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"Es bedarf einer gewissen Weltoffenheit"

Ob Frankreich, Großbritannien, USA, Schweden, Niederlande, Österreich oder die Schweiz – kein Land leistet sich so wenig festangestellte Wissenschaftler unterhalb der Professorenebene wie Deutschland. Das muss sich unbedingt ändern, sagt der Wittenberger Hochschulforscher Reinhard Kreckel, und fordert Tabubrüche.

duz: Herr Kreckel, während viele nach mehr Professuren rufen, lenken Sie den Blick eine Etage tiefer. Sie stört das „Loch“ unterhalb der Professur. Warum?

Kreckel: Schauen Sie sich die Zahlen doch  genauer an: Anfang der 90er-Jahre begannen rund 25 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium, heute tun das etwa 37 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist das Hochschulpersonal kaum aufgestockt worden. Um die derzeit rund zwei Millionen Studierenden gut auszubilden, könnte man natürlich mehr Professoren einstellen. Dafür fehlt den Ländern allerdings das Geld. Schon deshalb  ziehe ich die Alternative vor, die in unseren europäischen Nachbarländern gang und gäbe ist: Dort gibt es überall eine starke Gruppe von fest bestallten, selbstständig forschenden und lehrenden Lecturers, Dozenten, Maître de Conférences oder Ähnliche, die im deutschen Hochschulsystem kaum vertreten sind.

duz: Wie viele feste Stellen wären nötig?

Kreckel: Die Frage ist in erster Linie nicht einmal, wie viele Stellen fehlen. Es geht darum: Ist die bestehende Stellenstruktur richtig und sinnvoll besetzt? An Deutschlands Universitäten besteht das wissenschaftliche Personal nur zu knapp 20 Prozent aus selbstständigen Hochschullehrern, also in der Regel: Professoren und Juniorprofessoren. Den Rest rechnet man dem sogenannten „Mittelbau“ zu. Zu ihm zählen alle, die nicht selbstständig lehren und forschen und die nach der Philosophie des deutschen Hochschulsystems als Qualifikanten gelten. Diese 80 Prozent wissenschaftlicher Mitarbeiter bestehen faktisch wiederum zu zwei Dritteln aus befristet Beschäftigten. Nur ein Drittel verfügt über Dauerverträge. Manche davon sind vornehmlich in der Lehre, andere primär in der Forschung aktiv.

duz: Was ist an der Struktur schlecht?

Kreckel: Ein Beispiel: Eine Professur wird vakant. Bis ein Nachfolger berufen ist, können in Deutschland schon einmal zwei bis drei Jahre vergehen. Während dieser Zeit hängen die wissenschaftlichen Mitarbeiter am Lehrstuhl in der Luft und warten auf den neuen Gottkönig oder die neue Gottkönigin. Der oder die Neue bringt natürlich den eigenen Tross mit. Während der gesamten Phase können einem die Studierenden nur leid tun. Sie müssen sich nämlich mit Lehrstuhlvertretern begnügen. Gäbe es in Deutschland unterhalb der Professur mehr eigenständige Hochschullehrer, würden personelle Umbrüche wie diese leichter und besser abgefedert

duz: Woher soll das Geld für die Stellen kommen?

Kreckel: Früher gab es die C1-Stelle für  wissenschaftliche Assistenten. Das waren in der Regel promovierte Nachwuchsforscher, die für sechs Jahre angestellt waren.  Ein Teil der Positionen, die früher einmal der C1-Assistent war, wäre prädestiniert dafür, in eine unbefristete Dozentenstelle umgewandelt zu werden. Das dürfte noch nicht einmal mit großen Mehrkosten verbunden sein.

duz: Warum geschieht es dann nicht?

Kreckel: Es gibt einen Pferdefuß: Die Professoren verlören „ihre“ Assistenten. Auf sie werden sie sicher nicht freiwillig verzichten. Deshalb stagniert zum Beispiel ja auch die Zahl der Juniorprofessuren bei rund 800.

duz: Was also tun?

Kreckel: Man könnte Professuren zunächst mit einem Dozenten oder Juniorprofessor unterbesetzen und sie dann – nach erfolgreicher Evaluation – per tenure track wieder aufwerten. Dagegen spricht aber das traditionelle Lehrstuhlprinzip: Wir denken in Deutschland bis heute, dass ein Fach erst existiert, wenn es mit einer Professur ausgestattet ist. Am liebsten wäre es Professoren, wenn sie drei oder vier Assistenten hätten!

duz: Wie könnte man sie umstimmen?

Kreckel: Es bedarf einer gewissen Weltoffenheit, um zu erkennen, dass es dem Laden insgesamt besser ginge, wenn es in einem Institut neben den Professoren fest etablierte Dozenten mit den gleichen akademischen Rechten und Pflichten gäbe, sodass die Aufgaben der Lehre, Forschung, Nachwuchsbetreuung und - leider zunehmend - der Verwaltung auf mehrere Schultern verteilt werden können.

duz: Der Wissenschaftsrat hat Anfang Juli weiter gedacht und Empfehlungen zur Lehre beschlossen, die Ihnen gefallen dürften.

