POLITIK & GESELLSCHAFT

FORSCHUNG & INNOVATION

STUDIUM & LEHRE

KOMMUNIKATION & TRANSPARENZ

ARBEIT & PSYCHOLOGIE

WISSENSCHAFT & MANAGEMENT

75 JAHRE DUZ

 Login

„Ein schleichender Prozess“

Wann sind Menschen so unzufrieden, dass sie ihren Job hinschmeißen? Die Berliner Soziologin Hildegard Matthies untersucht das Phänomen „Cooling out“.

duz: Frau Matthies, Sie beschäftigen sich mit einem Phänomen aus der Arbeitswelt, das Sie Cooling out nennen. Bitte erklären Sie, was das bedeutet.

Matthies: Cooling out bedeutet, dass Menschen nach und nach ihre Ambitionen für eine bestimmte Sache aufgeben, zum Beispiel ihren Beruf. Sie kühlen ab, verlieren das Interesse an der Tätigkeit.

duz: Was wollen Sie in Ihrem Forschungsprojekt herausfinden?

Matthies:Wir haben das Projekt begonnen, weil Cooling out zwar ein geläufiger Begriff ist, bisher aber nur die Ergebnisse dieses Prozesses untersucht wurden. Zum Beispiel wird der Begriff benutzt, um zu erklären, weshalb Frauen deutlich häufiger aus der Wissenschaft aussteigen als Männer. Oder er fällt im Zusammenhang mit den Bildungswegen von Jugendlichen, die keinen Hauptschulabschluss haben. Diese Jugendlichen bewerben sich häufig nicht, weil sie denken, dass sie eh keinen Ausbildungsplatz ergattern werden. Diese Vorgänge werden Cooling out genannt. Aber bei beiden Vorgängen wissen wir nur, was am Ende des Prozesses steht. Wie das Cooling out vonstatten geht und wodurch es ausgelöst wird, das ist bisher unbekannt und das wollen wir herausfinden.

duz: Wie verläuft dieser Prozess?

Matthies: In der Regel können die Betroffenen erst im Nachhinein schildern, wie das Abkühlen vonstatten ging. Meist beschreiben sie es als einen schleichenden Prozess des Motivationsverlustes, dem sie nur im Rückblick bestimmte Schlüsselerlebnisse zuordnen können. Sie können zum Beispiel sagen, an welchem Punkt es nicht mehr so toll war oder welches Ereignis das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wir haben verschiedene Konstellationen ausmachen können, die Auslöser für ein Cooling out sein können. So sind einige unserer Interviewpartner mit diffusen Vorstellungen ins Arbeitsleben gestartet, was sie in dem gewählten Beruf erwartet, und dann enttäuscht worden. Andere haben in ihrer Tätigkeit keine ausreichende Anerkennung für ihre Leistung erhalten. Oder es sind ethische Konflikte aufgetaucht. Solche Fälle sind wirklich tragisch, weil sie auf strukturelle Probleme des Erwerbslebens verweisen, die sich individuell nicht lösen lassen.

duz: Wie lässt sich das Cooling out abgrenzen vom Burnout?

Matthies: Die Abgrenzung besteht darin, dass beim Burnout ein psychologischer und physischer Erschöpfungszustand dazu führt, dass die Betroffenen nicht mehr können. Beim Cooling out ist es eher ein reflektiertes Nicht­mehr­Wollen. Das Burnout wird häufig bei Menschen beobachtet, die sehr hohe Selbstansprüche haben, was man von den Menschen, die ein Cooling out erfahren, nicht immer sagen kann. Größter Unterschied ist diese Selbstreflexion, über die das Cooling out subjektiv realisiert wird. Aber es gibt sicher auch Überlappungen, die wir im Projekt genauer ausloten wollen.

duz: Sind bestimmte Menschen prädestiniert dafür, in die Cooling­out­Falle zu tappen?

Matthies: Grundsätzlich kann es jeden treffen. Weniger anfällig sind sicherlich diejenigen, die von Kindesbeinen an darin bestärkt wurden, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Das führt häufig dazu, dass sie ihren Weg mit großer Selbstüberzeugung gehen. Anfälliger sind Menschen, die ihren Berufsweg eingeschlagen haben, um eine Außenerwartung zu bedienen. Problematisch wird es eher auch für diejenigen, die sich vor allem aus Statusgründen für einen bestimmten Bildungs­ oder Berufsweg entschieden haben.

duz: In der Wissenschaft entscheiden sich viele Frauen im Laufe ihrer Karriere auszusteigen. Betrifft das Cooling out insgesamt eher Frauen als Männer?

