digitaler Medien – zählen nicht das Geringste, werden mitunter nicht einmal als gedruckten Texten gleichrangige Wissenschaftsmedien wahrgenommen.

Engagement in der Lehre wiegt gar nichts: Wer hier etwas leistet, wird eher bedauert.

Habilitationsäquivalenz, das habe ich in vielen Berufungsverfahren zu spüren bekommen, bedeutet in den Geisteswissenschaften einfach und völlig strikt: das so genannte zweite Buch, worunter eine zweite Monographie verstanden wird. Engagement in der Lehre wiegt gar nichts: Wer hier etwas leistet, wird eher bedauert, da Lehre – allen Sonntagsreden zum Trotz – noch immer der Forschung gegenüber als mindere Tätigkeit betrachtet wird. Wer es sich leisten kann, lehrt weniger oder gar nicht.

Engagement bei der Gestaltung von Studiengängen ist ebenfalls nicht karriereförderlich. „Wieso hat der in diesem Jahr nichts publiziert?“, fragte ein Kollege in einer Berufungskommission. „Ach, der hat da die Akkreditierungsunterlagen für einen Studiengang geschrieben“, war die Entgegnung. „Na, da sollte aber doch noch genug Zeit für eigene Texte sein“, erklärte daraufhin der Fragende, der ganz offensichtlich nicht die geringste Ahnung hatte, wovon er sprach.

In Konstanz dürfen Juniorprofessoren, die nicht habilitiert sind, mittlerweile nicht mehr an Habilitationskommissionen teilnehmen: eine unverständliche Beschneidung von Hoheitsrechten und ein klares Votum für die Höherrangigkeit der Habilitation. Und dass die Juniorprofessur endgültig zum Abschuss freigegeben ist, zeigte der Vorstoß konservativer Konstanzer Kollegenkreise, den Juniorprofessoren den Professorentitel mit juristischen Finten abzusprechen. An anderen Universitäten war es ja ohnehin üblich gewesen, Juniorprofessoren als JProfs oder JunProfs abzukürzen, um den Abstand zur ordentlichen Professur, der ja juristisch nur in der zeitlichen Begrenzung bestand, klar zu markieren. In Konstanz wurde dem Begehren altvorderer Pfründewahrer nicht stattgegeben – für diesmal.
Hin und wieder wird man jedoch mittlerweile auch an der Universität Konstanz in Briefen oder E-Mails als JProf oder JunProf tituliert. Vielen der neu berufenen Juniorprofessoren ist das ganz gleichgültig: „Wir sind doch sowieso keine Professoren“ oder „Ich bin doch kein Lehrstuhlinhaber“ sind Sätze, die ich von meinen jüngst berufenen Kollegen immer wieder höre. Deutliche Zeichen, dass die Zeiten sich gewandelt haben.

Ich bin noch immer überzeugt, dass man das ursprüngliche Modell der Juniorprofessur konsequent hätte weiterentwickeln sollen – ein stabiles tenure track-Angebot müsste dabei eine Selbstverständlichkeit sein. Für mich selbst ist es ein Trost, dass mir als Akademischem Rat auf Zeit noch eine Dreijahresfrist an der Universität Konstanz eingeräumt wird, um mein zweites Buch, mit dem ich mich auch ordentlich habilitieren werde, zu verfassen. Denn in den Geisteswissenschaften zählt nur dieses Buch, zählt nur diese Qualifikationsform.

Der Beitrag ist erschienen in:
Jürgen Mittelstraß / Ulrich Rüdiger (Hg.): Wie willkommen ist der Nachwuchs? Neue Modelle der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung, UVK Universitätsverlag Konstanz 2011

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