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Eine kurze Anleitung zum Neinsagen

Junge Wissenschaftler kennen in der Regel nur die eine Seite: Das Stellen eines Forschungsantrages. Doch irgendwann kommt der Tag, an dem sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebeten werden, als Gutachter tätig zur werden. Was tun? Tipps für Debütanten, gegeben von einem erfahrenen Gutachter.

Zunächst fühlen Sie sich gebauchpinselt, dass man Sie um Rat fragt. Dann aber geraten Sie vielleicht in Panik, weil Sie nicht wissen, wie Sie überhaupt einen Antrag beurteilen sollen. Sie können es sich natürlich leicht machen, indem Sie die originelle Idee und das anspruchsvolle Arbeitsprogramm loben – und am Ende das Projekt zur Förderung in voller Höhe vorschlagen. Aber Achtung, das kann auch gravierende Nachteile haben: Die Referenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Ihre Mitgutachter könnten meinen, Sie seien unkritisch. Außerdem verkleinern Sie mit Ihrer Förderempfehlung den DFG-Topf und haben eventuell am Ende des Jahres das Nachsehen, wenn für Ihren eigenen Antrag nicht mehr genug Geld da ist. Ein abgelehnter Antrag führt zwar leider dazu, dass der Antragsteller in nächster Zeit oder vielleicht nie wieder einen Antrag stellen wird, aber dafür können Sie ja nichts. Außerdem lassen Sie eventuell die Gelegenheit verstreichen, sich für eine negative Beurteilung Ihres eigenen Projekts, beispielsweise bei der Begutachtung eines Sonderforschungsbereichs, an einem nervigen Kollegen zu rächen.
Also: Sie müssen den Antrag ablehnen. Das Nein lässt Sie auch für kurze Zeit das berauschende Gefühl der Überlegenheit erleben, das Ihnen kurzzeitig auch über die Serie der misslungenen Experimente in Ihrem Labor hinweghelfen kann. Ach, Sie wissen nicht, wie man einen Antrag am besten ablehnt? Hier kommen ein paar Argumentationshilfen, die Sie fachübergreifend, einzeln oder in Kombination anwenden können:

  • Bei einer völlig neuen Idee behaupten Sie kategorisch, das vom Antragsteller beschriebene Phänomen gäbe es gar nicht oder die neue Methode könne gar nicht funktionieren – und wenn doch, hätte das sicher schon jemand anders beschrieben. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass Ihr eigenes Projekt, das sich im Hauptstrom der Forschung bewegt, nicht unoriginell erscheint.
  • Behaupten Sie, die Fragestellung sei zwar klar, aber viel spannender sei etwas anderes. Wenn etwa jemand über Äpfel forschen will, sagen Sie, dass Birnen viel interessanter seien. Oder umgekehrt. Das können Sie allerdings nicht als junger Mensch machen; dafür sollten Sie schon über ein gewisses Ansehen in der Fachwelt verfügen.

 