Matthies: Diese Schlussfolgerung können wir nicht ziehen. Wir sind in unserer Forschung noch gar nicht an dem Punkt, das quantifizieren zu können. Ich kann sagen, dass es viel schwieriger ist, Männer für unsere Interviews zu finden als Frauen. Das heißt aber noch nicht, dass das Phänomen bei Frauen häufiger auftritt. Es kann  sein, dass Männer einfach nicht darüber sprechen. Vielleicht auch, weil sie ganz anderen Erwartungen ausgesetzt sind. Eine Karriere aufzugeben ist leider immer noch negativ behaftet; es hat immer etwas von „der hat es nicht geschafft“. Das ist natürlich falsch. Ein Umbruch in der Berufsbiografie ist kein Scheitern.

duz: Gibt es Arbeitswelten, in denen Cooling out besonders häufig auftritt?

Matthies: Nein, das kann man nicht sagen. Cooling out hat zwar auch etwas mit den Kommunikations- und Anerkennungskulturen der Organisationen zu tun, in denen die Betroffenen arbeiten. Aber die Probleme, die es dabei geben kann, können in allen Berufsfeldern auftreten. Und die gibt es in Großunternehmen genauso wie in Kleinunternehmen oder in der Wissenschaft.

duz: Können Vorgesetzte demnach der übermäßigen Ernüchterung vorbeugen?

Matthies: Da stehen wir noch ganz am Anfang der Forschung, deswegen kann ich nur Allgemeines dazu sagen: Es ist sicherlich gut, wenn Führungskräfte im Gespräch mit ihren Mitarbeitern bleiben, um herauszufinden, ob diese sich noch wohlfühlen. Sie müssen sich fragen, ob die Anerkennungskultur stimmt und ob die symbolischen Anerkennungspraktiken noch mit dem übereinstimmen, was auf der anderen Seite erwartet wird.

duz: Steht am Ende des Cooling­out­-Prozesses immer das Aufgeben des Jobs?

Matthies: Es gibt sicherlich auch Menschen, die in ihrem Job bleiben. Die müssen sich aber dann frustriert und demotiviert irgendwie über Wasser halten. Was wir festgestellt haben: Selbst ein hohes Gehalt hält die Abgekühlten nicht unbedingt. Wir haben mehrere Betroffene, die Abfindungen, die ihre Arbeitgeber im Zuge von Umstrukturierungen allen Mitarbeitern angeboten haben, sofort angenommen haben. Dieses im Vergleich zum Gehalt kleine Butterbrot reichte als Anstoß aus, um den Schritt aus der Sicherheit raus zu wagen.

duz: Was können Betroffene selber tun, um nicht hinzuschmeißen?

Matthies: Bevor man seinen Beruf aufgibt, ist es sicher sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu holen, zum Beispiel durch einen Berufscoach. Viele unserer Interviewpartner haben das auch getan. Selbst wenn sich darüber das Interesse am Beruf nicht wieder erwärmen lässt, kann eine professionelle Beratung dabei helfen, dass man durch die Berufsaufgabe nicht in ein tiefes Loch fällt, sondern einen Weg in eine stimmige berufliche Zukunft findet.

Dr. Hildegard Matthies
ist in der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig

 

 

 

 

Das Interview führte Annick Eimer.

Das Projekt

Fakten zu „Cooling out – Transformation beruflicher Antriebsstruktur“

Methode
Die Wissenschaftler führen qualitative Interviews mit Menschen, die von sich selber sagen, dass sie an einem Wendepunkt in ihrem beruflichen Leben stehen. Die Forscher rekrutieren ihre Studienteilnehmer zumeist über Coaches, die ihren Klienten, die sich beruflich verändert haben oder verändern möchten, eine Teilnahme an der Studie empfehlen. Bisher wurden 21 Interviews geführt.

Ziel
Die qualitative Studie soll so viele Erkenntnisse bringen, dass es möglich wird, eine quantitative Untersuchung anzuschließen.

Finanzierung
Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Dauer von drei Jahren mit rund 300 000 Euro finanziert.

Diese Cookie-Richtlinie wurde erstellt und aktualisiert von der Firma CookieFirst.com.

Login

Der Beitragsinhalt ist nur für Abonnenten zugänglich.
Bitte loggen Sie sich ein:
 

Logout

Möchten Sie sich abmelden?

Abo nicht ausreichend

Ihr Abonnement berechtigt Sie nur zum Aufrufen der folgenden Produkt-Inhalte: