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Frühaufsteher oder Nachteule?

Wer auf seine innere Uhr hört, hat mehr vom Arbeitsleben.

Jeder hat sie, viele ignorieren sie – die innere Uhr. Doch ohne sie läuft nichts. Sie steuert den Stoffwechsel und den Schlaf­Wach­Rhythmus, unsere Stimmung, macht uns zum Partymuffel oder zur Spaßkanone, und idealerweise beeinflusst sie sogar die Berufswahl. Denn wer morgens gerne länger schläft, sucht sich besser auch seinen Broterwerb danach aus.

Der Takt der inneren Uhr ist zwar angeboren, variiert jedoch innerhalb des Lebenszyklus. Denn ob jemand zu den Lerchen, also zu den Frühaufstehern, zählt, oder erst gegen Abend zu Höchstform aufläuft und dafür morgens schwer aus den Federn kommt, verändert sich nur während der Pubertät, pendelt sich aber später wieder auf das bekannte Muster ein. Noch ist unklar, weshalb sich bei Jugendlichen die Schlafphasen so deutlich nach hinten verschieben. Viele Teenager quälen sich morgens nur mit Mühe aus dem Bett und sitzen dann apathisch im Unterricht. Doch vor einem späteren Schulbeginn schrecken hierzulande die Verantwortlichen zurück. Das liegt nicht nur am strikten Busfahrplan für Kinder auf dem Land, die mitten in der Nacht aufstehen müssen, um rechtzeitig zur Schule zu kommen. Auch der eng getaktete Zeitplan von berufstätigen Eltern käme bei einem späteren Schulbeginn durcheinander.

Dr. Thomas Kantermann ist Chronobiologe und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesen Fragen. Nach dem Studium der Biologie und Psychologie promovierte er im Bereich Chronobiologie und habilitierte sich im Fachgebiet Medizinische Psychologie an der Ludwig-­Maximilians-­Universität München. Er lehrt an verschiedenen Standorten der FOM, Hochschule für Ökonomie und Management in Essen, und berät als freiberuflicher Wissenschaftler Unternehmen und Kommunen in diesen Fragen. Etwa die unterfränkische Kurstadt Bad Kissingen, die sich „Chrono-­City“ nennt und versucht, möglichst viele Aspekte des Lebens an die Bedürfnisse des Einzelnen und dessen innere Uhr anzupassen. Ziel ist eine ausgeschlafene Gesellschaft. Doch auch dort zeigt sich, dass es besonders schwer ist, eingefahrene Gewohnheiten wie den frühen Schulbeginn nach hinten zu verschieben und an die innere Uhr der Schüler anzupassen. Dabei benachteiligt das System viele Jugendliche. „Wir selbst und Kollegen weltweit haben Studien dazu gemacht. Je später der Chronotyp, desto schlechter sind die schulischen Leistungen“, sagt Kantermann. Der Wissenschaftler empfiehlt, wenigstens die Prüfungszeiten anzupassen, und ergänzt: „In den USA gibt es Pilotprojekte in Schulen, in denen der Unterricht für die 6. Jahrgangsstufe erst um 13 Uhr beginnt.“

Kantermann vergleicht die unterschiedlichen Chronotypen mit der Körpergröße, Früh­ und Spätaufsteher halten sich die Waage, dazwischen gebe es viele Abstufungen. Ideal wäre es, morgens ohne Wecker aufzustehen und wichtige Aufgaben, die hohe Konzentration erfordern, in die eigenen leistungsstarken Tagesphasen zu verlegen. Doch viele leben und arbeiten gegen ihren inneren Rhythmus. Vor allem wer wie Feuerwehrleute, Ärzte, medizinisches Fachpersonal oder Polizisten sieben Tage in der Woche in das enge Korsett eines 24­-Stunden-­Schichtplans eingespannt ist, leidet mitunter darunter. Ein von außen oktroyierter Arbeitsrhythmus gefährdet auch in anderen Berufszweigen die Gesundheit von Berufstätigen. Meistens gehorcht ein Drei­-Schichtendienst in der Produktion nur wirtschaftlichen Erfordernissen. „Das Gesundheitsrisiko von Schichtarbeitern ist deutlich erhöht, und zwar für die meisten Krankheitsbilder, von Schlafproblemen über Herz­-Kreislauferkrankungen und laut manchen Studien bis hin zu Krebs. Allerdings haben wir die Zusammenhänge bisher nur unzureichend verstanden“, sagt der Chronobiologe.