Kreckel: Ja, das ist mir nicht entgangen.  Ebensowenig wie der Trend, der sich zurzeit an Stellenausschreibungen ablesen lässt: Da werden Lehrkräfte für besondere Aufgaben gesucht, die ein Lehrdeputat von bis zu 18 Semesterwochenstunden vorsehen. Voraussetzung für die Stelle ist die Promotion. Qualitätssicherung – Fragezeichen! Wer solch eine Stelle annimmt, für den ist die Einheit von Forschung und Lehre reine Fiktion. Es ist einfach nicht machbar, neben einem solchen Lehrdeputat noch auf hohem Niveau zu forschen. Deshalb werden solche Stellen oft geteilt.

duz: Und die Stelleninhaber schultern dann für 1500 Euro das Deputat eines W3-Professors, der rund 6000 Euro verdient. Ihr Vorschlag würde mehr kosten. Beschneidet er nicht auch die Flexibilität der Rektoren bei der Personalplanung? 

Kreckel: Nicht zwingend. Wenn Hochschulen in Deutschland wirklich Personalautonomie bekämen, könnten sie ihre Personalentwicklungspläne ganz flexibel gestalten. In Großbritannien zum Beispiel werden Stellenausschreibungen oft bewusst offen gehalten.

duz: Warum?

Kreckel: Dadurch gewinnt die Hochschulleitung Flexibilität. Hat sie einen dicken Fisch an der Angel, wird sie ihn mit einer Professur zu halten versuchen. Dem weniger erfahrenen Kollegen wird dagegen eine Lecturer-Position angeboten – verknüpft mit der Chance, bei Bewährung zum Senior-Lecturer und zur Professur aufzusteigen. Das Hausberufungs-
tabu gibt es außerhalb Deutschlands ja nicht, was sich im Zeitalter des Brain-Drain als Standortvorteil erweist. Wenn Rektoren in Deutschland diese Flexibilität hätten, wären sie sicher begeistert!

duz: Dafür müssten die Länder Macht abgeben. Ist das realistisch?

Kreckel: Die Ministerien müssen auf jeden Fall erkennen, dass das harte Regime von Stellenplänen schädlich ist. Die Hochschulen brauchen dringend Personalautonomie. In den Universitäten und der Professorenschaft muss sich dagegen die Erkenntnis durchsetzen, dass die Aufstockung der Professuren nicht der einzige Weg zur Qualitätssicherung in Forschung und Lehre ist.

duz: Der Nachwuchs lehnt die Lehrprofessur als „zweitklassig“ ab. Können Sie die Sorgen der Jungen zerstreuen?

Kreckel: In Gestalt der Fachhochschulprofessur, in der die Forschung nur einen verschwindend kleinen Teil ausmacht, haben wir die Lehrprofessur ja längst. Das sollte kein Vorbild für die Universitäten sein. Unsere  international vergleichende Studie ergab zweierlei: Zum einen sollte bei den Professoren die Balance zwischen Lehr- und Forschungsaufgaben flexibler gestaltet werden, in einer Bandbreite zwischen vier und zwölf Semesterwochenstunden. Zum anderen schlagen wir die verstärkte Einführung von Dozenturen mit analoger Aufgabenverteilung vor.

duz: Warum sollte sich der Nachwuchs die  Zukunft mit einer wenig prestigeträchtigen Dozentur verbauen?

Kreckel: In Großbritannien, Schweden oder den Niederlanden gibt es da kein Problem. Dort setzt sich der Lehrkörper aus Lecturer, Senior Lecturer und Professoren zusammen. Natürlich streben Lecturer auch auf die Professur. Und natürlich gelingt das nicht allen. Es will auch jeder Europameister im Fußball werden und am Ende schafft es nur einer. Die hohe Selektivität ist in Hochschule und Wissenschaft nicht das Problem. Wir brauchen nur ein balanciertes System, das Möglichkeiten nach oben öffnet und Anreize bietet, überhaupt nach oben zu streben.

duz: Worin bestünde der Anreiz, wenn junge Talente sehr früh auf Dauerstellen landen?

Kreckel: Das Wissenschaftssystem ist insgesamt in einem so hohen Maße kompetitiv, dass aufs Ganze gesehen nicht mit Qualitäts­einbußen zu rechnen ist. Das sagt auch der Blick ins Ausland: Die Hochschul- und Wissenschaftssysteme, die Forschern zwischen der Promotion und der Professur nach der Bewährungsphase unbefristete Arbeitsverträge bieten, halten international bestens mit – zumal dann, wenn es eine solide „tenure evaluation“ gibt, das funktionale Äquivalent unserer althergebrachten Habilitation.

Professor Dr. Reinhard Kreckel

Professor Dr. Reinhard Kreckel

Geboren 1940, studierte Kreckel Soziologie, Geschichte und Philosophie in West-Berlin, Paris, Aix-en-Provence und München, wo er 1969 promovierte. Kreckel war Lecturer und Senior-Lecturer für Soziologie an der Universität Aberdeen (Schottland). Von 1977-1992 lehrte er Soziologie an der Uni Erlangen-Nürnberg. Er hatte mehrere Gastprofessuren im Ausland, unter anderem in den USA und Frankreich inne. 1992 wurde Reinhard Kreckel Gründungsprofessor für Soziologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und war 1996 bis 2000 ihr Rektor. Seit 2001 ist er Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) Wittenberg.

Reinhard Kreckels Vergleichsstudie im Gebiet Hochschulforschung hat folgenden Titel: Zwischen Promotion und Professur. Das wissenschaftliche Personal in Deutschland im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien, USA, Schweden, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Akademische Verlagsanstalt: Leipzig 2008, 410 S., ISBN 978-3-931982-61-4, Preis: 29,00 Euro

 

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