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Die Kraft des Schwarms

Wissenschaft ist manchmal schlicht Fleißarbeit. Etwa dann, wenn große Datenmengen erfasst werden müssen. Das kostet Zeit. Zeit, die Professoren dann fürs Denken fehlt. Ein Münchner Geisteswissenschaftler hat aus der Not eine Tugend gemacht und die Kleinarbeit in ein Spiel verpackt, auf das soziale Netzwerke anspringen.

Das Prinzip ist nicht neu, der Fachbegriff dafür ist längst entwickelt: Crowdsourcing. Hinter diesem Anglizismus verbirgt sich die Übertragung oder Auslagerung von Aufgaben an eine Menge von Ehrenamtlichen im Internet. Genau das tut Professor Dr. Hubertus Kohle. Seit drei Jahren lässt der Kunsthistoriker von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München den digitalen Bildbestand des Instituts für Kunstgeschichte von Internetnutzern verschlagworten und ist mit den Ergebnissen zufrieden.

„Riesige Datenmengen lassen sich so ohne größeren finanziellen Aufwand erheben.“

Doch der Reihe nach. Um die Internetgemeinde als Freizeitarbeiter zu gewinnen, bedarf es mehr als einer hübschen Webseite. Kohle entwickelte zusammen mit einem Kollegen, Prof. Dr. François Bry vom LMU-Institut für Informatik, gleich ein digitales Spiel, Artigo (www.artigo.org). Das kommt offenbar an: „Riesige Datenmengen lassen sich so ohne größeren finanziellen Aufwand erheben“, sagt Kohle.

Um die Kunstwerke mit den Datensätzen zu beschriften, ist eigentlich das Wissen von Experten gefragt.  Doch „diese sind gar nicht zu finanzieren, deshalb waren Alternativen gefragt“, erklärt der Kunstwissenschaftler den Vorteil des Prinzips, das Gewerkschaften naturgemäß als arbeitsmarktpolitisch fragwürdig einstufen müssen. Andererseits würde die Arbeit sonst eben liegen bleiben. Und nicht nur das: Ohne Projekte wie die von Kohle würde die Wissenschaft eine Chance verspielen, sich im Internet bekannt zu machen und Menschen für das jeweilige Fach zu interessieren.

Skepsis unter den Kollegen

Den Ansatz, mittels Web 2.0 an Daten zu kommen, befand die Deutsche Forschungsgemeinschaft denn auch folgerichtig für förderwürdig – und bewilligte im Oktober 2010 rund 250.000 Euro. Bei Artigo werden zwei Mitspieler im Internet, die voneinander keine Kenntnis haben, zusammengeschaltet, um Schlagwörter zu verteilen. In begrenzter Zeit müssen sie versuchen, passende Schlagwörter zu finden, die auch der Mitspieler vergibt. Erst dann gibt es Punkte. Um den spielerischen Aspekt nicht zu vernachlässigen, lobte Kohle Preise aus. Insgesamt 10.000 Spieler sammelten mittlerweile rund vier Millionen Schlagwörter für die bestehenden 25.000 Bilder.

Eine Erfolgsgeschichte, aber eben auch nur eigentlich. Denn unter Kohles Kollegen ist die Methode nicht unumstritten: Ist es der Wissenschaft wirklich dienlich, Laien auf derart spielerische Form in den Forschungsprozess zu integrieren? Genau diese Sorge meint Kohle zerstreuen zu können: „Unbeobachtet geben wohl viele Leute Micky Maus ein, wenn sie das Porträt des heiligen Petrus verschlagworten, aber dass zwei nicht untereinander Kommunizierende beide in diesem Fall Micky Maus eingeben, das schien uns doch sehr unwahrscheinlich.“ Auch wenn Artigo den internetaffinen Teil der Gesellschaft anspricht, der Marketing-Effekt ist nicht zu unterschätzen. Werbung für die eigene Forschungsdisziplin hält der Kunsthistoriker jedenfalls für nötig: „Wenn es den Geisteswissenschaften nicht gelingt, der Öffentlichkeit zu vermitteln, welchen Sinn ihre Arbeit hat, werden sie nicht überleben.“

Soziale Netzwerke dabei zu berücksichtigen, sieht Kohle als „paradigmatischen Wechsel“. Inbesondere Archive oder Museen könnten auf diese Weise versuchen, ein junges Publikum an sich zu binden. „Wer an einem Tag ein Bild im Internet beschrieben hat, wird das Original anderntags im Museum mit völlig anderen Augen betrachten“, sagt Kohle. In der LMU mag der Kunstwissenschaftler ein Pionier sein, weltweit gehört Kohle einem Trend an, der vor mindestens zehn Jahren begann. Laien im Internet für Forschungsarbeiten zu rekrutieren, gehört im angloamerikanischen Raum fast schon zum Forschungsalltag.

Säulen der Sicherheit

Säulen der Sicherheit

Wie beim Forschungsprojekt Artigo die von der Internetge-
meinde erhobenen Daten auf ihre Qualität hin geprüft werden.

  • Qualitätsmanagement: Der strukturelle Aufbau von Artigo liefert die erste Qualitätskontrolle gleich mit: Erst wenn beide Mitspieler den exakt gleichen Begriff eingegeben haben, wird dieser im System als valider Begriff abgespeichert. Damit ist zumindest der Missbrauch ausgeschlossen.
  • Wissenschaftlichkeit: Noch reicht die Zahl der Mitspieler nicht, um zu gewährleisten, dass immer zwei Spieler gleichzeitig teilnehmen. Ist kein zweiter Partner vorhanden, tritt der Spieler gegen den Computer an. Dieser gibt dann unverwechselbare und komplexe Schlagwörter an, die schon einmal zu einem Bild eingegeben wurden. Gibt es noch keine Begriffe, werden die neuen Schlagwörter trotzdem gespeichert.
  • Datenschutz: Personenbezogene Daten werden in dem Artigo-Projekt der  Datenschutzerklärung zufolge nicht erhoben. Sollten Schlagwörter einen direkten Personenbezug aufweisen, können die Nutzer der Veröffentlichung der Schlagwörter jederzeit widersprechen.
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