Wenig Arbeit, ohne Risiko

  • Kritisieren Sie den Umfang der Vorarbeiten als zu gering. Das lässt Sie als besonders solide erscheinen. Sie wissen ja selbst: Am besten hat man das Projekt schon fast fertig, bevor man den Antrag dazu schreibt. Pech für kleinere Arbeitsgruppen, die nicht so vorgehen können.
  • Kritisieren Sie die mangelnde Qualifikation des Antragstellers. Das ist besonders einfach, wenn er in den letzten Jahren keine Arbeit in einer Top-Zeitschrift wie Science, Nature oder Nature Genetics veröffentlicht hat. Zugegeben: das sind Modejournale, bei denen professionelle Editoren und Zitationskartelle definieren, welche Forschungsrichtung gerade besonders heiß ist (Ein amerikanischer Kollege von mir pflegt zu sagen: „Die Arbeit stand in Nature, könnte aber trotzdem richtig sein“). Auch sind Impact Factor und Science Citation Index keine geeigneten Indikatoren für die Kreativität eines Wissenschaftlers; aber die meisten Gutachter und Forschungspolitiker lieben simple Kennziffern und werden Ihnen zustimmen, dass ein Forscher, der in den letzten Jahren nicht in den genannten Zeitschriften publiziert hat, auch in den nächsten 30 Jahren nie eine wichtige Entdeckung machen wird. Sie selbst haben vielleicht auch keine Top-Publikation, aber Sie müssen als Gutachter auch kein Publikationsverzeichnis vorlegen. Ein weiterer großer Vorteil dieser Argumentation ist übrigens, dass Sie sich mit dem wissenschaftlichen Konzept des Antrags nicht auseinandersetzen müssen. Das ist sowieso zu viel Arbeit und birgt das Risiko, dass Ihre eigenen Wissenslücken auffallen könnten.
  • Listet der Antragsteller doch einigermaßen gute Publikationen, haben Sie vielleicht Glück, dass er sich auf ein neues Forschungsgebiet begibt, in dem er natürlich noch nicht viele Artikel aufweisen kann. Hier können Sie ihn als unqualifiziert erwischen. Wer einmal mit einem Gebiet angefangen hat, sollte besser auch dabei bleiben. Dieses Argument kenne ich besonders gut, weil damit mein allererster DFG-Antrag abgelehnt wurde. Ich hatte in Biochemie promoviert und wollte mit einem Postdoktorandenstipendium in die Humangenetik wechseln. Die Gutachter fanden, ich sollte besser Biochemiker bleiben. Außerdem könne man Krankheitsgene nicht per Kopplungsanalyse identifizieren (siehe Argument 1). Hätte mich damals nicht die europäische Wissenschaftsorganisation der Molekularbiologie EMBO gefördert, wäre ich heute nicht Lehrstuhlinhaber für Humangenetik.
  • Wenn Sie an der Qualifikation des Antragsstellers und der Originalität des Projekts nichts auszusetzen finden, bietet meist das Arbeitsprogramm gute Chancen. Wenn der Antragsteller beispielsweise ein Experiment vorschlägt, das er bislang noch nicht durchgeführt hat, sagen Sie einfach, dass er die Technik nicht beherrsche. Oder wenn er vorschlägt, die Methoden A und B für eine Fragestellung zu benutzen, sagen Sie einfach, Methode C sei besser. Schlägt er B und C vor, sagen Sie, A sei besser. Diese Argumentation lässt Sie als besonders kompetent erscheinen. Etwas unschöner, aber genauso wirksam ist, die vorgeschlagenen Methoden als inadäquat zu bezeichnen, ohne eine Alternative vorzuschlagen.
  • Schöne Totschlagargumente sind auch die Behauptungen, das beantragte Projekt sei zu deskriptiv oder es würde nur korrelative Daten erzeugen. Auch wenn es bei vielen Projekten nicht anders geht – diese Ausdrücke haben einen wunderschönen negativen Beiklang, der Wunder wirkt. Probieren Sie es ruhig einmal aus!
  • Immer noch nichts gefunden, wo Sie einhaken können? Nur nicht verzweifeln. Kein Antrag ist perfekt. Suchen Sie das Haar in der Suppe und bohren Sie das kleine Problemchen zu großer Bedeutung auf. Sagen Sie, damit stünde oder besser fiele der Antrag. Aber Achtung, Sie dürfen sich dann zu Anfang des Gutachtens nicht zu überschwänglich über die Qualifikation des Antragstellers und die Originalität des Projekts äußern.

 

Einfach mal behaupten

Ein schönes Argument für das Fazit ist, das Projekt sei zu riskant und die Erfolgsaussichten unklar. Großer Vorteil: Das kann und muss man nicht begründen. Einfach mal behaupten!

  • Zu guter Letzt bleibt immer noch die Behauptung, der Antrag sei für den zu erwartenden Erkenntnisgewinn zu teuer. Das ist kein schönes Argument, lässt Sie aber als verantwortungsvollen Forscher erscheinen und erfreut die DFG, die im Normalverfahren sparen muss, weil sie zu viel koordinierte Forschung fördert. Diese Förderungspolitik erstickt zwar kreative Vielfalt, aber das ist ja nicht Ihr Problem.

Wenn Sie diese Argumente einsetzen, wird Ihnen die Ablehnung eines Antrags keine Probleme mehr bereiten. Das Fachkollegium und die DFG-Referenten werden Ihrer Empfehlung mit Sicherheit folgen, denn die Gutachter haben immer Recht, der Antragsteller nie. Und außerdem ist die Ablehnung des Antrags ja nicht nur gut für Sie, sondern auch für die deutsche Forschung: Sie garantieren damit risikoarme Mainstream-Forschung und wissenschaftliche Monokulturen. Und das wollen wir doch alle, oder?

Der Beitrag ist auch im Laborjournal, Ausgabe 09/2011 erschienen

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