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Forschungsrat belohnt Grundlagenwissenschaftler mit Geschäftssinn

Das Gros der Brüsseler Forschungsmilliarden fließt in anwendungsorientierte Projekte. Lediglich 7,5 Milliarden Euro sind für exzellente Grundlagenforscher reserviert. Doch auch sie werden langsam auf den Markt geeicht.

Wenn alles nach Plan läuft, kommen Energiesparlampen künftig ohne giftiges Quecksilber aus. Den Weg dorthin bereitet Prof. Dr. Anja-Verena Mudring. Seit vier Jahren erforscht die Chemikerin der Ruhr-Universität Bochum das Potenzial „ionischer Flüssigkeiten“. Das sind Salze, die selbst bei Raumtemperatur flüssig sind. Ein umweltverträglicher, ein grüner Leuchtstoff sozusagen – und ertragreich dazu: Seit 2007 schon fördert der europäische Forschungsrat ERC (European Research Council) Mudrings Forschung. Nun bekommt die Professorin erneut Geld vom ERC. Mit ihm soll die Grundlagenforscherin ihre Erkenntnisse auf ihre Markfähigkeit hin überprüfen, wie es im Fachjargon heißt. Das Geld kommt aus dem Stipendienprogramm POC (Proof of Concept) – einem Programm, das für Aufsehen sorgt.

Gegründet wurde der ERC nämlich eigentlich als eine Organisation, die sich ausschließlich der Förderung exzellenter Grundlagenforschung in Europa verschreibt. Die Stipendien für Nachwuchswissenschaftler (Starting Grants) oder die für renommierte Wissenschaftler (Advanced Grants) gelten als Ritterschlag für Grundlagenforscher. Rund 7,5 Milliarden Euro stehen dem Rat im laufenden Forschungsrahmenprogramm (FRP) in den Jahren 2007 bis 2013 zur Verfügung. Im kommenden FRP ist ein Plus um Dreiviertel des Budgets geplant. Von dem Mittelzuwachs wird die  Grundlagenforschung nun jedoch nicht exklusiv profitieren. Denn einige der von ERC bereits geförderten Projekte sollen mit dem eigens geschaffenen Proof-of-Concept-Stipendium zur Anwendungsreife weiterentwickelt werden.

Nun betont man zwar beim ERC, dass die Idee für dieses Programm nicht von der Brüsseler EU-Forschungskommission kommt, sondern vielmehr von der hauseigenen Arbeitsgruppe für Industriebeziehungen. Dennoch dürfte die neue Förderlinie des ERC ganz nach dem Geschmack von Máire Geoghegan-Quinn sein. So macht die  EU-Kommissarin immer wieder deutlich: „Investitionen in Innovation und exzellente Forschung sind in Zeiten der Wirtschaftskrise entscheidend. Wir müssen Anreize für Forschung schaffen und neue Ideen auf den Markt bringen.“
Anträge für POC können nur Wissenschaftler einreichen, die bereits vom ERC gefördert werden. Pro Projekt gibt es maximal 150 000 Euro. Die erste Ausschreibungsrunde fand 2011 statt. Insgesamt wurden 52 Grantees ausgewählt. Aus Deutschland kamen dabei drei erfolgreiche Projekte, die Niederlande liegen mit zwölf an erster Stelle. Die Förderung steht grundsätzlich ERC-Projekten aus allen Fachbereichen offen. Der Schwerpunkt liegt aber in chemischen, medizinischen, technischen und physikalischen Themen. Die zweite Ausschreibung wurde Anfang Februar 2012 veröffentlicht, die Fristen für Bewerbungen liegen im Mai und Oktober.

Läutet das POC-Stipendium eine Trendwende beim ERC ein? „Wir sehen das nicht so und haben auch nicht die Absicht, anderen anwendungsorientierten Instrumenten Konkurrenz zu machen“, sagt die ERC-Präsidentin Prof. Dr. Helga Nowotny. POC bleibe „als eine Art zusätzlicher Serviceleistung auf ERC Grantees beschränkt, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen“. Weitere Ausbaupläne in dieser Richtung existierten derzeit nicht. Auch der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Dr. Peter Gruss, hat keine Bedenken: „Das Programm steht nicht im Widerspruch zu den Zielen des ERC, denn mit den Advanced und Starting Grants fördert der ERC ja zunächst einmal Köpfe und keine Projekte – und diese Köpfe müssen keinem Pharmariesen gefallen.“ Dass Geförderte Mittel bekommen können, mit denen „Validierungsforschung möglich ist, ist ein echtes Add-on“, meint Gruss.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft will das Programm dagegen nicht bewerten, und die frühere Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) wähnt das Programm innerhalb des ERC an der falschen Stelle (siehe Interview). „Wichtig ist mir, dass die Grundlagenforschung ausreichend gefördert wird. Man sollte sie und die Anwendung auch nicht gegeneinander ausspielen“, meint Bulmahn diplomatisch. Zeichne sich in der Grundlagenforschung Vermarktbares ab, sei es nicht verwerflich, dies weiterzuverfolgen. „Dabei verkauft man sich als Grundlagenforscher sicherlich nicht“, sagt Bulmahn. Doch reichen 150 000 Euro aus, um aus Erkenntnissen ein Produkt zu machen? Das sei gar nicht beabsichtigt, sagt Nowotny. „Die Förderung soll es vielmehr ermöglichen, die nächsten Schritte von der Idee in Richtung Umsetzung gehen zu können.“ So geht es etwa darum, einen Businessplan auszuarbeiten oder Eigentumsrechte zu klären. Für Anja-Verena Mudring ist die Förderung hilfreich. Sie führt nun für die Erprobung der Anwendung eine Postdoc- und eine Doktorandenstelle. Interesse von Industriepartnern sei bereits vorhanden. Ohne den Zuschuss hätte man derlei Partner deutlich früher ins Boot holen müssen, meint sie. Das hätte bedeutet: Bestimmte Rechte an dem möglichen Produkt wären abzutreten gewesen. Auch wäre es fraglich gewesen, ob zum Beispiel der Doktorand in diesem anwendungsnahen Themenfeld seine Dissertation hätte anfertigen können.

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