Auch der öffentliche Nahverkehr in Großstädten funktioniert nur, wenn die Fahrer im Schichtdienst arbeiten. Deshalb beschäftigt Betriebsärzte seit vielen Jahren die Frage, wie sie die Arbeitspläne möglichst mitarbeiterfreundlich gestalten können. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, aus vier sogenannten „Dienstlagen“, nämlich Früh­, Tag­, Spät­ und Nachtdienst, eine Schicht auszuwählen, die ihren persönlichen Bedürfnissen entgegenkommt. So wird versucht, die Dienstpläne an den natürlichen Rhythmus der Mitarbeiter anzupassen. Auch wenn der Aufwand für die Planung hoch sei, lohne er sich, denn die Mitarbeiter seien zufriedener, wie Kantermann aus Gesprächen mit der BVG-Betriebsärztin weiß.

In einer Arbeitswelt, in der die permanente Verfügbarkeit als modernes Credo gilt, wirkt es anachronistisch, den natürlichen Rhythmus des Einzelnen einzubeziehen. Der Wissenschaftler Kantermann plädiert aber für solche individuellen Ansätze: „Personalverantwortliche interessieren sich für das Thema und mehr Betriebe erkennen, dass sie von flexibleren Arbeitszeiten klar profitieren.“ Feste Arbeitszeiten widersprechen nämlich der inneren Uhr der Arbeitnehmer. Dabei reichen den meisten kleine Spielräume und Freiheiten, um besser und zufriedener zu arbeiten. Ganz egal, welchen Takt die innere Uhr vorgibt, genügend Schlaf bildet die Grundlage für einen produktiven und gesunden Tagesablauf. Von Modeerscheinungen wie Power Napping oder Mittagsschlaf im Büro hält Thomas Kantermann dagegen wenig: „Wer immer einen Mittagsschlaf braucht, um durch den Tag zu kommen, schläft nachts meist zu wenig.“ Der Experte empfiehlt, lieber die Mittagspause draußen an der frischen Luft zu verbringen und Sonnenlicht zu tanken. Denn wer synchron mit seiner inneren Uhr lebt, ist zufriedener, ausgeschlafener und leistungsfähiger, das legen zahlreiche Studien nahe.

Besonders in den dunklen Monaten des Jahres fördern leistungsstarke Arbeitsleuchten, die der Lichtstärke des Tageslichts nahe kommen, die Konzentration der Mitarbeiter. In vielen Büros berücksichtigen Innenarchitekten mittlerweile diese Erkenntnisse. Auch für Klassenzimmer, Lesesäle in Bibliotheken oder Hörsäle an Hochschulen gelten diese Regeln – sollen Studierende und Schüler aufmerksam den Ausführungen der Lehrkraft lauschen, hilft eine gute Beleuchtung weiter. Abends vor dem Einschlafen gelten andere Regeln. Blaues Licht, das von Bildschirmen ausgeht, beeinträchtigt die Schlafqualität und hält Menschen länger wach, als es ihrem inneren Rhythmus entspricht. Dagegen hilft ein einfacher Trick: Tablets, Laptops, Smartphones oder Fernseher einfach aus dem Schlafzimmer verbannen. Mit einem dicken Schmöcker und einer Leselampe kommt die Müdigkeit viel schneller und der Schlaf ist gesünder.

Die meisten kennen den eigenen Chronotyp und wissen, wann sie besonders konzentriert arbeiten können, wann ihre Aufmerksamkeit am höchsten ist. Alle, die permanent gegen ihre innere Uhr leben und die eigenen Hochzeiten nicht kennen, können es ganz einfach im Urlaub im Selbstversuch herausfinden. Wer morgens ohne Wecker aufsteht und den größten Teil des Tages draußen verbringt, am Strand oder in den Bergen, dann zu Bett geht, wenn die Müdigkeit kommt, findet schnell den idealen eigenen Rhythmus und weiß bald, wann seine Konzentration am höchsten und der Wunsch nach Zerstreuung am größten ist. Idealerweise sollte dieses Wissen auch in den Alltag einfließen, also ohne Wecker aufstehen und alle kniffligen Arbeiten in den eigenen Hochleistungsphasen erledigen. Dieses Wissen im Alltag eingesetzt, führt dazu, dass die Erholung lange anhält, die Arbeit leichter von der Hand geht und die persönliche Zufriedenheit zunimmt.

Der eigene Chronotyp lässt sich zwar erforschen, doch die innere Uhr kann nur begrenzt umprogrammiert werden. Selbst mit diszipliniertem Training wird aus einer Eule keine Lerche, die innere Uhr widersetzt sich solchen Tricks. Zwar lässt sich der eigene Rhythmus leicht um eine Stunde verschieben. Doch einfacher ist es, die Vorteile des eigenen Chronotyps zu kennen und zu schätzen, anstatt dem frühen Vogel nachzutrauern. Denn das bekannte Sprichwort lässt sich auch leicht uminterpretieren, frei nach dem Motto: Der frühe Vogel kann mich mal.

Fakten zur Chronobiologie

  • ​Die Chronobiologie untersucht die zeitliche Organisation physiologischer Prozesse und wiederholter Verhaltensmuster von Organismen und wie sich die innere Uhr nach äußeren Einflüssen verändert. Erste Aufzeichnungen gab es schon im 18. Jahrhundert, aber erst im 20. Jahrhundert begann die wissenschaftliche Erforschung.
  • Aufsehen erregten Mitte der 1960er-Jahre die Experimente der deutschen Physiologen Prof. Dr. Jürgen Aschoff und Prof. Dr. Rütger Wever, die Versuchspersonen für vier Wochen in einem unterirdischen Raum ohne Tageslicht isolierten. Die als „Bunkerexperiment“ bekannt gewordenen Studien zeigten, dass sich die Probanden an ihrer inneren Uhr orientierten, wenn sie den natürlichen Tag­ und Nacht-Rhythmus nicht erleben konnten. Auch wenn ihre Tage teilweise 25 Stunden hatten, blieb das Zeitgefühl der Probanden doch erhalten.
  • Auch in den USA wird intensiv zur inneren Uhr geforscht. Dieses Engagement wurde in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin 2017 ausgezeichnet, der zu gleichen Teilen an die Ph.D. Professoren Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young geht, und zwar für ihre Entdeckungen molekularer Mechanismen, die das Phänomen der inneren Uhr und ihrer Steuerung untersuchten.

Literaturtipps

  • Der Münchner Professor Dr. Till Roenneberg lehrt am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sein Forschungsgebiet ist die Chronobiologie. In dem Buch „Wie wir ticken“ erzählt er auf amüsante und interessante Weise, was die Wissenschaft der Chronobiologie an Erkenntnissen zu bieten hat. Beispielsweise wie die innere Uhr tickt und damit Menschen, Tieren und Pflanzen gleichermaßen den Lebensrhythmus vorgibt. In nette Fallgeschichten gepackt, klingen selbst staubige Studien durchaus spannend. Außerdem regt die Lektüre ganz nebenbei den aufmerksamen Leser an, stärker nach dem eigenen inneren Rhythmus zu leben. Till Roenneberg: Wie wir ticken. Dumont Verlag, Köln 2012, 312 Seiten, 9,90 Euro.
  • Der Wissenschaftsjournalist Peter Spork erklärt in seinem Sachbuch „Wake up!“ anhand zahlreicher wissenschaftlicher Studien, welche Chronotypen es gibt und wie sie sich voneinander unterscheiden. Jedes der acht Kapitel schließt mit einem konkreten Wake-up-Plan und vielen praktischen Tipps. Selbst wenn Spork einräumt, dass sich sein Masterplan nicht uneingeschränkt umsetzen lässt, so bringen die Anregungen zum Nachdenken und mancher Hinweis findet idealerweise den Weg in den eigenen Alltag. Natürlich plädiert der Autor auch für die Abschaffung der Sommer- und Winterzeit. Immerhin in diesem Punkt ist in die öffentliche Diskussion Bewegung gekommen.Peter Spork: Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft. 2016, dtv Verlag, München 2016, 9,90 Euro.

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